Schuldenkapitel des Doha-Abschlussdokumentes in der Analyse

Die UN-Entwicklungsfinanzierungskonferenz in Doha ist vorbei und erlassjahr.de Koordinator Jürgen Kaiser, “unser Mann vor Ort”, gesund und munter aus dem Wüstensand zurück gekehrt. Inzwischen haben wir das Abschlussdokument der Konferenz etwas eingehender untersucht und konzentrieren uns im folgenden auf Kapitel V, welches sich auf “External debt” bezieht. Im Abschlussbericht hat es eine andere Nummerierung als in allen Textentwürfen vor der Konferenz bekommen. Davon sollte man sich hier nicht irritieren lassen. §§ 56-67 sind die Paragrafen, um die es geht.  Was erreicht wurde fügt sich in die generelle Tendenz der Konferenz ein: Kein nennenswerter Fortschritt, aber auch kein Rückschritt, der etwa den Gegnern einer Reform des Schuldenmanagements Munition lieferte. Im Einzelnen:

  • Die exzellente Formulierung “Orderly Debt Work-outs, including mediation and arbitration”, die sich vom ersten Entwurf bis in die letzte Version vor der Doha-Konferenz gehalten hatte, hat es doch nicht bis in die Schlusserklärung geschafft. Sie wurde ersetzt durch: “we will consider ways to explore enhanced approaches of sove-reign debt restructuring mechanisms based on existing framework and principles, with broad creditors’ and debtors’ participation and ensuring comparable burden-sharing among creditors, with an important role for the Bretton Woods institutions.” Daraus können wir ebenso einen Aufruf zur Entwicklung eines FTAP herauslesen, wie die andere Seite die Forderung nach Stärkung des Pariser Clubs und IFIs. Der Begriff “Sovereign Debt Restructuring Mechanism” ist dabei an dieser Stelle beson-ders delikat. So hieß der Vorschlag des IWF für ein Internationales Insolvenzverfah-ren 2001-2003, und es ist nicht klar, ob ein SDRM oder der SDRM gemeint ist. Der IWF hat jedenfalls seinen alten Vorschlag nicht mal erwähnt.
  • §57 enthält den frommen Wunsch, Schuldenerlasse mögen nicht zu Lasten der traditionellen ODA gehen. Die Schummeleien durch die vom Development Assistance Council gedeckten Anrechnungen des Schuldenerlasses auf die Entwicklungshilfe wurden nicht mal diskutiert.
  • Ähnliches gilt für die Hoffnung in §58, es mögen sich bitte alle Gläubiger an dem unter HIPC vereinbarten multilateralen Erlass beteiligen. Keine Diskussion über irgendwelche Sanktionen gegen die, die es nicht tun.
  • §60 erkennt erfreulich offen an, dass die bestehenden Mechanismen von den Gläubigern dominiert werden (“creditor-driven”). Auf dem Hintergrund dieser Einsicht wirkt die anschließende Feststellung dass durch internationale Entschuldungsverfahren, Gleichbehandlung unter Gläubigern und Schuldnern und Rechtssicherheit erreicht werden sollen, nicht ganz so belanglos.
  • §61 spricht von Lösungen, die transparent und für alle akzeptabel sein sollen. Diese Mechanismen sollen von Prinzipien getragen werden, die uns bei der Bewältigung zahlreicher Schuldenprobleme gute Dienste geleistet haben. Dazu gehört auch die Notwendigkeit, dass Entschuldung als gemeinsame Verantwortung von Schuldnern und Gläubigern – öffentlichen wie privaten – verstanden wird. Klingt super, aber ob die Prinzipien sich auf rechtsstaatliche Grundsätze beziehen, wie wir sie fordern, oder vielleicht doch gemeint ist, dass die Multliateralen Finanzinstitutionen alles in der Hand haben, bleibt offen.
  • §63 verlangt, dass im Schuldenmanagement die Entwicklungsprioritäten des Schuldenlandes Berücksichtigung finden müssen – explizit auch die Erreichung der MDGs. Dazu würden die von uns betriebenen unabhängigen Tragfähigkeitsanalysen gut passen. Keinesfalls geht man aber so weit, konkrete Defizite in den existierenden Regelwerken zu benennen. So wird (§64) ausdrücklich positiv auf das Debt Sustainability Framework der Weltbank Bezug genommen. Alle Geber sollen es bei ihren Kreditvergabe-Entscheidungen berücksichtigen. Es wird weder die Tatsache, dass das Debt Sustainability Framework (DSF) ein sehr unausgewogenen Instrument ist, dass zwar die Schuldner nicht aber die Gläubiger unter Druck setzt, berücksichtigt; noch, dass das DSF dann, wenn eine Überschuldungskrise erst mal ausgebrochen ist, zu absolut nichts mehr nütze ist.
  • Schließlich befasst sich der §65 erfreulich ausführlich mit der Gefahr neuer Instabilitäten, z.B. durch externe Schocks. Er spricht  – kleines Detail – auch von den Schuldentragfähigkeits-Regeln, und nicht nur vom DSF der Weltbank.

