27. November 2015

Grenada im Pariser Club: um Entschuldung gebeten, Spott geerntet

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Der Pariser Club, ein Kartell von mittlerweile 20 kreditgebenden Regierungen hat am 18. November eine Umschuldung für rund 8 Millionen der ausstehenden 11 Millionen US-Dollar Schulden Grenadas bei den Mitgliedern des Clubs beschlossen. Die Regelung ist insofern bemerkenswert, als sie (einmal mehr) zeigt, dass schwache Schuldnerländer wenig Gutes zu erwarten haben, wenn ihre Gläubiger über sie zu Gericht sitzen.

Was wurde beschlossen und was bedeutet es für Grenada?

8 Millionen US-Dollar sind auch für ein kleines Land wie Grenada mit seinen 100.000 Einwohnern kein bedeutender Teil ihrer gesamten Auslandsschuld. Bevor die Regierung in Paris mit den reichen, westlichen Regierungen verhandelte, hatte sie mit ihren privaten Anleihe-Gläubigern und mit der Regierung Taiwans, die nicht zum Pariser Club gehört, bereits über deutlich größere Beträge verhandelt und eine Reduzierung der jeweiligen Forderungen um rund 50 Prozent ausgehandelt.

Die grenadische Regierung kam mit dem Ziel einer mindestens ähnlichen Regelung von Seiten der vier Club-Mitglieder, bei denen sie verschuldet ist (USA, UK, Frankreich, Russland), nach Paris. Einige Wochen zuvor sprach man sogar von einer vollständigen Streichung. Herausgekommen ist aber nur eine Umschuldung, das heißt eine teilweise Streckung der Rückzahlung. Im Detail: 6 der 8 Millionen sind Zahlungsrückstände aus den letzten zwei Jahren. Die Hälfte davon muss in zwei Raten sofort bezahlt werden. Die andere Hälfte wird zusammen mit den 2 Millionen Fälligkeiten bis Juni 2017 über 20 Jahre bei 7 tilgungsfreien Jahren umgeschuldet, sofern es sich um Entwicklungshilfeschulden handelt. Handelsforderungen werden über 15 Jahre bei 8 Freijahren gestreckt. Die anzuwendenden Zinssätze sind die der ursprünglichen Kreditverträge. Diese liegen zumindest bei den Handelsforderungen weit über heutigen Zinsniveaus, so dass für die Gläubiger eine attraktive mittelfristige Geldanlage dabei herauskommt. Diese Regelung entspricht etwa den „Houston Terms”, die seit 1990 vom Pariser Club auf Länder mit „niedrigem mittlerem Einkommen” angewendet werden, die Liquiditäts- aber keine Solvenzprobleme haben. Grenada allerdings verhandelte aus einer formellen Staatspleite heraus. Zahlungsfähig wurde sie überhaupt nur durch das Entgegenkommen der anderen Gläubiger.

Die Delegation Grenadas stand während der Verhandlungen allein vor der Alternative, diese platzen zu lassen oder letztlich zu akzeptieren, was angeboten wurde. Andere Schuldner verfügten gegenüber dem Club ihrerseits über ein Drohpotenzial wie zu anderen Zeiten etwa der Irak oder Pakistan und erhielten entsprechend großzügigere Regelungen.

Ausgesuchte Niedertracht I: „Gleichbehandlung”

Wer im Pariser Club den Schaden hat, braucht dort für den Spott nicht zu sorgen. Deshalb enthält die Vereinbarung mit Grenada routinemäßig eine „Gleichbehandlungsklausel”. Das heißt: Grenada wird verpflichtet von anderen Gläubigern mindestens so günstige Bedingungen wie vom Club zu erhalten, damit nicht diese von der „Großzügigkeit” des Clubs profitieren, sondern die vereinbarte Entlastung tatsächlich dem Schuldner zugute kommt. Nun sind im Falle Grenada aber die Privatgläubiger und die Taiwanesen Grenada bereits deutlich entgegengekommen. Die Club-Mitglieder profitieren indessen davon, dass diese Gläubiger durch ihren Teilverzicht dem Schuldner etwas finanziellen Spielraum verschafft haben, den die vier Club-Gläubiger sich in Form der erzwungen Sofortzahlungen direkt aneignen.

