21. März 2023

Schulden bei Russland: Ukraine muss erst mal nicht zahlen

Nessa Gnatoush / CC BY-NC 2.0

Die Ukraine kann die Rückzahlung des Schuldendienstes auf fragwürdige Schulden bei Russland aussetzen. Das bestätigte der britische Supreme Court am 16. März 2023. Die Anleihe war 2013 von der damaligen Russland-freundlichen Regierung des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch platziert worden. Russland hatte das 3 Milliarden US-Dollar schwere Papier komplett aufgekauft.

2014 war Janukowitsch durch den Euromaidan-Aufstand gestürzt worden und nach Russland geflohen. Nach der Besetzung der Krim durch Russland und den Beginn des Krieges im Donbass hat die Ukraine die Bedienung der Anleihe verweigert. Da diese unter britischem Recht in US-Dollar begeben worden war, bemüht sich Russland seither um die Erzwingung des Schuldendienstes durch Londoner Gerichte. 2017 und 2018 lehnte der High Court die Klage der Ukraine ab. Diese Entscheidungen wurden nun vom Supreme Court kassiert.

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Forderung grundsätzlich nicht mehr gültig ist. Vielmehr ist der High Court durch die Entscheidung der übergeordneten Instanz nunmehr verpflichtet, ein Verfahren auf der Grundlage der ukrainischen Zurückweisung durchzuführen.

Präzedenzfall für die Infragestellung illegitimer Schulden?

In den ersten Verfahren hatte die Ukraine noch argumentiert, die Forderung hätte in eine 2015 erreichte Umschuldung mit allen anderen Anleiheinhabern einbezogen werden müssen. Russland hingegen sieht in ihr eine de-facto zwischenstaatliche Verbindlichkeit, die – wenn überhaupt – im Pariser Club umgeschuldet werden müsse. Dieses formale Argument der Ukraine war aber offensichtlich nicht mehr Grundlage der Entscheidung des Supreme Court. Vielmehr ging es um die – grundsätzlich viel spannendere – Frage, ob eine Schuld auch dann zurückgezahlt werden muss, wenn sie der Kreditgeber dem Kreditnehmer quasi aufgezwungen hat. Das sieht die heutige ukrainische Regierung als gegeben an, da der Kredit seinerzeit quasi die Belohnung Russlands für Janukowitschs Weigerung war, das bereits ausgehandelte bilaterale Abkommen mit der EU zu unterzeichnen.

Solche „Angebote, die die Kreditnehmer nicht ablehnen konnten“ hat es in der Geschichte immer wieder gegeben: von den Krediten britischer Banken zur Bezahlung der Entschädigungen der jungen Republik Haiti an die ehemaligen französischen Sklavenhalter*innen im frühen 19. Jahrhundert bis zum größten Kredit der IWF-Geschichte im Jahr 2018 an Argentinien. Diesen hatte auf Druck der damaligen US-Regierung der Trump-freundliche argentinische Präsident Macri erhalten, um umfassende Wahlgeschenke vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen zu finanzieren. Die Wahl ging für Macri gleichwohl verloren und die Nachfolgeregierung ringt mit der Bedienung eines Kredits, den Argentinien weder gewollt noch gebraucht hat.

Sollte sich die ukrainische Position auch vor dem nunmehr anzuberaumenden High Court-Prozess durchsetzen, könnte das ein wichtiges Signal für die Infragestellung weiterer potenziell illegitimer Schulden sein.

Euromaidan in Kyiv on 1 December 2013” von Nessa Gnatoush / CC BY 2.0