Doha-Tagebuch 1.12.08: Runder Tisch nicht rund

Zu einem Zeitpunkt, da die Abschlusserklärung auf die Zielgerade einbog, bot die Konferenz nochmals die Gelegenheit, grundsätzliche Fragen zum Schuldenthema zu erörtern. Dies geschah in Form eines “Roundtables”, wie er auch zu den vier anderen Themenbereichen des Doha-Prozesses stattfand.
Nachmittags um 3 in einem riesigen Auditorium vom Format der UNO-Generalversammlung. Kein runder Tisch weit und breit, sondern ein länglicher, an dem auf dem Podium der IWF, die Weltbank, der Pariser Club, zwei Regierungsvertreter/innen, Nancy Birdsall von einem Obama-nahen Think Tank in Washington und die ehemalige irische Staatspräsidentin Mary Robinson Platz nahmen.
Von den drei vorgesehenen Stunden vergingen eineinhalb mit den Statements der Herrschaften auf dem Podium. Manche, wie Mary Robinsons und die des Club-Präsidenten recht interessant. Bank und Fonds waren kaum zu ertragen. Nachdem auf diese Weise zwei Halbzeiten gespielt waren, kam auch das Auditorium zu Wort. Als Civil Society hatten wir verabredet, wer von uns in welcher Reihenfolge das Wort ergreifen sollte: Zunächste Vitalis Meja von AFRODAD, dann Lidy Nacpil von der Freedom from Debt Coalition auf den Philippinen und ich als Letzter. Das hatte den interessanten Nebeneffekt, dass ich in dieser “Diskussions”-Runde sozusagen das letzte Wort hatte, was Carlos Braga von der Weltbank nicht wenig auf die Palme brachte.
Highlights waren die Statements der norwegischen Regierung, die u.a. noch einmal die Forderung nach der Berücksichtigung der Illegitimität von Schulden wiederholte, und des ehemaligen UNO-Mitarbeiters Barry Herman, der auf ein Ticket des Privatsektors gekommen war, und einige sehr erlassjahr-nahe Forderungen erhob, die die meisten aus dem Mundes der Business Community nicht wirklich erwartet hätten.
Seine Schlüsselfrage war: Wer wird wie an neuen Entschuldungsverfahren arbeiten, die angesichts der neuen Überschuldungsgefahren bei mehr als der Hälfte der entlasteten HIPCs einfach unbestreitbar sind?
Ergebnis: Es ist uns gelungen, den von Bank und Fonds intendierten Eindruck “Die Lage ist ernst, aber wird aus Washington schon verlässlich gemanagt werden zu zerstreuen. Das “Washington” praktisch keinen Plan hat, was eigentlich nach HIPC kommen soll, dass der Pariser Club seine Arme in alle Richtungen ausstreckt, und alle, alle einlädt, beim ihm mitzuspielen, wurde für alle sichtbar. In einigen Kulissengesprächen konnten Kunibert Raffer und einige der NRO-Kolleg/innen besser als seit langem deutlich machen, dass FTAP eigentlich der innovativste Gedanke in der allgemein herrschenden Verunsicherung ist.

