12. Dezember 2020

Latindadd: Moratorium und Schuldenrestrukturierung für Nothilfe und Wiederaufbau in Mittelamerika

Latindadd-Logo-News

Im November 2020 zerstörten „Eta“ und „Iota“, zwei Hurrikane der höchsten Kategorie, weite Teil der Karibikküste Mittelamerikas. Mit Unterstützung des lateinamerikanischen Entschuldungsnetzwerks Latindadd (Red Latinoamericana por Justicia Económica y Social) fordern nun Nichtregierungsorganisationen aus vier Ländern der Region ein Schuldenmoratorium zur Unterstützung des Wiederaufbaus sowie eine transparente und partizipative Verwendung der freiwerdenden Mittel. 38 Organisationen und Netzwerke aus vielen Teilen der Welt, darunter erlassjahr.de, unterstützen den Aufruf. Er soll in den kommenden Monaten den Regierungen der Region als Grundlage für eine politische Initiative übergeben werden. erlassjahr.de appelliert an die Bundesregierung, die Entschuldung von Ländern, die Opfer von Klimakatastrophen werden, nicht weiter zu blockieren.

Die Erklärung im Wortlaut (Übersetzung erlassjahr.de):

Moratorium und Schuldenrestrukturierung für Nothilfe und Wiederaufbau in Mittelamerika

Die Wirbelstürme Eta und Iota waren für die Region Mittelamerika extreme Katastrophen. Niemals zuvor ist das statistisch äußerst Unwahrscheinlich eingetreten, dass nämlich zwei Wirbelstürme der höchsten Kategorie – wobei Iota überhaupt der stärkste Sturm des Jahres 2020 war – den gleichen Teil der Karibikküste mit einem Abstand von nicht einmal zwei Wochen getroffen haben. 

Zu den Schäden gehören die Beeinträchtigung der Lebensmittelversorgung, der Verlust von Infrastruktur, Dörfer, die komplett verschüttet wurden, sowie eine Zunahme der Ansteckungen mit COVID-19. Wir müssen feststellen, dass das Fehlen von Behausungen, von Hygienemaßnahmen und von Vorbeugungsmöglichkeiten für die Betroffenen die Zahl der Ansteckungen in die Höhe treibt. Die Gewalt, insbesondere gegen Frauen, nimmt zu, und die Trennung von Familien in den zur Verfügung stehenden Notunterkünften erhöht Armut und Ungleichheit. Am stärksten getroffen wurden Honduras, Nicaragua und Guatemala, wo ingesamt 200 Tote zu beklagen waren und tausende Hektar landwirtschaftlicher Produktionsfläche verloren gingen. In etwas geringerem Maße waren aber auch Costa Rica, El Salvador und Panama betroffen.

In der aktuellen Weltsituation gibt es für die Mitteleinkommensländer Lateinamerikas, die meisten von ihnen niedrig-Mitteleinkommensländer, keine Möglichkeit, der doppelten Krise zu entkommen. Das gilt insbesondere für diejenigen mit einer hohen wirtschaftlichen Verletzlichkeit. Einige Länder der Region geben weniger als 5 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die öffentliche Gesundheitsfürsorge aus und weisen weniger als ein Krankenhausbett pro 1000 Einwohner*innen auf; noch extremer sieht es bei der intensivmedizinischen Vorsorge aus. Mehr als die Hälfte der gesamten Bevölkerung lebt in Armut. Dagegen betragen die Schulden zwischen 45 Prozent und 75 Prozent der Wirtschaftsleistung. Zwei der wichtigsten Einnahmequellen sind drastisch eingebrochen: der Tourismus und die Rücküberweisungen von Migrant*innen.

Als Zivilgesellschaft betrachten wir die bislang von der Staatengemeinschaft getroffenen Maßnahmen als unzureichend und sind äußerst besorgt über den Zustand, in dem die Region sich befindet. Dass die internationale Gemeinschaft sich ausschließlich auf das Verhältnis von Schulden zum BIP bezieht, ist unangemessen. Weitere Verletzlichkeiten der Volkswirtschaften müssen beim Zugang zu Finanzierungen berücksichtigt werden.

Aus diesen Gründen sind wir der Ansicht, dass die Moratoriumsinitiative der G20 (DSSI) der Situation in Mittelamerika nicht gerecht wird. Außerdem zielt sie allein darauf ab, aktuelle Zahlungsverpflichtungen in die Zukunft zu verschieben, und erhöht dadurch die Schuldenlast in den kommenden Jahren. Wenn eine Reaktion auf die Krise allein von einem BIP-Indikator abhängt und lediglich eine Verschiebung des Problems in die Zukunft angeboten wird, haben diese Länder keine Chance.

Angesichts dieser Lage in der Region fordern wir von der internationalen Gemeinschaft für die von den Stürmen betroffenen Länder der Region:

  • Ein Moratorium der Auslandsschulen unter Einbeziehung aller öffentlichen und privaten Gläubiger, als Grundlage für eine spätere Umschuldung.
  • Die Schaffung einer Konsultativgruppe nach dem Vorbild derjenigen, die nach dem Hurrikan Mitch 1998 ins Lebens gerufen wurde; sie muss allerdings Vertreter*innen der sozialen Bewegungen, Gemeinden, Indigenen- und Frauen-Bewegungen einschließen, damit tatsächlich die Bedürfnisse der Betroffenen im Mittelpunkt stehen.
  • Die freiwerdenden Mittel sowie neue Finanzierungen sollen in die Erfüllung einer sozialen Agenda fließen, deren Ausgangspunkt die Bedürfnisse der Bevölkerung sind und die mit einem angemessenen Kontrollmechanismus für die laufende Verwendung der Mittel ausgestattet ist.

Als organisierte Zivilgesellschaft halten wir dies für das Minimum dessen, was für eine rasche, wirksame und alle einschließende Überwindung der Folgen der Naturkatastrophen notwendig ist. Diese haben die bereits zuvor existierenden Verletzlichkeiten unserer Gesellschaft nur allzu deutlich gemacht. Wir sehen in den genannten Maßnahmen die ersten Schritte in einem dringend erforderlichen Systemwandel, um die Krise zu überwinden.

Hier geht es zur Erklärung im Original auf Spanisch, Englisch und Französisch.

 

Weitere Informationen zum Thema

News (17.11.2020): “Rekord-Saison: Hurrikan “Iota” über Znetralamerika”

News (03.11.2020): “Beim 28. Sturm wird es kritisch: Hurrikan “Eta” trifft auf Zentralamerika”

erlassjahr.de-Kampagne “Klimagerechtigkeit braucht Entschuldung”