Staateninsolvenzverfahren

Internationale Entschuldungsinitiativen für die ärmsten Länder in Verbindung mit Armutsbekämpfungsprogrammen haben in einigen Ländern akute Schuldenprobleme erheblich eindämmen können. Sie stellen aber keinen dauerhaften und strukturellen Schutz gegen erneute Überschuldung dar. Eines der größten Probleme von bislang umgesetzten Entschuldungen besteht darin, dass bei der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldnerlandes die Gläubiger darüber entscheiden, ob es einen Teilerlass bzw. eine Umschuldung gibt oder nicht. Diese Konstellation hat jahrzehntelang verhindert, dass die seit 1982 erkennbare Überschuldung zahlreicher Länder entschlossen angegangen wurde.
In einem Rechtsstaat wäre es undenkbar, dass ein Kreditgeber selbst darüber entscheidet, ob ein zahlungsunfähiger Schuldner zahlen kann – und muss. Hier entscheiden ordentliche Gerichte über den Umgang mit ausstehenden Schulden. erlassjahr.de ist der Ansicht, dass die Rechte, die alles Bürger*innen eines Rechtsstaates genießen, endlich auch für Staaten gelten müssen. Deswegen fordert erlassjahr.de ein faires und transparentes Insolvenzverfahren (Fair and Transparent Arbitration Process, kurz FTAP) für Staaten. Die wichtigsten Forderungen für ein solches Verfahren sind:

 

  1. eine neutrale, von Gläubiger- wie Schuldnereinflüssen unabhängige Entscheidungsinstanz
  2. unabhängige Begutachtung der Situation des Schuldnerstaats
  3. die Einbeziehung aller Forderungen an den Schuldnerstaat in ein einziges rechtsstaatliches Verfahren
  4. das Recht aller betroffenen Parteien, vor einer Entscheidung angehört zu werden
  5. prinzipielle Gewährung eines Existenzminimums zum Schutz der Ärmsten und Verwundbarsten in der Bevölkerung des Schuldnerstaats, bevor über Zahlung oder Nichtzahlung entschieden wird sowie
  6. die Einrichtung eines automatischen Zahlungsstopps sobald ein Insolvenzverfahren in Gang gebracht wurde.

 

Wie erwähnt gab es in der Vergangenheit bereits Entschuldungsinitiativen, die allerdings nicht oder nur in Teilen den oben genannten Merkmalen entsprachen, so etwa die Initiative für hoch verschuldete arme Staaten (Heavily Indebted Poor Countries Initiative, HIPC-Initiative) und die Mulitlateral Debt Relief Initiative (MDRI). In Reaktion auf die sich zuspitzende Schuldenkrise durch die weltweite Corona-bedingte Rezession schufen die G20-Staaten 2020 ein neues Rahmenwerk, um über die Restrukturierung ausstehender Forderungen zu verhandeln. Im sogenannten “Common Framework for Debt Treatments beyond the DSSI” ist jedoch keine einzige der oben genannten Anforderungen an ein faires und transparentes Staateninsolvenzverfahren erfüllt. Die amtierende Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag 2021 dazu verpflichtet, sich für ein „kodifiziertes internationales Staateninsolvenzverfahren“ einzusetzen. Angesichts der sich zuspitzenden Schuldenkrise in vielen Ländern des Globalen Südens sind konkrete Reformen in diesem Sinne dringend notwendig.


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