Doha-Tagebuch 1.12.: Heiße Phase

Es wird heißer in Doha. Das erstaunlich milde Klima bei unserer Ankunft weicht deutlich mehr Sonnenschein, und nachdem ich die Klima-Anlage in meinem Hotelzimmer während der letzten Tage meist ausgemacht hatte (der Room-Service stellte sie beim nächsten Besuch sofort wieder auf Schockfrosten), lasse ich das Ding nun wenigstens auf der kleinsten Stufe laufen.
Auch im Sheraton Kongresszentrum steigt die Temperatur. Der neue Textentwurf hatte zunächst tatsächlich wie ein erfolgreicher Handstreich ausgesehen, mit dem sich zumindest die Konferenz – wenn schon nicht die Welt – retten liess.
Beim zweiten Hinsehen war die Zustimmung der Hauptblockierer mit Sternen und Streifen dann doch nicht so umfassend. Es wurde in fast allen Kapiteln doch noch Veränderungsbedarf angemeldet. Worauf hin auch die G77 verschiedene Fässer wieder aufmachten. Die EU gilt inzwischen als die konstruktivste und kompromissfähigste Stimme im Konzert.
Das Schuldenkapitel ist mittlerweile so stromlinienförmig, dass es schwer ist, bestimmte Dinge richtig schlecht zu finden. Auf welche Weise die Entschuldung wenigstens gedanklich, wenn schon nicht praktisch, durch die Erklärung vorangebracht wird, könnte ich allerdings auch nicht sagen: Der verwegene Versuch der Norweger, einen Bezug auf Illegitime Schulden im Text unterzubringen – für den Minister Solheim beim gestrigen Side-Event der Weltbank noch mal tapfer gestritten hat – ist vom Tisch. Und der “orderly debt workout, including mediation and arbitration” heißt (Stand Montag Morgen) wieder “sovereign debt restructuring mechanism”. Ein spannender Punkt ist der §2, der ursprünglich den Monterrey Consensus in seiner Gesamtheit bestätigte (dort war “oderly debt workout” schon mal gefordert worden). Auch das ist jetzt aber nicht mehr unumstritten.
Unsere Kollegen aus den verschiedenen NRO-Delegationen mühen sich, ihren jeweiligen Regierungsdelegationen noch Formulierungshilfen an den verschiedenen Stellen unterzujubeln. Heute Nachmittag findet der Roundtable zu Verschuldung statt. Als einer von 7 NRO-Vertretern und insgesamt 45 “Experten” kann ich versuchen, mich mit den anderen 44 um ein Minütchen Redezeit in der insgesamt 45 Minuten langen Diskussion zu balgen und zu sagen, was die NG0s in diesem Thema hilfreich fänden.

Doha-Tagebuch 30.11.08: Nie mehr Schuldenkriiiise, nie mehr, nie mehr…!

Sonntag war Arbeitstag bei der Financing for Development-Konferenz in Doha. Vor unserem eigenen Side-Event zu innovativen Entschuldungsverfahren war ich an gleicher Stelle Panelist beim Schulden-Forum der Weltbank. An einem etwas abgelegenen Ort im Sheraton-Restaurant “Waterhole” mit Blick auf das Meer auf der einen und dem Guinness-Zapfhahn auf der anderen Seite, sollte eine Bilanz der HIPC-Initiative gezogen werden. Nach dem staubtrockenen Vortrag einer IWF-Mitarbeiterin sollten der erfrischend lockere holländische Entwicklungsminister Bert Koenders und ich das Gehörte kommentieren.
Koenders zog, wie sich das für jemand gehört, der einerseits mit Sitz und Stimme im Governeursrat der Weltbank hockt, auf der anderen Seite seinen Sinn für die Realitäten nicht verloren hat, eine durchwachsene Bilanz. Meine Aufgabe als einziger frecher NRO’ler im ganzen Programm war natürlich der heftige Kontrapunkt, der für die Herren und Damen aus Washington bei solchen Gelegenheiten inzwischen dazu gehört.
Ich habe mich auf den letzten HIPC-Implementation-Bericht bezogen, und sie gefragt, was eigentlich mit den Ländern passieren soll, denen Bank und Fonds selbst ein hohes Risiko neuer Überschuldung bescheinigen. Immerhin 13 von 23 entschuldeten HIPCs bewegen sich nach den Berechnungen der Institutionen (unsere Liste ist noch etwas länger) von vor der Finanzkrise in diesem Bereich.
Eine Antwort darauf bekamen wir nicht. Alle anderen Redner/innen beschäftigten sich mit der Frage, wie mit Hilfe des Debt Sustainabality Framework die Kreditaufnahme besser reguliert werden und den vielerorts ziemlich schwachen Buchhaltungen technisch unter die Arme gegriffen werden kann.
Selbst im Vier-Augen-Gespräch konnte ein höherrangiger Mitarbeiter des IWF sich zu keiner Andeutung durchringen, welchen Plan B man denn wenigstens in der Tasche habe, falls Länder von ihrem souveränen Recht auf Kreditaufnahme wiederum exzessiv Gebrauch machten (was einige spektakuläre Fälle wie die DR Kongo mit China als Kreditgeber bereits tun).
Nein, nein, eine neue Krise werde es bestimmt nicht geben. Und von daher logischerweise auch keinen Grund, sich Gedanken darüber zu machen, was nach HIPC kommt. Auch ein Hinweis auf die lange Überschuldungsgeschichte vieler Länder, die durch wiederholte Umschuldungen gegangen sind half nicht. Das Ende der Geschichte wurde für erreicht erklärt. Punkt. Am Anfang war ich mir sicher, der Mann will mich verarschen. Nachher nicht mehr.
Mit ziemlich begrenzter Beteiligung ging danach unser eigenes Side-Event zu FTAP über die Bühne. Wegen der sich ständig verändernden Agenda des offiziellen Verhandlungsprozesses waren uns sämtliche eingeladenen Minister/innen abhanden gekommen. Inhaltlich wurde es trotzdem eine recht anregende Veranstaltung.