Ausgesuchte Niedertracht II: Hurrikan-Klausel

Besonders stolz ist der Club in der ansonsten dürftigen Berichterstattung über die Vereinbarung mit Grenada auf eine neu eingefügte Hurrikan-Klausel, die Schuldenerleichterungen im Falle der in der Karibik durchaus häufigen Naturkatastrophen ermöglichen soll. Eine solche Klausel hatten auch die Privatgläubiger in ihre neuen Anleihen aufgenommen, für die sie ihre ursprünglichen Forderungen abgegeben hatten.

Vorsichtshalber wird der Wortlaut dieser Klausel aber nicht ins Netz gestellt. Nach Informationen von Verhandlungsteilnehmern bewirkt sie jedoch nicht etwa eine automatische Zahlungseinstellung im Katastrophenfall, wie sie Granadas Privatgläubiger sinnvollerweise eingeräumt hatten, sondern ermöglicht nur neue Verhandlungen in Paris. Das heißt: Sollte es Grenada eines Tages so ergehen wie der Nachbarinsel Dominica, wo Ende August der Hurrikan Erika 39 Menschen getötet und materielle Schäden im Umfang von 90 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts angerichtet hat (Hurrikan Ivan 2004 in Grenada: 200 Prozent), dann ist es dem Finanzminister offiziell gestattet in Paris anzurufen und um einen Termin in den kommenden Monaten zu bitten, bei dem der Club es dann eventuell huldvoll gestattet, Mittel die zur dringenden Katastrophenhilfe gebraucht würden, im Lande zu lassen, statt sie an die Gläubiger zu überweisen.

Man ist geneigt, den vornehmen Damen und Herren Ministerialen mal eine Nacht unter einem Sturm wie „Erika” zu wünschen. Möglicherweise fielen ihre Beschlüsse dann etwas weniger weltfremd aus. Schließlich ist es nicht schwer vorherzusagen, was im Katastrophenfall passieren wird: Grenada wird kurzfristig laufende Zahlungen einstellen müssen und nach den Definitionen des Clubs damit in die offizielle Zahlungsunfähigkeit rutschen. Gedient ist damit niemandem. Eine Klausel nach dem Vorbild der Privatanleihen hätte statt dessen bei einer entsprechenden Beurteilung durch beispielsweise das United Nations Center for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) automatisch ein mehrmonatiges Moratorium ausgelöst. Damit wäre die offizielle Staatspleite elegant vermieden worden, man hätte Zeit gefunden für eine längerfristige Regelung der Schuldenfrage zu verhandeln, ohne dass Zahlungen der multilateralen Geldgeber in Mitleidenschaft gezogen worden wären, die streng genommen nicht mehr fließen dürften, wenn ein Land offizielle Zahlungsrückstände gegenüber bilateralen Gläubigern aufbaut – also gerade dann, wenn sie am meisten gebraucht werden.

Nachbemerkung I: Quod licet Iovi…

Pikanterweise hatte Frankreich am gleichen Tag auf dem kleinen Dienstweg das Placet der EU-Kommission für das Reißen der Maastricht-Defizit-Hürde aufgrund der zusätzlichen Anti-Terror-Maßnahmen nach den Pariser Anschlägen eingeholt. Ökonomisch sind diese Ausgaben indes für die Grande Nationunbedeutend im Vergleich zu dem, was „Erica” in Dominica oder seinerzeit „Ivan” in Grenada angerichtet haben.

Nachbemerkung II: „Eine Frage des Prinzips”

Möglicherweise auf diesem Hintergrund hatte sich das französische Club-Sekretariat für eine wirksamere Hurrikan-Klausel durchaus stark gemacht. Die Ablehnungsfront wurde indes von der deutschen Delegation angeführt. Sie hält zwar keinerlei eigene Forderungen an Grenada, wollte aber unbedingt jeden Präzedenzfall eines Kontrollverlusts über das Schicksal des Schuldners vermeiden.