30. Juni 2021

„Zu wichtig, um Schulden zu erlassen?”: Bericht zur Online-Diskussion zur (Nicht-)Beteiligung multilateraler Gläubiger

WASHINGTON, DC - JANUARY 6, 2019: THE WORLD BANK - sign at headquarters building exterior with bench.
© DCStockPhotography / Shutterstock.com

Im Zuge der Veröffentlichung der Fachinformation 67 „Häufig vorgebrachte Argumente gegen die Beteiligung von multilateralen Entwicklungsbanken an Schuldenerlassen – und was von ihnen zu halten ist“ organisierte erlassjahr.de am Freitag, dem 25.06.2021, ein Online-Fachgespräch. Unter dem Titel „Zu wichtig, um Schulden zu erlassen? Die Diskussion um den Erlass multilateraler Schulden für COVID-19-betroffene Länder“ diskutierten Dr. Thomas Schäkermann, Referent im Referat IC3 (Multilaterale Entwicklungsbanken/AIIB; Umschuldungen/Pariser Club) im Bundesministerium für Finanzen und Jürgen Kaiser, Mitgründer und langjähriger Politischer Koordinator von erlassjahr.de. Moderiert wurde die Veranstaltung von Elise Kopper, Referentin für Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit bei erlassjahr.de.

Die Diskussion startete mit zwei kurzen Inputs der Referenten. Jürgen Kaiser machte auf die Auswirkungen der Corona-bedingten Rezession auf die aktuelle Schuldenkrise aufmerksam und erläuterte kurz die dadurch entstandenen Entschuldungsinitiativen, das Schuldenmoratorium DSSI und das Common Framework der G20. Bei diesen Initiativen, so Kaiser, seien erstmals seit Jahren wieder über Stundungen und Umstrukturierungen von Staatsschulden über Einzelfälle hinaus mit einer Ländergruppe verhandelt worden.

Werde über Schuldenerleichterungen gesprochen, stellen sich grundsätzlich drei Fragen: Wem, wie viel und wer Schulden erlassen solle. Gläubiger von Staaten seien grundsätzlich auf drei Ebenen zu finden, bilateral-öffentlich, multilateral und privat. In der Diskussion heute stünden die multilateralen Entwicklungsbanken (engl. Multilateral Development Banks, MDBs) im Vordergrund. Grundsätzlich beanspruchten MDBs für sich die Rolle der sogenannten „preferred creditors“. Das heißt, dass bei Rückzahlungsschwierigkeiten primär private und bilaterale öffentliche Gläubiger Zugeständnisse gewähren sollten. Dieser Status werde von den Hauptanteilseignern der Internationalen Finanzinstitutionen bisher recht erfolgreich gewährleistet. Tatsächlich werde häufig nicht nur eine „preferred“ (d.h. bevorzugte) Behandlung, sondern de facto der Status eines „exempt“ Gläubigers durchgesetzt – d.h., dass multilaterale Forderungen gänzlich aus Schuldenerlassen ausgeschlossen würden. Da sich in der Vergangenheit, insbesondere in der sogenannten „Schuldenkrise der Dritten Welt“, gezeigt habe, dass Zugeständnisse von privaten und öffentlichen bilateralen Gläubigern manchmal nicht ausreichten, hätten sich die MDBs Anfang der 2000er Jahre im Rahmen der HIPC und MDRI-Erlasse schließlich ebenfalls an Streichungen beteiligt. Jedoch erst, nachdem eine nachhaltige Lösung lange hinausgeschoben worden sei. Dieser Fehler, mahnte Kaiser, sollte heute nicht wiederholt werden. Daher sei es wichtig, mit häufig angeführten, aber irreleitenden Argumenten, warum sich MDBs nicht beteiligen könnten, zu brechen. Kaiser nannte an dieser Stelle zunächst zwei Aspekte: Erstens werde häufig argumentiert, dass die Beteiligung von MDBs zu Abwertungen der Institutionen und damit zu einer verteuerten Kreditaufnahme führte. Dies sei jedoch empirisch nicht belegt. Zweitens sei eine grundsätzliche Beteiligung bzw. grundsätzlich die Möglichkeit, dass auch MDBs Abschreibungen hinnehmen müssten, sogar notwendig, um im Vorhinein einen Anreiz für eine verantwortliche Kreditvergabepraxis zu etablieren.

