St. Vincent und die Grenadinen

Haben St. Vincent und die Grenadinen ein Schuldenproblem?

Die Schulden der Inselgruppe sind infolge des Tourismus-Einbruchs 2020 stark angestiegen und erreichen durch den zusätzlichen externen Schock des Ausbruchs des Vulkans La Soufrière am 9. April 2021 Größenordnungen, die eine so kleine und wenig diversifizierte Volkswirtschaft an den Rand ihrer Handlungsfähigkeit bringen kann.

Die wichtigsten Schuldenindikatoren (Stand: Vorhersagen des IWF für Ende 2021)

IndikatorAusprägungGrenzwert
Auslandsverschuldung im Verhältnis zum Bruttonationaleinkommen (%)76,940
Auslandsverschuldung im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)396,4150
Jährlicher Schuldendienst im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)31,015
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP (%)103,750
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zu den öffentlichen Einnahmen (%)209,9200
Auslandsschuldenstand (2021) (US-Dollar)780,5 Mio.
Schuldendienst 2021: Zinsen und Tilgungen an ausländische Gläubiger (US-Dollar)51,5 Mio.

Erklärung zu den Indikatoren und Grenzwerten

 

Wer sind die Gläubiger von St. Vincent und den Grenadinen?

VIN Gläubigerprofil 2020-10

Erklärung der Schuldenkategorien

 Die gesamten Auslandsschulden eines Landes setzen sich aus den Schulden des öffentlichen Sektors und denen des Privatsektors zusammen. Im Diagramm sind öffentliche Schulden mit Vollfarben und private Auslandsschulden schraffiert dargestellt.

Bei den öffentlichen Schulden werden drei Gläubigergruppen unterschieden, nämlich multilaterale öffentliche Gläubiger – das sind vor allem Entwicklungsbanken und der IWF -, bilaterale öffentliche Gläubiger – das sind andere Regierungen – und private Gläubiger.

Bei den beiden öffentlichen Gläubigerkategorien unterscheiden wir zudem nach konzessionären, also zinsgünstigen Krediten zu Entwicklungshilfebedingungen, und Krediten zu Marktbedingungen („nicht-konzessionäre“).

Bei den öffentlichen Schulden bei privaten Gläubigern unterscheiden wir die beiden Hauptinstrumente, nämlich Bankkredite und Anleihen. Diese beiden Instrumente unterscheiden wir auch bei den Auslandsschulden des Privatsektors.

Alle Auslandsschulden des Landes bestehen von Seiten des Staates. Private Banken und Unternehmen sind nicht im Ausland verschuldet.

Auf der Gläubigerseite sind die Schulden gegenüber Entwicklungshilfegebern dramatisch zurückgegangen. Auch öffentliche Gläubiger leihen St. Vincent & den Grenadinen inzwischen hauptsächlich zu marktnahen Konditionen.

Die Weltbank weist den größten Gläubiger nur als „other multilateral“ aus. Es ist zu vermuten, dass es sich dabei um die Karibische Entwicklungsbank CDB handelt. Unter den bilateralen Gläubigern sticht China hervor. Geringere Forderungen halten einige arabische Staaten, Großbritannien, die USA und Frankreich. Deutschland hat keine Forderungen an St. Vincent & die Grenadinen.

Die bescheidenen Schulden bei Privatgläubigern haben sich von Banken auf Anleihezeichner verschoben.

Etwa ein Drittel der öffentlichen Schulden entfallen 2021 auf inländische Gläubiger. Darunter sind im Inland verkaufte Staatsanleihen, Kredite bei nationalen Banken und Überziehungskredite öffentlicher Konten bei heimischen Kreditinstitutionen. Dieser Anteil geht auch deshalb zurück, weil St. Vincent & die Grenadinen nach dem Vulkanausbruch vom 9. April 2021 umfangreiche Unterstützung in Form zinsgünstiger Kredite aus multilateralen Quellen zugesagt bekommen haben.