Doha Tagebuch 29.11.08: Neuer Text

In aller Herrgottsfrüh lud die Rote Heidi zum NRO-Briefing und fast alle kamen. Der gestern angekündigte neue Textentwurf kam ebenfalls. Aber es war keine neue Erklärung in ganz anderem Format, wie gestern abend noch vermutet, sondern das alte Format, in dem einfach keine fettgedruckten (= umstrittenen) Stellen mehr waren, sondern alles im Nomaltext; in der Erwartung, dass dieses gemeinsame Produkt von Facilitatorn und Präsident der Generalversammlung am Stück zustimmungspflichtig sei.
Im Schuldenthema ist der neue Text eine Mischung aus der sehr brauchbaren vorletzten und der unterirdischen letzten Fassung. Statt “Orderly Debt Workout” heisst es jetzt “Sovereign Debt Restructuring Mechanism” – ein Begriff, der uns nicht ganz zufällig ziemlich bekannt vorkommt (SDRM war der Vorschlag des IWF für ein Internationales Insolvenzverfahren rund um die Monterrrey Konferenz). Von “Mediation and Arbitration” als eine Konkretisierung dessen, was denn nun neu und anders werden solle, ist indes keine Rede mehr.
Es wird berichtet, dass die vorliegende Fassung für die USA zustimmungsfähig sei. Das würde bedeuten, dass in unserem Thema zumindest eine in Washington normalerweise nicht goutierte Feststellungen Eingang in das Abschlussdokument finden würden: Die existierenden Verfahren werden von den Gläubigern gesteuert (§42). Ansonsten findest sich allerlei Mainstream im Dokument, den wir auch richtig finden, der aber noch nicht Praxis im internationalen Schuldenmanagement ist:
– Alle Gläubiger müssen in Entschuldungsverfahren einbezogen werden;
– Schuldentragfähigkeit muss alle Arten von externen Schocks berücksichtigen;
– Die aktuelle Krise erfordert mutiges und rasches Handeln.
Alles in allem: Wenn der Entwurf heute und in der kommenden Nacht so beschlossen wird, werden alle, uns eingeschlossen, nicht ganz so unglücklich ein, wie sie es zwischenzeitlich waren. Von einem Aufbruch zu entschlossenen Veränderungen in unserem oder einem anderen Themenfeld kann aber so was von keine Rede sein….!
Ich merke, wie man auch als radikale NRO-Stimme hier Teil der Show wird, und anfängt sich eben über solche Dinge wie die Anerkennung von Tatbeständen zu freuen, die eigentlich für niemanden ein Geheimnis sind. Was wir oder gar die Opfer von Überschuldung damit gewonnen haben? Nächste Frage!
Am schönsten brachte das heute ein Merril Lynch Investmentbanker, mit dem wir im Zusammenhang mit Debt2Health zu tun haben, auf den Punkt. Als Privatsektor-Mensch ist die Konferenz für ihn so etwas wie ein erstmaliges Eintauchen in die Welt der internationalen Organisationen und Regierungen. Ob eigentlich irgendjemand hier morgen etwas machen würde, was er ohne die Konferenz nicht gemacht hätte, fragte er mich. Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung.
Aber starke Zweifel.