Dr. Thomas Schäkermann stellte in seinem Input zunächst die positiven Errungenschaften Deutschlands und der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf die Bewältigung der ökonomischen Folgen der COVID-19 Krise vor. Durch die DSSI seien, so Schäkermann, die Schuldendienstzahlungen von 73 Niedrigeinkommensländern gegenüber öffentlichen bilateralen Gläubigern bis Ende 2021 gestundet worden. Mehr als die Hälfte der Länder nehme an der Initiative teil und 2020 seien dadurch 5,7 Milliarden US-Dollar gestundet worden. Dadurch werde das Liquiditätsproblem für diese Länder reduziert und für gesundheitliche und andere Herausforderungen könne besser vorgesorgt werden. Zusätzlich sei mit dem Common Framework der G20 für Länder, für die die Stundung bis Ende 2021 nicht ausreiche, ein Umschuldungsprogramm geschaffen. Wichtig dabei sei, so Schäkermann, dass China als größter bilateraler Gläubiger mit dabei sei. Eine Umschuldung durch das Common Framework hätten bislang jedoch nur drei Länder beantragt, Tschad, Sambia und Äthiopien. Deutschland, so Schäkermann, sei aber offen dafür, den Zugang zu den Verhandlungen auch für andere Länder zu öffnen, was bisher insbesondere von China nicht unterstützt werde. Zudem sollten sich zukünftig auch private Gläubiger Restrukturierungen durch das Common Framework beteiligen. So sei zum Beispiel im Falle des Tschads das Gläubigerkomitee mit dem wichtigsten Privatgläubiger, dem Unternehmen Glencore, im Gespräch.

In Bezug auf das Thema der heutigen Diskussion stellte Schäkermann zunächst klar, dass für Fragen rund um die Weltbank das Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) federführend sei. Die Bundesregierung vertrete aber grundsätzlich die Position, MDBs nicht bei Schuldenerlassen miteinzubeziehen. Als Grund dafür nannte Schäkermann, dass das Kapital von Anteilseignern wie Deutschland wichtig für die Finanzierung der multilateralen Entwicklungsbanken sei und die Anteilseigner dann indirekt für Schuldenerlasse aufkommen müssten. Beispiele dafür, so Schäkermann, seien ältere Entschuldungsinitiativen wie HIPC und MDRI, bei denen Verluste der Multilateralen durch die Anteilseigner ausgeglichen wurden. Die Grundidee der MDBs sei, dass das „Paid-In“-Kapital und das „Callable“-Kapital der Anteilseigner gar nicht angefasst werde, sondern nur als Sicherheit diene, privates Kapital zu akquirieren. Dass bisher keine Downgradings durch Rating-Agenturen in Bezug auf die MDBs stattgefunden hätten, sei für ihn kein valides Argument, denn diese Situation versuche man ja gerade zu vermeiden.

Im Anschluss an die beiden Statements der Referenten folgte eine Fragerunde mit den rund 20 Teilnehmern*Innen, bei der u.a. Fragen nach der Rolle potenzieller Downgradings, dem Unterschied zwischen der Schuldenerlassinitiative CCRT des Internationalen Währungsfonds (IWF) und dem Nicht-Erlass der Weltbank, der Schwierigkeit, private Gläubiger zu beteiligen, wenn multilaterale sich weigerten, und nach der Bedeutung von Sonderziehungsrechten (engl. Special Drawing Rights, SDRs) auf.

In Bezug auf die Downgradings antwortete Kaiser, dass die Kompensierung der Entschuldung von Multilateralen in HIPC-Zeit nicht vollständig durch Anteilseigner der Multilateralen finanziert worden sei, sondern auch durch Goldveräußerungen des IWF und aus Gewinnen der IBRD. Auch das habe keinen Einfluss auf die Ratings der MDBs gehabt.

Schäkermann bemerkte in Bezug auf die Privatgläubigerbeteiligung, dass gegenüber den privaten Gläubigern genügend Recht und moralisches Gewicht bestehe, eine Beteiligung zu fordern. Die MDBs seien wichtig, so Schäkermann, da sie zur Krisenbewältigung durch Neukreditvergabe beitrügen. Die Frage, ob MDBs sich an Schuldenerlassen beteiligen sollten, münde in der Frage, wie viel Geld der Entwicklungsfinanzierung in diese Maßnahmen fließen könne und wofür das Steuerzahlergeld allgemein ausgegeben werden solle. Über die Verwendung der SDRs entscheide die Bundesbank. Eine Umwidmung des deutschen Anteils der SDRs schließe die Bundesbank jedoch aus. Deutschland müsse sich demnach an eventuellen internationalen Initiativen mit echten Haushaltsmitteln beteiligen. Hier wandte Kaiser ein, dass die Bundesbank bei Entschuldungsfragen eine eher destruktive Rolle spiele und nicht so leicht vom Haken gelassen werden solle.

Abschließend formulierte Kaiser, dass eine Beteiligung der MDBs an Schuldenerlassen auch zur Disziplinierung der Kreditvergabe von Weltbank und anderen Gläubigern beitragen könne. Denn ohne eine zumindest potentielle Beteiligung an Erlassen gebe es kaum Anreize, Kreditvergabeentscheidungen auf ihre Sinnhaftigkeit zu prüfen.

Wir danken den Referenten für ihre Inputs und allen Teilnehmenden für die angeregte Diskussion! Wer mehr zum Thema lesen möchte, findet weitere Informationen und Argumente in der neuen erlassjahr.de-Fachinformation 67: „Häufig vorgebrachte Argumente gegen die Beteiligung von multilateralen Entwicklungsbanken an Schuldenerlassen – und was von ihnen zu halten ist“.