Im Rahmen erster Schuldenrestrukturierungen in Ländern des Globalen Südens nach der COVID-19-Pandemie hat sich gezeigt, dass angesichts deutlich komplexerer Gläubigerprofile die Koordination der vielen unterschiedlichen Gläubiger einer schnellen und nachhaltigen Lösung von Schuldenkrisen im Wege steht.
Sowohl bei den Restrukturierungen in Sambia und Tschad innerhalb des Rahmens des G20 Common Framework als auch bei Restrukturierungen in Suriname und Sri Lanka außerhalb des Common Framework ist ein Muster erkennbar: Gläubiger müssen mit wirtschaftlichen Anreizen von der Teilnahme überzeugt werden. Um den Preis, alle Gläubiger einzubeziehen, fällt die Schuldenerleichterung deshalb minimal aus. Ob eine tragbare Schuldensituation in den betroffenen Ländern zu erreichen ist, ist fraglich.
Vor dem Hintergrund dieser Problematik organisierte erlassjahr.de am 11. Dezember 2023 gemeinsam mit Brot für die Welt und Misereor den Runden Tisch „Bringing all creditors on board!“, der Politiker*innen, Wissenschaftler*innen und zivilgesellschaftliche Akteur*innen zusammenbrachte. Eine Basis für die Diskussionen stellten die von den Organisator*innen vorab formulierten Reformvorschläge dar.
Wie kann der Privatsektor in tiefgreifende Schuldenrestrukturierungen einbezogen werden?
Das erste Panel befasste sich mit der Frage, wie private Gläubiger besser an umfangreichen Schuldenrestrukturierungen beteiligt werden können. Guillaume Chabert, stellvertretender Direktor des Strategy, Policy and Review Department des Internationalen Währungsfonds (IWF), hob hervor, dass aus seiner Sicht die bereits existierenden Ansätze zur Beteiligung des Privatsektors gut funktionierten.
Andere Teilnehmende betonten hingegen die Notwendigkeit der Schaffung neuer verbindlicher Regelungen. Dazu zähle zum Beispiel ein nationales Gesetz, um die Beteiligung des Privatsektors zu erzwingen:
„[…] Ein erster Schritt, ein Schritt vorwärts, ist die Förderung […] nationaler Gesetzgebung, um zu verhindern, dass unkooperative private Gläubiger Schuldnerländer unter Druck setzen.“
– Iolanda Fresnillo, Policy and Advocacy Manager Debt Justice beim European Network for Debt and Development (Eurodad)
Dr. Daniel Reichert-Facilides, Autor eines Vorschlags für ein Safe-Harbour-Gesetz, zeigte auf, wie ein solches Gesetz einen Beitrag zur Lösung von Schuldenkrisen leisten könnte.
Muss der bevorzugte Gläubigerstatus multilateraler Institutionen überdacht werden?
Das zweite Panel befasste sich mit multilateralen Gläubigern: Obwohl multilaterale Gläubiger wie die Weltbank in vielen hochverschuldeten Ländern eine wichtige Rolle spielen, befürworten u. a. Mitgliedsstaaten des Pariser Clubs die Beibehaltung des „bevorzugten Gläubigerstatus“ („preferred creditor status“). Dieser bedeutet, dass multilaterale Institutionen von Schuldenrestrukturierungen ausgenommen werden, also bevorzugt zurückbezahlt werden müssen.
Philippe Guyonnet Duperat, Generalsekretär des Pariser Clubs, betonte die Vorteile der Bereitstellung frischen Geldes im Gegensatz zu Schuldenerlassen durch multilaterale Gläubiger. Unter anderem verwies er darauf, dass multilaterale Institutionen Mittel dann zur Verfügung stellen würden, wenn dies andere Akteure nicht tun, und diese Funktion gefährdet wäre, wenn sie Forderungsverluste hinnehmen müssten.
Dr. Marina Zucker-Marques, Wissenschaftlerin bei der SOAS University of London, plädierte dafür, stattdessen die Realität in kritisch verschuldeten Ländern zur Grundlage für die Entscheidung zu machen, ob multilaterale Gläubiger Schulden erlassen müssten. Denn in vielen Ländern würde man die Schuldenprobleme ohne Einbezug der Multilateralen nicht lösen können. In der Diskussion wurden auch Vorschläge diskutiert, wie trotzdem eine faire Lastenteilung mit Gläubigern, die hohe Zinsen bei ihrer Kreditvergabe verlangt haben, ermöglicht werden könnte.
