Nigeria

Hat Nigeria ein Schuldenproblem?

Nigerias Schulden sind seit der erfolgreichen Entschuldung vor 17 Jahren wieder drastisch angestiegen. Die Regierungen haben im Vertrauen auf das wirtschaftliche Potenzial des Landes auch sehr teure Kredite im Ausland aufgenommen. Die Fähigkeit des Landes, externe Schocks – wie jüngst durch den Klimawandel oder durch den zwischenzeitlichen Verfall des Ölpreises – aufzufangen, sind entsprechend gering.

Die wichtigsten Schuldenindikatoren (Stand 2020)

IndikatorAusprägungGrenzwert
Auslandsverschuldung im Verhältnis zum Bruttonationaleinkommen (%)16,940
Auslandsverschuldung im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)169,5150
Jährlicher Schuldendienst im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)13,315
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP (%)35,050
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zu den öffentlichen Einnahmen (%)533,7200
Auslandsschuldenstand (US-Dollar)70,57 Mrd.
Schuldendienst: Zinsen und Tilgungen an ausländische Gläubiger (US-Dollar)5,543 Mrd.

Erklärung zu den Indikatoren und Grenzwerten

Wer sind die Gläubiger von Nigeria?

Erklärung der Schuldenkategorien

Die gesamten Auslandsschulden eines Landes setzen sich aus den Schulden des öffentlichen Sektors und denen des Privatsektors zusammen. Im Diagramm sind öffentliche Schulden mit Vollfarben und private Auslandsschulden schraffiert dargestellt.

Bei den öffentlichen Schulden werden drei Gläubigergruppen unterschieden, nämlich multilaterale öffentliche Gläubiger – das sind vor allem Entwicklungsbanken und der IWF -, bilaterale öffentliche Gläubiger – das sind andere Regierungen – und private Gläubiger.

Bei den beiden öffentlichen Gläubigerkategorien unterscheiden wir zudem nach konzessionären, also zinsgünstigen Krediten zu Entwicklungshilfebedingungen, und Krediten zu Marktbedingungen („nicht-konzessionäre“).

Bei den öffentlichen Schulden bei privaten Gläubigern unterscheiden wir die beiden Hauptinstrumente, nämlich Bankkredite und Anleihen. Diese beiden Instrumente unterscheiden wir auch bei den Auslandsschulden des Privatsektors.

Nigerias Auslandsschulden teilen sich ziemlich genau auf Verbindlichkeiten des Staates und solche privater Banken, Unternehmen und Einzelpersonen auf. Private Schuldner sind überwiegend bei ausländischen Banken verschuldet, während diese als Financiers des Staates überhaupt keine Rolle spielen. Die erheblichen Außenstände des Staates gegenüber ausländischen Privatgläubigern bestehen ausschließlich in Form von Staatsanleihen.

Nigeria hat nur gegenüber fünf anderen Staaten Schulden. Mit gewaltigem Abstand ist China mit rund 3,4 Milliarden US-Dollar Handelsforderungen der bedeutendste. Frankreich und Deutschland halten sowohl Handels- als auch Entwicklungshilfeforderungen, Indien und Japan ausschließlich Handelsforderungen. Allerdings gibt die Weltbank auf der Grundlage von nigerianischen Daten erheblich höhere Schulden bei Deutschland an als das Bundesfinanzministerium.

Unter den multilateralen Kreditgebern ist die Internationale Entwicklungsorganisation (International Development Association, IDA) der Weltbank sowohl mit ihren sehr günstigen als auch mit marktmäßigen Finanzierungen am bedeutendsten, gefolgt von der Afrikanischen Entwicklungsbank. Alle anderen multilateralen Gläubiger sind nur mit kleineren Beträgen engagiert.

Trend

Von 2016 bis 2020 hat sich der gesamte Schuldenstand Nigerias verdoppelt. Das betrifft fast alle Gläubigerkategorien. Die Wirtschaftsleistung des Landes ist zwar auch gewachsen, aber deutlich weniger, so dass alle Schuldenindikatoren spürbar angestiegen sind. Zwei von ihnen, nämlich die, die sich auf das Verhältnis von Schuldenstand zu laufenden Einnahmen beziehen, sind bereits im leicht beziehungsweise deutlich kritischen Bereich.

Eine wesentliche Rolle hat dabei die erhebliche Ausweitung der Kreditaufnahme bei der IDA und in China gespielt. Dazu kommt die auch in den Jahren 2021 und 2022 fortgesetzte Platzierung von Anleihen am Eurodollar-Markt. Im Frühjahr 2022 mobilisierte Nigeria zuletzt 1,2 Milliarden US-Dollar mit einer Anleihe zu 8,375 Prozent.