Doha-Tagebuch 28.11.08: Sektempfang

Die französische Präsidentschaft hatte europäische NROs heute in die mondäne französische Botschaft eingeladen. Mit dem hier ansonsten nicht so leicht erhältlichen französischen Rotwein tröstet sich die Szene über den bejammernswerten Zustand des Abschlussdokuments hinweg.
Der Präsident der Generalversammlung, der nicaraguanische UNO-Botschafter Miguel d’Escoto träufelte bei einer Pressekonferenz mit einem besonders radikalen Diskurs Balsam auf geschundene NRO-Seelen. Aber sein Einfluss auf die Abschlusserklärung ist ungefähr so groß wie der seines Landes auf Entscheidungen im IWF.
Während d’Escoto sprach sass ich in einem Briefing des Global Fund für Nichtregierungsorganisationen über Debt2Health. Dazu hatte sich überraschenderweise auch der australische Entwicklungsminister Bob McMullen eingefunden. Das Gespräch mit einem Minister, der tatsächlich zum Zuhören gekommen war, war bis jetzt ein echtes Highlight meines Aufenthalts hier. Australlien ist ein Kandidat für einen nächsten Debt2 Health Deal mit Indonesien.
Nachtrag: Kurz vor Mitternacht macht die Nachricht die Runde, dass d’Escoto ein komplett neues Outcome Document auf den Tisch legen will und einen Tag lang versuchen, dafür ausreichende Unterstützung zu gewinnen. Das wäre dann vermutlich so etwas wie ein allgemein gehaltenes “Chairman’s Summary”, welches allenfalls zur Gesichtswahrung bei einem eigentlichen Scheitern der Konferenz dienen wird. Von HWZ erfahren wir morgen früh hoffentlich mehr.

Doha Tagebuch 27.11.: Familientreffen

Heute ist der zweite und letzte Tag des Civil Society Forums in Doha. Die Stimmung ist nicht besonders angesichts des wirklich schwachen Entwurfs für die Abschlusserklärung. Nicht nur im Schuldenthema – auch Kollegen, die zu anderen Themen arbeiten, fühlen sich nicht gerade am Vorabend besserer Zeiten infolge der Konferenz.
Trotzdem bietet die Konferenz das, was eine Stärke der weltweiten Entschuldungsbewegung ist: Möglichkeiten zum Austausch mit Kolleg/innen aus allen Teilen der Welt, um gemeinsame Initiativen abzusprechen oder vergangene Kämpfe noch mal zu Revue passieren zu lassen. In unserem Fall z.B. mit den Kolleginnen aus Ecuador und Bolivien, mit Don von INFID aus Indonesien, wo wir über die nächsten Schritte im Fall der illegitimen Kriegsschiffexporte dringend reden müssen. Oder mit Tomas aus Prag, von dem ich tatsächlich glaube, dass ich ihn in Monterrey zuletzt getroffen habe. Das ist nützlich, sehr schön, und manchmal gar ein bisschen kuschelig, wie eine weit verzeigte Großfamilie.
In diesem Moment wird das Civil Society Statement verabschiedet. Peter Lanzet und Eva Hanfstängl diskutieren pflichtschuldigst mit. Ich bin nicht übermäßig optimistisch, dass Vieles davon Eingang in die verbleibenden offiziellen Beratungen finden wird. Diese sind allerdings noch nicht beendet. Die Regierungsdelegationen haben keine fertige Erklärung im Gepäck. Doha Flurfunk berichtet sogar von der realistischen Chance, dass es zu einer überhaupt keiner Abschlusserklärung kommen wird.
Das wiederum liegt nicht nur daran, dass die tapferen G77 sich von den reichen Ländern nicht über den Tisch ziehen lassen wollen. Insider des Verhandlungsprozesses zeichneten auch ein sehr ernüchterndes Bild der bisherigen Verhandlungsführung der Entwicklungsländer. Anders als vor Monterrey 2002, wo die Entwicklungsländer der G77 sehr gut organisiert und kompetent auftraten, und somit einen vergleichsweise brauchbaren Text durchsetzten, ist deren Verhandlungsführung nun viel schwächer, und ist auch das Interesse an einem positiven Abschluss nicht immer gegeben. Vielmehr gibt es in den G77 auch Staaten, die sich von einem Platzen des Prozesses einen Effekt wie bei der Torpedierung der Welthandelsrunde versprechen. Und sich von daher als andere als konstruktiv einbringen.
Von Heidi Wieczorek-Zeul gibt es eine Einladung zum NRO-Treffen am Samstag in aller Herrgottsfrühe in ihrem Hotel. Ihr eilt der Ruf voraus, eine der wenigen zu sein, die tatsächlich noch hart für ein positives Schlussdokument arbeitet.Deswegen werden wir die Gelegenheit zum Gespräch mit ihr natürlich wahrnehmen, und versuchen, auch den §46 noch mal aufzumachen. Wunder gibt es immer wieder.
Kamele habe ich in dieser von gesichtslosen Betonbauten und Schnellstraßen geprägten Stadt übrigens noch keine gesehen. Dafür gab es eine nette Entdeckung als ich gestern abend versehentlich im ersten Stock statt im Erdgeschoss aus dem Lift stieg: Über den Flur hörte ich einen beträchtlichen Lärm, und als ich dem an einem dezent platzierten Wächter vorbei folgte, stand ich plötzlich in einem veritablen englischen Pub, mit Champions League auf großen Bildschirmen, jeder Menge Qualm und unzähligen Männern im weißen Burnus mit Pint-Gläsern voller Heineken, Stella Artois und Fosters in der Hand. Manche schon recht gut bedient, wie z.B. Ibrahim aus der Armee, der mit etwas glasigen Augen versuchte, mir an der Theke Arabisch beizubringen. Immerhin sitzt man hier nicht bei Tee und Keksen am Abend…
Und schließlich will ich noch erwähnen, dass es beim Schreiben gerade an meine Tür klopfte. Draußen stand ein Mann mit Schäferhund und fragte, ob der Hund sich bei mir mal umsehen dürfte. Mumbay ist einigen wohl in die Knochen gefahren.

