Indien

Hat Indien ein Schuldenproblem?

Indien hat kein akutes Auslandsschuldenproblem. Allerdings ist der Staat im Inland stark verschuldet, was in der aktuellen, von COVID-19 ausgelösten Rezession dramatische Folgen haben kann.

Die wichtigsten Schuldenindikatoren (Stand: Prognosen für Ende 2020)

IndikatorWertGrenzwert
Auslandsverschuldung im Verhältnis zum Bruttonationaleinkommen (%)22,640
Auslandsverschuldung im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)108,1150
Jährlicher Schuldendienst im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)9,915
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP (%)68,350
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zu den öffentlichen Einnahmen (%)494,1200
Auslandsschuldenstand (US-Dollar)560,0 Mrd.
Schuldendienst: Zinsen und Tilgungen an ausländische Gläubiger (US-Dollar)51,4 Mrd.

Erklärung zu den Indikatoren und Grenzwerten

Wer sind die Gläubiger von Indien?

IND Gläubigerprofil 2020-11

Erklärung der Schuldenkategorien

 Die gesamten Auslandsschulden eines Landes setzen sich aus den Schulden des öffentlichen Sektors und denen des Privatsektors zusammen. Im Diagramm sind öffentliche Schulden mit Vollfarben und private Auslandsschulden schraffiert dargestellt.

Bei den öffentlichen Schulden werden drei Gläubigergruppen unterschieden, nämlich multilaterale öffentliche Gläubiger – das sind vor allem Entwicklungsbanken und der IWF -, bilaterale öffentliche Gläubiger – das sind andere Regierungen – und private Gläubiger.

Bei den beiden öffentlichen Gläubigerkategorien unterscheiden wir zudem nach konzessionären, also zinsgünstigen Krediten zu Entwicklungshilfebedingungen, und Krediten zu Marktbedingungen („nicht-konzessionäre“).

Bei den öffentlichen Schulden bei privaten Gläubigern unterscheiden wir die beiden Hauptinstrumente, nämlich Bankkredite und Anleihen. Diese beiden Instrumente unterscheiden wir auch bei den Auslandsschulden des Privatsektors.

Indiens Auslandsschulden bestehen zu mehr als der Hälfte von Seiten privater indischer Unternehmen, Banken und Einzelpersonen. Nur der kleinere Teil entfällt auf den Staat.

Unter den öffentlichen Auslandsschulden entfällt ein für ein Schwellenland und G20-Mitglied noch immer vergleichsweise hoher Teil auf konzessionäre Finanzierungen durch bilaterale und multilaterale Entwicklungshilfegeber.

Sowohl bei den privaten als auch bei den öffentlichen Schuldnern sind Banken deutlich wichtiger als Anleihegläubiger.

Deutschland ist mit Entwicklungshilfe-Forderungen von 1,554 Milliarden Euro ein wichtiger Gläubiger Indiens. Umgekehrt ist Indien nach Ägypten auch das Land mit den zweithöchsten Schulden bei Deutschland.

Wie bei zahlreichen anderen Ländern auch, weist der Pariser Club sowohl bei der Entwicklungshilfe als auch bei den Handelsschulden mehr Forderungen an Indien aus als die Weltbank – auf der Grundlage von Daten der Schuldnerseite – überhaupt an bilateralen öffentlichen Schulden ausweist. Bei der konkurrierenden Großmacht China hat Indien keine Schulden.

Trend

Die Indikatoren zu Indiens gesamten öffentlichen Schulden, welche sich ohnehin bereits im deutlich kritischen Bereich befinden, steigen weiter stark an. Die Ratingagentur Fitch erwartet in 2021 einen Anstieg von mehr als 80 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Herabgestuft wurde das Land seit Beginn der Pandemie aber noch von keiner der Agenturen.

Dagegen ist der laufende Auslandsschuldendienst im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen seit 2016 kontinuierlich zurückgegangen.

Bisherige Schuldenerleichterungen für Indien

Indien hat bislang noch nie seine privaten oder öffentlichen Auslandsschulden umgeschuldet.

Aktuelle Risiken für die Schuldentragfähigkeit

Indien hat kein akutes Auslandsschuldenproblem. Da der Staat aber relativ stark im Inland verschuldet ist, überschreiten die beiden auf die gesamten öffentlichen Schulden bezogenen Indikatoren die Grenzwerte deutlich. Da die inländische Verschuldung in Rupien besteht, die der Staat nötigenfalls drucken könnte, erwächst daraus keine unmittelbare Insolvenzgefahr. Allerdings könnte ein ungebremstes Wachstum der staatlichen Schulden gegenüber dem heimischen Bankensektor im Fall eines externen Schocks zu einer Bankenkrise führen.

Die multilateralen konzessionären Kredite kommen fast ausschließlich von der Weltbanktochter IDA (engl. International Development Association), was das Land von politischen Entwicklungen dort sehr abhängig macht.

Die COVID-19-Pandemie trifft Indien indes hart. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostizierte im Oktober 2020 für das laufende Jahr eine Schrumpfung der Wirtschaft um 10,3 Prozent. Dieser dramatische Einbruch schlägt sich noch nicht in den Vorhersagen für die Schuldenindikatoren nieder. Außerdem sagt der IWF für 2021 bereits ein neuerliches Wachstum um 8,8 Prozent voraus. Unter diesen Umständen würde das Land absehbar nicht in eine Staatsschuldenkrise geraten; verzögert sich die Erholung indes, kann die Situation 2021 kritisch werden.

Politische Empfehlungen

Als gewichtiges G20-Land könnte Indien eine deutlich stärkere Rolle bei der Reform globaler Entschuldungsverfahren spielen. Dies wäre umso glaubwürdiger, als es selbst nicht unmittelbar von Überschuldung bedroht ist und sich deshalb für globale Stabilität einsetzen könnte.

Weiterführende Informationen und Materialien

  • Artikel “Indiens Entwicklungszusammenarbeit zwischen postkolonialer Solidarität und geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen” von Peter Lanzet, in: Schuldenreport 2017, S. 45-51.

 

Stand: November 2020

 

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