Trend

Alle Schuldenindikatoren überschritten bereits 2020 zwei von drei kritischen Grenzwerten. Dabei stagnieren diejenigen, die sich auf die gesamten öffentlichen Schulden beziehen, während die Indikatoren der Auslandsschulden deutlich steigen. Die Zerstörungen durch den Vulkanausbruch im April 2021 werden auf rund 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dieses Jahres geschätzt. Entsprechend hat der Internationale Währungsfonds (IWF) seine ursprünglich positive Wachstumsannahme, bei der er vor allem auf eine nahezu normale Wintertourismus-Saison 2021 gesetzt hatte, deutlich nach unten korrigiert, nämlich auf -6,1 Prozent. Entsprechend rasant prognostiziert er demzufolge den Wiederanstieg in 2022 um mehr als 8 Prozent.

Bisherige Schuldenerleichterungen für St. Vincent und die Grenadinen

Bislang hat es noch keine Schuldenrestrukturierungen für St. Vincent und die Grenadinen gegeben.

Für die multilateralen Entschuldungsinitiativen HIPC/MDRI waren St. Vincent und die Grenadinen nicht qualifiziert. Die Moratoriumsinitiative der G20 zur Bekämpfung der COVID-19-Folgen (engl. Debt Service Suspension Initiative, DSSI) war dem Land im April 2020 angeboten worden. Die Regierung hat sie aber nicht Anspruch genommen, obwohl dadurch rund 4,1 Millionen US-Dollar freigeworden wären. Nach dem Vulkanausbruch hat sie sich 2021 entschlossen, die DSSI doch in Anspruch zu nehmen.

Aktuelle Risiken für die Schuldentragfähigkeit

Statt eines Wachstums von 2,4 Prozent prognostizierte der IWF für 2020 einen Einbruch um 5,1 Prozent. Dies ist vor allem auf den Zusammenbruch des internationalen Tourismus in Folge von COVID-19 zurückzuführen. Mit -3,8 Prozent fiel der Einbruch dann aber etwas milder aus als vorhergesagt. Für 2021 wurde nach dem Vulkanausbruch ein weiterer, noch stärker Einbruch prognostiziert. Der IWF geht indes davon aus, dass darauf eine überproportionale Erholung im Jahr 2022 folgt, was voraussetzt, dass es keinerlei neue externe Schocks gibt. Dies kann für die Hurrikan-Saison 2021 natürlich nicht vorhergesagt werden, auch wenn St. Vincent & die Grenadinen von den letzten schweren Hurrikans 2015 und 2017 weniger betroffen waren als ihre Nachbarn. Auch die Annahme einer Rückkehr des Tourismus im vierten Quartal 2021 ist zumindest mutig.

Das vom IWF nach dem üblichen Muster gestrickte Szenario, nach dem die Schuldenindikatoren innerhalb der nächsten zehn Jahre wieder deutlich unter ihre Grenzwerte fallen, baut neben der erwähnten Abwesenheit weiterer externer Schocks auf eine drastische Sparpolitik der Regierung, die ein Zahlungsbilanzdefizit von 9,4 Prozent der Wirtschaftsleistung 2021 in einen Überschuss von 3 Prozent im Jahr 2026 verwandeln soll. Ob das politisch umsetzbar sein wird, ist ebenfalls fraglich.

Politische Empfehlungen

Insbesondere in dem Fall, dass die zweite Welle der COVID-19-Pandemie nicht noch vor dem Jahresende 2020 abflaut und Einnahmen aus dem Tourismus noch nicht wieder möglich werden, sollte die Regierung die Option eines echten Schuldenerlasses unter dem Common Framework for Debt Treatments beyond the DSSI der G20 prüfen. Darüber hinaus sollte sie sich mit anderen kleinen Inselstaaten für die Schaffung von Entschuldungsmöglichkeiten für kleine Inselstaaten im Falle starker externer Schocks einsetzen. Jubilee Caribbean hat dazu bereits 2018 konkrete Vorschläge formuliert.

 

Stand: Juli 2021

 

Gefördert durch einen Zuschuss der

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