Doha-Tagebuch 26.11.: Angenehme Reise und eine böse Überraschung

Knapp sechs Stunden Flugzeit ist Doha am Persischen Golf von Frankfurt entfernt. Quatar Airways ist eine von den aufstrebenden Fluglinien in der Region, die modernste Jets und guten Service sogar in der Holzklasse bieten. Und besonders voll war der Flug – UNO-Konferenz hin oder her – auch nicht.
Komplizierter war es da schon, eine angemessene Bleibe zu finden. erlassjahr kann an der Konferenz nur dank seines Consulting-Vertrags mit dem Global Fund teilnehmen. Der wiederum musste, wie alle, Hotelbetten zentral über das Außenministerium buchen, was dazu führte, dass ich diese Zeilen aus einem Fünf-Sterne-Hotel mit allem Schickimicki schreiben kann. Aber bleiben darf ich hier nur bis übermorgen. Falls dann keine neuen Einträge im Blog mehr erfolgen, bin ich an den Strand umgezogen, weil hier offenbar alles ausgebucht ist…
Im Flugzeug hatte mir Jens Martens vom Global Policy Forum die letzte Version der Abschlusserklärung vom 23.11. gezeigt, und die sah der letzten, die es im Netz gegeben hatte, noch sehr ähnlich. Hier bekam ich nun die Fassung von gestern. Und die zeichnet sich durch einen grotesk veränderten §46 aus. Da, wo zuletzt noch “Oderley Debt Workouts, including arbitration und mediation” standen, heißt es jetzt “we will consider to explore enhanced forms of sovereign debt restructuring mechanisms based on existing framework and principles, including the Paris Club (…) with an inportant/central role for the Bretton Woods Institutions.” Im Klartext: Diejenigen Institutionen, die im Auftrag der Gläubiger 23 Jahre gebraucht haben, um für einen kleine Zahl von Ländern lediglich eine vorläufige Lösung des Schuldenproblems auf die Beine zu stellen, sollen auch künftig die zentralen Akteure sein. Von fairen, umfassenden und transparenten Alternativen ist nicht mehr die Rede. Wer – z.B. von den 13 HIPC-Ländern, denen die Weltbank selbst ein hohes oder mittleres Risiko neuer Überschuldung attestiert – künftig in Zahlungsschwierigkeiten gerät, kann sich auf die nächste Runde der quälenden Verfahren unter der “central role” von Weltbank und Währungsfonds einstellen.
Ein solches Ergebnis wäre ein deutlicher Rückschritt gegenüber dem “Monterrey Consensus”. Ob Ministerin Wieczorek-Zeul, die noch vor einer Woche(siehe Blogeintrag) angekündigt hatte, alles dafür zu tun, dass die Forderung nach einem “Orderley debt Workout” sich auch in der Abschlusserklärung wieder findet, in dem Moment der Verhandlungen gerade draußen war?

