Sudan

Hat der Sudan ein Schuldenproblem?

Der Sudan befindet sich im Umsetzungsprozess der Entschuldungsinitiative für hoch verschuldete arme Länder (Heavily Indebted Poor Countries, HIPC). Er hat bereits hohe Zahlungsrückstände abgebaut. Auch die meisten Gläubiger sind an einem Abbau von teilweise mehrere Jahrzehnte alten und ebenso lange unbedienten Forderungen interessiert, um im Land wieder neu investieren zu können. Weitere Fortschritte im Rahmen der Entschuldungsinitiative sind jedoch von einer anhaltenden Demokratisierung des Landes abhängig, wenn sie tatsächlich der Bevölkerung zugutekommen sollen.

Die wichtigsten Schuldenindikatoren (Stand 2020)

Zum Stand 31.12.2020 spiegeln die Schuldenindikatoren des Sudan noch die in Jahrzehnten der Diktatur angehäuften und dann sehr lange nicht mehr bedienten Schulden wider. Weiter unten wird beschrieben, welche Veränderungen durch den inzwischen angelaufenen Entlastungsprozess im Rahmen der HIPC-Initiative erfolgt und noch zu erwarten sind.

IndikatorAusprägungGrenzwert
Auslandsverschuldung im Verhältnis zum Bruttonationaleinkommen (%)115,640
Auslandsverschuldung im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)447,7150
Jährlicher Schuldendienst im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)2,915
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP (%)273,050
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zu den öffentlichen Einnahmen (%)5687,5200
Auslandsschuldenstand 2019 laut IWF (US-Dollar)22,9 Mrd.
Schuldendienst: Zinsen und Tilgungen an ausländische Gläubiger 2019 (US-Dollar)148,0 Mio.

Erklärung zu den Indikatoren und Grenzwerten

Im Falle des Sudan weichen die Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zum absoluten Schuldenstand erheblich voneinander ab. Die Weltbank, deren Angaben zu den Auslandsschulden hier zugrunde liegen, berücksichtigt – auch bei der im Gläubigerprofil zugrunde gelegten Aufteilung auf die einzelnen Gläubigergruppen – nicht die erheblichen Straf- und Verzugszinsen, mit denen der Gesamtschuldenstand rund 55 Milliarden US-Dollar betragen würde.

Wer sind die Gläubiger des Sudan?

Erklärung der Schuldenkategorien

Die gesamten Auslandsschulden eines Landes setzen sich aus den Schulden des öffentlichen Sektors und denen des Privatsektors zusammen. Im Diagramm sind öffentliche Schulden mit Vollfarben und private Auslandsschulden schraffiert dargestellt.

Bei den öffentlichen Schulden werden drei Gläubigergruppen unterschieden, nämlich multilaterale öffentliche Gläubiger – das sind vor allem Entwicklungsbanken und der IWF -, bilaterale öffentliche Gläubiger – das sind andere Regierungen – und private Gläubiger.

Bei den beiden öffentlichen Gläubigerkategorien unterscheiden wir zudem nach konzessionären, also zinsgünstigen Krediten zu Entwicklungshilfebedingungen, und Krediten zu Marktbedingungen („nicht-konzessionäre“).

Bei den öffentlichen Schulden bei privaten Gläubigern unterscheiden wir die beiden Hauptinstrumente, nämlich Bankkredite und Anleihen. Diese beiden Instrumente unterscheiden wir auch bei den Auslandsschulden des Privatsektors.

Alle Auslandsschulden des Sudan bestehen von Seiten des Staates oder sind von ihm garantiert. Sudanesische Unternehmen und Privatpersonen sind nicht im Ausland verschuldet. Mehr als drei Viertel der Auslandsschulden sind bei multilateralen und bilateralen öffentlichen Gläubigern aufgenommen worden. Das verbleibende Viertel entfällt auf private Banken. Der Sudan hat keine Staatsanleihen an internationalen Kapitalmärkten platziert.

Zu dem hier zugrunde gelegten Stichtag Ende 2020 hielten acht multilaterale und 35 bilaterale Gläubiger Forderungen an den Sudan – letztere überwiegend zu nicht-konzessionären Bedingungen. Dies war das Ergebnis umfangreicher Geschäfte, welche von Seiten sehr unterschiedlicher Länder wie den damaligen Ostblockstaaten Polen, Tschechien, Rumänien und Russland, Staaten im Globalen Süden wie den Golfstaaten und Pakistan bis zu westlichen Staaten wie der Schweiz, Österreich und Norwegen mit der Diktatur Bashirs gemacht worden waren. In der gleichen Kategorie fordert Deutschland 80 Millionen US-Dollar. Nach Angeben des Bundesfinanzministeriums sind das einschließlich der Verzugszinsen inzwischen 425 Millionen Euro.

Trend

Die Schuldenstände und -indikatoren des Sudan waren bis zum Juni 2021 insofern stabil, als die Regierung zuvor praktisch keinen Zugang zu neuen Krediten hatte. Private Kreditvergabe hat es seit 2005 nicht mehr gegeben. Die Auszahlungen aus den zugänglichen bilateralen und multilateralen Quellen waren in den letzten zehn Jahren ebenfalls deutlich zurückgegangen. Geber wie die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützten den Sudan indes weiterhin. Seit der Unabhängigkeit des Südsudan haben sich die Exporteinnahmen auf rund ein Drittel verringert.

