Große Koalition: Mitschuldig an der Staaten-Insolvenzverschleppung in Europa

Einen der besten Kommentare zum Koalitionsvertrags-Entwurf hat Wolfgang Münchau bei spiegel-online verfasst. Er zeigt, dass manches Klein-Klein um Lieblingsprojekte der roten oder der schwarzen Seite ziemlich absurd ist angesichts der bereits bestehenden und der womöglich gerade wieder neu zu übernehmenden Verpflichtungen aus der Eurokrise.

Es war die SPD, die teilweise gegen das Insistieren der CSU (!), die Fortschreibung der Verpflichtung auf ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren aus dem letzten Koalitionsvertrag abgelehnt hat. Immer in der altbekannten Erwartung, dass die Staatspleite schon auf wunderbare Weise an uns allen vorbeigehen werde, wenn die Regierung den Kopf nur tief genug in den Sand steckt, und die Daumenschrauben für die ohnehin schon ausgepressten Griechen und Portugiesen nur noch ein paar Umdrehungen weiter angezogen werden.

Angesichts weiterer vier bleierner Jahre, freut man sich über jede/n Genoss/in, der/die “nein” sagt.

"Eine Lösung, die keine ist"

Unter diesem Titel ist in der FTD vom 2.7. ein sehr lesenswerter Leitartikel von Oliver Holtemöller und Tobias Knedlik vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle-Wittenberg erschienen. Die Autoren beschreiben sehr eindrücklich, wie die “Trippelschritte” des (deutschen) Managements der Eurokrise nicht zu deren Lösung, sondern zu ihrer Verteuerung beitragen. Dass die Organisierung einer geregelten Staateninsolvenz in der Eurozone von der Politik versäumt wurde, bezeichnen sie als den “ersten und wichtigsten Fehler der Krisenpolitik”.

Die Argumentation der Hallenser Wirtschaftswissenschaftler deckt sich mit dem Ergebnis der Modellrechnung von erlassjahr.de. Darin hatten wir gezeigt, dass der gleiche Schuldenschnitt, der Ende 2011 für Griechenland gewährt wurde, 18 Monate früher das Potenzial gehabt hätte, Griechenlands Verschuldung im Verhältnis zum BIP in die Größenordnung von 80% zu bringen – also etwa dahin, wo Deutschland heute steht.

Die Entscheidung, die Krise zu finanzieren statt sie zu lösen, hat alle Beteiligten in eine schlechtere Lage gebracht – mit Ausnahme derjenigen Privatinvestoren, die es seither geschafft haben, sich aus Griechenland zurückzuziehen.

Griechenland nach den Wahlen: Die Populisten haben gewonnen

Nach dem knappen, aber durch das Wahlrecht etwas “ausgebauten” Sieg der Konservativen bei der Parlamentswahl in Griechenland, ging ein Aufatmen durch die deutschen und die internationalen Medien. Eine Pro-Euro-Koalition habe gegen die “Populisten” von Syriza gewonnen, Griechenland bleibe auf (Spar-)Kurs, heisst es. Und da wird es schon sehr unappetitlich.

Denn deutsche Medien – bis hin zur ansonsten seriösen Financial Times Deutschland – hatten Syriza als eine Partei dargestellt, die das hochverschuldete Land aus dem Euro herausführen würde. Das war in jeder Beziehung Unsinn. Ökonomisch gäbe es für Griechenland durch einen Austritt viel zu verlieren (nicht zuletzt gewaltige Kosten einer Währungsumstellung selbst), aber wenig zu gewinnen. Politisch könnte niemand auf der Grundlage der existierenden Verträge dem Land den Euro “wegnehmen” wie einem unbotsamen Kind das Spielzeug. Genau dies wurde von den Medien aber anhaltend nahegelegt. Und schließlich hatte Syriza, zuletzt mit einem Kommentar ihres Chefs Alexis Tsipras in der FTD selbst, deutlich gemacht, dass man keinesfalls die Absicht habe, den Euro aufzugeben. Was, um alles in der Welt hätte der Mann denn noch tun müssen, damit ihm geglaubt wird??