EU zur Reform des Schuldenmanagements in Doha: Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass!

Am Montag und Dienstag (10./11.11.) haben die Außenminister und einige Regierungschefs im “External Relations Council” der EU die Haltung der Gemeinschaft zum Doha-Prozess formuliert.
Im Schuldenkapitel (pt.42 der Erklärung des Rates) “unterstützt” – so die gute Nachricht – die EU “Diskussionen über erweiterte Umschuldungs-Verfahren.”. Das klingt nicht wie eine Streichung des für ein Internationales Insolvenzverfahren entscheidenden §46 der Abschlusserklärung. Bereits das “Non-Paper” der EU-Kommission hatte sich in diesem Sinne positioniert. Und entsprechend unklar war, warum die Franzosen als Sprecher der EU bei der ersten Abstimmung des Doha-Textes in New York zusammen mit Amerikanern und Japanern für eine Streichung des §46 plädiert hatten.
Die EU wäre aber nicht die EU, wenn sie sich beim diesem hoffnungsvollen Reform-Anlauf nicht sofort selbst wieder ein Bein stellen würde: Die “erweiterten Verfahren” sollen nämlich eine “zentrale Rolle für die Bretton Woods Institutionen” (also Weltbank und IWF) vorsehen. Und sie sollen “auf existierenden Rahmen wie dem Pariser Club” aufbauen. Will sagen: Genau die alten Verfahren, die bislang eine umfassende Schuldenregelung durch ihre Rollen als exklusiver Club (in Paris) und Monopolisten bei der Bewertung von verschuldeten Ländern (Weltbank und IWF) verhindert haben, sollen auch in einem neuen Rahmenwerk eine zentrale Rolle spielen. Im Vergleich dazu klingt sogar das Doha-Statement des Pariser Clubs selbst weltoffen und reformorientiert.
Wie man aufbauend auf einem exklusiven Zirkel von reichen Gläubigern “breite Beteiligung von Schuldnern und Gläubigern sowie eine angemessene Lastenverteilung unter allen Gläubigern” in den angestrebten neuen Verfahren sichern will, ist ein großes europäisches Geheimnis.

Entwicklungsministerin für § 46 des Doha-Abschlussdokuments

Bundesministerin Wieczorek-Zeuk hat in einem Brief an die erlassjahr-AG in Göppingen erklärt, dass sie die Schaffung eines fairen und transparenten Insolvenzverfahrens für Staaten weiterhin unterstützt. Der entsprechende Paragraph §46 im Entwurf für die Abschlusserklärung der Doha-Konferenz Financing for Development findet ihre ausdrückliche Zustimmung.
Nachdem noch vor drei Wochen deutlich negativere Worte von ihr zu vernehmen waren, ist diese positive Haltung sicherlich auch ein Ergebnis der Postkartenaktion von erlassjahr.de.
Da gleichzeitig bei der ersten Dialogrunde über das Schuldenkapitel in New York die EU enttäuschenderweise den Paragraph abgelehnt hat, ist es nun umso wichtiger den Druck auf die Bundesregierung aufrecht zu erhalten. Die Entwicklungsländer in der G77 und einige Industrieländer unterstützen die Forderung nach einem neuen Verfahren nachdrücklich. Die Verhandlungen in den kommenden Wochen bis zur Konferenz selbst Ende November werden nun über den Ausgang des Doha-Prozesses an diesem Punkt entscheiden.
Natürlich wird eine UNO-Erklärung noch kein verändertes Verfahren auf den Weg bringen, aber die Ermutigung für verschuldete Länder, Alternativen zu den Gläubiger-dominierten Prozessen in der Weltbank und im Pariser Club zu verlangen, wäre gewaltig. Deshalb sollte der Druck auf die Bundesminister/innen Steinbrück und Wieczorek-Zeul unbedingt aufrecht erhalten werden. Postkarten können noch im erlassjahr-Büro bestellt werden. Und wie man sieht, beantwortet die Ministerin auch gerne freundliche Briefe.