29. März 2021

Wird 2021 das Jahr der Staatspleiten? Bericht zur Online-Diskussion am 22.03.

Durch die COVID-19-Pandemie hat sich die Schuldenkrise für viele Länder des Globalen Südens zum Teil dramatisch verschärft. Ein Jahr nach Beginn der Pandemie sollte daher im Rahmen der Online-Diskussion “Globale Schuldenkrise: Wird 2021 das Jahr der Staatspleiten?” Bilanz zu den 2020 beschlossenen Schuldenerleichterungen der G20 gezogen werden. Wie geht es weiter mit dem Common Framework der G20? Welche darüber hinausgehenden Schritte sind zur Bewältigung der Schuldenkrise notwendig? Und welche konkreten Auswirkungen hat die Krise auf Staaten wie Sambia? Diesen Fragen widmeten sich am 22. März 2021 die drei Podiumsgäste Dr. Charity Musamba, Direktorin des Schuldenprojekts des Jesuit Centre on Theological Reflection in Sambia, Ludger Wocken, Leiter des Referats „Multilaterale Entwicklungsbanken/AIIB, Umschuldungen und Pariser Club“ im Bundesfinanzministerium (BMF) und Stephanie Blankenburg, Leiterin der Abteilung „Debt and Development Finance“ der UN Conference on Trade and Development (UNCTAD). Moderiert wurde die Diskussion von Dr. Klaus Schilder, Experte für Entwicklungsfinanzierung beim Katholischen Hilfswerk MISEREOR.

Zu Beginn stellte Kristina Rehbein, Geschäftsführerin und Politische Koordinatorin bei erlassjahr.de, die Ergebnisse des Schuldenreport 2021 vor. Der Ausbruch der Pandemie sei Anfang 2020 bereits auf eine kritische Schuldensituation und Rezession in Entwicklungsländern getroffen. Das im April 2020 von der G20 beschlossene Schuldenmoratorium, die Debt Service Suspension Initiative (DSSI), und das im November verabschiedete Umschuldungsrahmenwerk Common Framework for Debt Treatments beyond the DSSI seien begrüßenswerte Schritte der G20 gewesen, würden jedoch dem Ausmaß der Krise ein Jahr nach der Pandemie nicht gerecht. Die schon zu Beginn der Initiativen identifizierten Defizite blieben, darunter die Beschränkung und Auswahl der qualifizierten Länder nach der Höhe des pro-Kopf-Einkommens und der fehlende verbindliche Einbezug aller, auch privater und multilateraler Gläubiger. Hinreichende Schritte, die Beteiligung privater Gläubiger an den Initiativen zu erzwingen, seien nicht unternommen worden. Stattdessen habe ein die Nichtbeteiligung legitimierender Diskurs nachhaltig Einzug in die öffentliche Berichterstattung genommen. Anstatt dass die beispiellosen Verwerfungen durch die Pandemie zum Anlass genommen seien worden, umfassende Schuldenerlasse und systemische Reformantworten auf den Weg zu bringen, sei die Rückkehr zu einer Diskussion über vertragliche Verfahrensverbesserungen sowie einen Zustand des Abwartens zu beobachten gewesen. Der Schuldenreport fordere weitergehende Schritte, darunter auch den Einsatz der Bundesregierung für einen Prozess zur Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens.

Ludger Wocken wies in seinem Beitrag auf die schwierige Lage weltweit hin. Die Pandemie sei nicht nur eine Wirtschaftskrise, sondern auch eine Gesundheitskrise. Die G20-Staaten hätten schnell und gemeinsam auf die Pandemie reagiert. Die DSSI habe innerhalb der G20 und damit auch mit dem mittlerweile für viele Entwicklungsländer wichtigen bilateralen Gläubiger China zu einer ersten Koordinierung von Entschuldung geführt. Herr Wocken betonte die Wichtigkeit einer Gleichbehandlung der Gläubiger sowie eines Systems, mit dem alle Länder praktisch arbeiten könnten. Private Gläubiger sollten durch den öffentlichen Druck durch die G20 dazu angeregt werden, sich an Schuldenerlassen zu beteiligen. Zentral sei jedoch auch die Verhandlungskapazität der jeweiligen Schuldnerregierungen. Auch die Problematik rücksichtsloser Kreditaufnahmen und der Bedarf an besseren Kapazitäten zur Kontrolle von Kreditaufnahme und Kreditmittelverwendung wurden von Herrn Wocken angesprochen.

Dr. Charity Musamba berichtete über die kritische Lage im seit November 2020 zahlungsunfähigen Sambia. Die fallenden Rohstoffpreise, vor allem für Kupfer, wirkten sich negativ auf den Staatshaushalt aus. Eine Umschuldung sei notwendig. Als eines der ersten Länder habe Sambia deshalb im Februar 2021 eine Umschuldung im Rahmen des Common Framework der G20 beantragt. In den aktuellen Initiativen bliebe aber weiterhin ungeklärt, wie die in Sambia stark exponierten privaten Gläubiger angemessen und ausreichend einbezogen werden könnten. Die Ursachen für die Überschuldung sieht Dr. Musamba unter anderem in schlechter Regierungsführung und dem Fehlen eines starken institutionellen Rahmens für die ordnungsgemäße Verwendung der Kredite. In der Verantwortung sieht sie ebenfalls den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Auf die Frage nach der Rolle von Bergbauunternehmen an der Krise in Sambia antwortete Dr. Musamba, dass diese eine bedeutende Macht im Land innehätten. Die multinationalen Konzerne erhielten mit der Hoffnung auf höhere Steuereinnahmen Schürfrechte und staatliche Garantien von der Regierung. Jedoch fehlten die institutionellen Kapazitäten, Steuerzahlungen ausländischer Unternehmen tatsächlich auch zu kontrollieren.

Stephanie Blankenburg plädierte für mehr Zusammenarbeit der Akteure. Es gebe derzeit keinen multilateral umfassenden, fairen und effizienten Mechanismus im Umgang mit der wachsenden Anzahl an Schuldenkrisen. Sie forderte grundlegende Reformen in der Entschuldung von Entwicklungsländern und kritisierte scharf, dass multilaterale Institutionen, ungeachtet von allgemein anerkannten wissenschaftlichen Kriterien, rein politisch vorgingen. Nur durch einen gesetzlichen Rahmen könnten die ungleichen Verhandlungspositionen zwischen Schuldnern und Gläubigern ausgeglichen und langfristige Erfolge in Entwicklungsländern erzielt werden.

In der anschließenden Diskussion zwischen den rund 60 Teilnehmer*innen und den Referent*innen kam u. a. der Vorschlag auf, eine ergebnisoffene Multi-Stakeholder-Konsultation in den Vereinten Nationen zu schaffen, um Reformen inklusiv und transparent zu entwickeln.

erlassjahr.de dankt den Referent*innen und allen Teilnehmenden für das Interesse und die rege Diskussion!

Bericht: Tillmann Krais

Weitere Informationen

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erlassjahr.de-Länderinformation Sambia

Einladung und Programm der Podiumsdiskussion am 22.03.2021