Deutlich zurückgegangen ist sowohl gegenüber multilateralen wie bilateralen öffentlichen Kreditgebern der Anteil an konzessionären Finanzierungen. Sie wurden durch teure marktnahe Kredite aus den wenigen zugänglichen Quellen ersetzt, ohne dass dies auf die absolute Schuldenhöhe einen spürbaren Einfluss gehabt hätte.

Bisherige Schuldenerleichterungen für den Sudan

Der Sudan hat zwischen 1979 und 1984 viermal zu sogenannten Classic Terms, das heißt ohne Schuldenreduzierungen im Pariser Club umgeschuldet. Alle vier Abkommen sind, obwohl bereits reichlich betagt, noch aktiv, da der Schuldner zwischenzeitlich Zahlungen an einzelne Mitgliedsstaaten des Pariser Clubs eingestellt hat.

Russland hat dem Sudan Ende 2016 unter Außerachtlassung der so genannten „Gläubigersolidarität“ im Pariser Club einseitig rund 17 Millionen US-Dollar erlassen.

Der Sudan ist eines der letzten drei Ländern, die für die HIPC-Initiative qualifiziert sind, sie aber noch nicht abgeschlossen haben. Bei der Unabhängigkeit des Südsudan 2011 hatte die Regierung in Khartum sich bereit erklärt, auf eine Aufteilung der Schulden des Staates zu verzichten, wenn die Gläubiger im Gegenzug die vorgesehene HIPC-Entschuldung umsetzten.

Nach dem Sturz des Bashir-Regimes 2019 und seiner Ersetzung durch eine fragile zivil-militärische Koalition ist im Sudan eine wichtige Voraussetzung für die HIPC-Entschuldung erreicht worden, durch die ein wichtiger Vorwand der Gläubiger, die Zusage aus der Sezessionszeit endlich einzulösen, weggefallen ist. Doch bis zum Sommer 2021 machte der IWF die fehlende Bereitschaft der Regierung, die Zahlungsrückstände zu begleichen und sich einem Strukturanpassungsprogramm zu unterwerfen, verantwortlich dafür, dass die Entschuldung nicht umgesetzt wurde.

Erst am 28. Juni 2021 wurde daher der sogenannte Decision Point der HIPC-Initiative erreicht, und dem Land ein umfangreicher vorläufiger Erlass des laufenden Schuldendienstes (Interim Relief) gewährt: Die Gesamtschulden wurden von 56 Milliarden auf 28 Milliarden US-Dollar halbiert. An dem für den Juni 2024 geplanten Completion Point sollen die Gesamtschulden auf rund 6 Milliarden US-Dollar gesenkt werden.

Die USA hatten das Land Anfang 2021 von der Liste der Terrorfinanzierer genommen und sogleich mehr als eine Milliarde US-Dollar für die Begleichung der Zahlungsrückstände bei der Weltbank bereitgestellt. Die britische Regierung ermöglichte das gleiche mit rund 300 Millionen Pfund gegenüber der Afrikanischen Entwicklungsbank.

Aktuelle Risiken für die Schuldentragfähigkeit

Alle Gläubiger bemühen sich derzeit um eine zügige Umsetzung des HIPC-Prozesses, welcher, wenn er denn erfolgreich umgesetzt werden kann, eine Chance auf einen echten Neuanfang bedeuten würde. Damit würde das Land auch wieder zu einem attraktiven Standort für ausländische Anleger.

Das bedeutendste Hindernis für eine zügige Umsetzung stellen im Moment allerdings nicht die ausländischen Altgläubiger dar, sondern die inneren Verhältnisse im Sudan selbst. Das fragile Machtgleichgewicht zwischen ziviler Opposition und dem Militär ist seit Bashirs Entmachtung mehrfach zwischen beiden Seiten hin- und her gependelt. Im Moment sieht es eher so aus, als würde sich die antidemokratische und von Bashir-Anhängern durchsetzte militärische Seite durchsetzen. Im Extremfall könnte das zu einer langen Verzögerung der tatsächlichen Entlastung und formal sogar zu einer Aussetzung der auf den laufenden Schuldendienst bezogenen Interim-Entlastung führen.

Politische Empfehlungen

Für den Sudan ist die Entschuldung unter der HIPC-Initiative derzeit gleichzeitig der einzige und der beste Weg zu einem wirtschaftlichen Neuanfang. Die der Demokratie verpflichteten Gläubiger tun deshalb gut daran, den weiteren Entschuldungsprozess an Fortschritte bei der Demokratisierung des Landes zu binden. Dass sie Fortschritte erzwingen können, haben sie 2021 bewiesen, als sie die Streichung der absurd hohen Benzinsubventionen als Voraussetzung für weitere IWF-Finanzierungen durchsetzten. Ob sie bereit sind, ihr Gewicht nicht nur für eine Liberalisierung des Wirtschaftslebens, sondern auch für eine Demokratisierung in die Waagschale zu werfen, wird mit über die Zukunft des Sudan entscheiden.

Weiterführende Informationen und Materialien

Stand: Oktober 2022