Die Griechen waren haarscharf davor, einen keineswegs einfachen, aber verheißungsvollen Neustart zu schaffen. Syriza hatte die Forderung nach einer Schuldenkonferenz erhoben, bei der die Tragfähigkeit der Auslandsschulden überprüft werden und gegebenenfalls eine ausreichende Restrukturierung auf den Weg gebracht werden sollte. Nach gut zwei Jahren Insolvenzverschleppung und einem Schuldenschnitt von dem jeder weiss, dass er nicht ausreichen wird, wäre das endlich eine Alternative zum Weiterwursteln zwischen den Alten Eliten von ND, PASOK und Co. und ihren freundlichen Gläubigern in Berlin und Brüssel.

Selbst der IWF geht davon aus, dass im besten aller Fälle Griechenlands Schulden mit den bisherigen Massnahmen auf 120% – wahrscheinlicher: 129% – des BIP bis 2020 reduziert werden können. Wichtige Privatgläubiger halten heute einen zweiten Schuldenschnitt für unvermeidlich, bei dem nicht nur die ursprünglichen privaten Forderungen, sondern auch die aus den öffentlichen Rettungspaketen zur Disposition stehen müssen. In der Tradition ihrer Politik seit dem Krisenausbruch 2009 haben die Altparteien in Griechenland, die Bundesregierung, die EU und die Mainline-Medien so getan, als gäbe es diese Bedrohung gar nicht, und der wählenden Bevölkerung vorgegaukelt, wenn sie die Finger nur von den erschröcklichen Linksradikalen ließen, würde schon alles gut werden.

Das nennt man Populismus. Es ist unverantwortlich. Und damit sind sie (vorerst) durchgekommen.

Ach Schäuble….

Auf einem Podium Katholikentag in Mannheim erklärte der Bundesfinanzminister, “ein Erlassjahr sei kein Mittel gegen die Schuldenkrise”. Der grüne Finanzpolitiker Gerhard Schick hatte den Gedanken eines Erlassjahres in die Diskussion gebracht.

Nun ist es nicht überraschend, dass ein Finanzminister sich mit dem Gedanken eines Schuldenerlasses schwer tut. Überraschend ist die von Schäuble nachgeschobene Begründung: “Ein Erlassjahr bedeute Geldentwertung und Währungsreform”. Ob das Volk Israel ein Erlassjahr, wie das Alte Testament es beschreibt, je praktiziert hat, ist unter Theologen und Historikern umstritten. Falls es das gab, war es auf keinen Fall mit Geldentwertung und Währungsreform verbunden.

Das gleiche gilt für das, was erlassjahr.de als dem Spätkapitalismus gemäße Form eines Erlassjahr’s vorschlägt: nämlich ein geregeltes Staateninsolvenzverfahren. Das steht – nebenbei bemerkt – als politische Forderung auch im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung, dem Herr Schäuble sich eigentlich verpflichtet fühlen müsste.

Rational ist die Reaktion des Ministers auf Gerhard Schick’s Anregung mithin nicht zu verstehen. Was vielmehr daraus zu sprechen scheint, ist die offenbar unausrottbare Annahme, Staaten könnten, sollten, dürften nicht pleite gehen. Auf ungefähr halber Strecke zwischen einem verspäteten und für Griechenland unzureichenden Schuldenerlass und der ungeregelten Staatspleite des Landes nach den Wahlen im nächsten Juni, weist der deutsche Finanzminister das zurück, was eine zeitige und wirksame Bekämpfung der Krise in der Eurozone ermöglicht hätte: Im Frühjahr 2010, als Griechenland sich im Prinzip für zahlungsunfähig erklärte, hätte ein geregeltes Verfahren für einen schnellen, geordneten und ausreichend tiefen Schuldenschnitt zumindest die Chance geboten, die Krise in einem frühen Stadium zu beenden. Nach einer Berechnung von erlassjahr.de wäre Griechenland durch den gleichen Schuldenerlass der Privatgläubiger in Höhe von 109 Mrd. €, wie er im Februar 2012 beschlossen wurde, größenordnungsmäßig bei einem Schuldenstand von 82% angekommen. Immer noch keine unproblematische Größenordnung, aber mit der um zwei Jahre verschleppten Regelung erreicht Griechenland nach Berechnung des IWF im besten Falle 129% – und zwar im Jahr 2020.

Es ist tragisch, dass einer der wichtigsten Akteure in der Eurokrise die Chance verspielt, in die nächste Krise nicht ebenso unvorbereitet zu stolpern wie in die noch andauernde.