Auch Matthew Martin, Direktor von Development Finance International, stellte in Frage, warum heute keine Schuldenerlasse durch Multilaterale möglich seien. Er wies darauf hin, dass es bereits in der Vergangenheit möglich gewesen sei, multilaterale Schuldenerlasse umzusetzen – ohne dass multilaterale Entwicklungsbanken dabei Schaden genommen hätten.
Wie kann mit China konstruktiv zusammengearbeitet werden?
Das dritte Panel befasste sich mit der Volksrepublik China, dem größten bilateralen öffentlichen Gläubiger von Ländern im Globalen Süden. Durch die Schaffung des G20 Common Framework ist China an der gemeinsamen Koordination öffentlicher bilateraler Gläubiger in Schuldenrestrukturierungen involviert.
Teilnehmende thematisierten Anreize für China, sich an gemeinsamen Schuldenrestrukturierungen zu beteiligen. Laut Prof. Dr. Deborah Bräutigam, Direktorin der China Africa Research Initiative und emeritierte Professorin für Politische Ökonomie an der Johns Hopkins University, gehöre dazu unter anderem der Anspruch Chinas an die Gewährleistung einer fairen Lastenteilung zwischen Gläubigern. Dr. Robert Plachta, Leiter des Referats „Schuldenumstrukturierung und Pariser Club“ des deutschen Bundesministeriums der Finanzen, betonte die Notwendigkeit, auf Chinas Ansprüche einzugehen und sich für stärkeres Vertrauen zwischen China und anderen bilateralen öffentlichen Gläubigern einzusetzen.
Mit Bezug zu Deutschlands China-Strategie stellte Dr. Nora Sausmikat vom China Desk bei Urgewald als Schwäche heraus, dass unter anderem die Selbstverpflichtung zum Einsatz für ein kodifiziertes Staateninsolvenzverfahren aus dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung nicht in die Strategie aufgenommen wurde.
Dr. Ahilan Kadirgamar von der University of Jaffna in Sri Lanka stellte die Konzentration auf China bei der Frage besserer Schuldenrestrukturierungen in Frage. Die Verschuldungssituation von Sri Lanka – ein Land, das vom Westen über viele Jahre als Vorzeigebeispiel für die „Chinesische Schuldenfallendiplomatie“ genutzt worden sei – sei nach seiner Darstellung nicht primär auf chinesische Investitionen zurückzuführen. Er betonte stattdessen die kommerzielle Kreditaufnahme, welche durch Programme des IWF gefördert wurde, als zentralen Faktor in der Verursachung Sri Lankas Schuldenkrise.
„Wenn es eine Art von „Schuldenfalle“ gibt, dann ist es eher eine IWF-Schuldenfalle als eine chinesische Schuldenfalle.“
– Dr. Ahilan Kadirgamar, University of Jaffna, Sri Lanka
Gläubigerkoordination – kein Selbstzweck
Zum Ende der Veranstaltung bilanzierte Malina Stutz, Politische Referentin bei erlassjahr.de, dass politischer Wille entscheidend für die Lösung der komplexen Fragen hinsichtlich der Gläubigerkoordination sei. Außerdem erinnerte sie an das größere Ziel, zu welchem eine Gläubigerkoordination beitrage.
„[…] Gläubigerkoordination ist kein Selbstzweck – das eigentliche Ziel ist, ausreichend tiefgehende Schuldenumstrukturierungen zu sichern. Das eigentliche Ziel ist es, eine Wiederholung des „too little-too late“-Fehlers zu vermeiden. Das eigentliche Ziel ist, sicherzustellen, dass Schulden nicht zur Falle werden […].“
– Malina Stutz, Politische Referentin bei erlassjahr.de
Wir danken allen Teilnehmenden für die konstruktive Diskussion und unseren Kooperationspartner*innen von Brot für die Welt und Misereor für die gelungene Zusammenarbeit!
* Alle Zitate wurden von den Veranstalter*innen aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.
Bericht: Manuel Simon, erlassjahr.de