Bisherige Schuldenerleichterungen für Nigeria

Nigeria war als ein Niedrigeinkommensland mit damals hohen Schuldenindikatoren auf der ersten Liste von für die Entschuldungsinitiative für hoch verschuldete arme Länder (Heavily Indebted Poor Countries, HIPC) qualifizierten Ländern. Von dieser wurde es allerdings durch Weltbank und Internationalen Währungsfonds wieder entfernt, als die Abacha-Diktatur einer noch zerbrechlichen demokratischen Regierung unter Präsident Obasanjo Platz machte, und dem formal qualifizierten Land die HIPC-Entschuldung nicht länger durch Verweis auf die notorische Korruption unter der Diktatur vorenthalten werden konnte. Es ist davon auszugehen, dass den Gläubigern die tatsächliche Entschuldung Nigerias mit rund 30 Milliariden US-Dollar Gesamtschulden schlicht zu teuer gewesen wäre, wenn die Pariser Club-Mitglieder, wie unter der HIPC-Initiative letztlich vorgesehen, auf mindestens 90 Prozent ihrer Forderungen hätten verzichten müssen.

Stattdessen erhielt Nigeria im Jahr 2005 eine Ad-hoc-Entschuldung von knapp 70 Prozent seiner Schulden im Pariser Club, an die sich dann auch private Gläubiger unter dem Druck der Gläubigerregierungen anschließen mussten. Die noch 2004 bestehenden Schulden von mehr als 34 Milliarden US-Dollar wurden alles in allem auf rund 8 Milliarden US-Dollar reduziert – um danach bis 2020 auf das Doppelte des Standes vor der Entschuldung erneut anzusteigen. Bemerkenswert an dem Arrangement von 2005 war, dass mit ihm Weltbank und Währungsfonds erstmal den Versuch unternommen hatten, Entschuldung an den Finanzierungsbedürfnissen für die Millennium Development Goals zu orientieren.

Zuvor hatte Nigeria zwischen 1986 und 2000 bereits vier Umschuldungen im Pariser Club unter Classic Terms beziehungsweise Houston Terms erhalten, welche das Land allerdings nicht spürbar näher an ein tragfähiges Schuldenniveau herangeführt hatten.

Für das Schuldenmoratorium der G20 zur Unterstützung des Kampfes gegen die Corona-Pandemie (Debt Service Suspension Initiative, DSSI) war Nigeria qualifiziert. Die Regierung hat die Teilnahme allerdings abgelehnt.

Aktuelle Risiken für die Schuldentragfähigkeit

Die beiden Schuldenindikatoren, welche Ende 2020 im (deutlich) kritischen Bereich lagen, beziehen sich auf den Schuldenstand im Verhältnis zu den laufenden Einnahmen aus dem Export von Gütern und Dienstleistungen beziehungsweise den öffentlichen Einnahmen durch Steuern und Abgaben. Letzteres ist Ausdruck der in Nigeria extrem schwachen Besteuerung, welche den Staat in einer finanziell fragilen Situation gefangen hält.

Das andere bedeutende Risiko besteht in der hohen Abhängigkeit Nigerias vom Erdöl-Export. Die Pandemie hatte die Einnahmen aus diesem Sektor 2020 deutlich einbrechen lassen. Der russische Überfall auf die Ukraine und die daraus resultierenden Energie-Knappheit haben die Einnahmen dann wieder deutlich ansteigen lassen. Eine verlässliche Budgetplanung ist unter diesen Umständen extrem schwierig. Die Platzierung von immer teureren Eurobonds ist vor diesem Hintergrund sehr risikoreich.

Obwohl Nigeria eigentlich eher im Mittelfeld der klima-vulnerablen Länder liegt, ist es im Oktober 2020 Opfer großer Überschwemmungen mit mehr als 600 Toten und rund einer Million Binnenflüchtlingen geworden. Die wirtschaftlichen Folgen der Katastrophe sind noch nicht bezifferbar. Meteorolog*innen gehen aber von einer zunehmenden Häufigkeit solcher bislang eher seltener Naturkatastrophen aus.

Politische Empfehlungen

Nigeria braucht dringend ein verbessertes Steuer- und Einnahmenregime sowie eine Diversifizierung der wirtschaftlichen Aktivitäten weg von der Fokussierung auf den Ölexport.

Stand: Oktober 2022