Haiti

Hat Haiti ein Schuldenproblem?

Ende 2020 lagen zwei der im Schuldenreport 2022 untersuchten Schuldenindikatoren über dem kritischen Grenzwert. Schon 2017 wurde vom Internationalen Währungsfonds (IWF) das Überschuldungsrisiko Haitis von „mittel“ auf „hoch“ heraufgestuft. Grund dafür waren externe Schocks, insbesondere die Zerstörungen durch Hurrikan „Matthew“, die Schwäche der Institutionen und die hohe Abhängigkeit von den Rücküberweisungen haitianischer Arbeiter*innen in Nordamerika.

Die wichtigsten Schuldenindikatoren (Stand 2020)

IndikatorAusprägungGrenzwert
Auslandsverschuldung im Verhältnis zum Bruttonationaleinkommen (%)17,240
Auslandsverschuldung im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)195,1150
Jährlicher Schuldendienst im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)2,415
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP (%)21,349
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zu den öffentlichen Einnahmen (%)285,2200
Auslandsschuldenstand (US-Dollar)2.317,7 Mrd.
Schuldendienst: Zinsen und Tilgungen an ausländische Gläubiger (US-Dollar) 25,5 Mio.

Erklärung zu den Indikatoren und Grenzwerten

Wer sind die Gläubiger von Haiti?

Erklärung der Schuldenkategorien

Die gesamten Auslandsschulden eines Landes setzen sich aus den Schulden des öffentlichen Sektors und denen des Privatsektors zusammen. Im Diagramm sind öffentliche Schulden mit Vollfarben und private Auslandsschulden schraffiert dargestellt.

Bei den öffentlichen Schulden werden drei Gläubigergruppen unterschieden, nämlich multilaterale öffentliche Gläubiger – das sind vor allem Entwicklungsbanken und der IWF -, bilaterale öffentliche Gläubiger – das sind andere Regierungen – und private Gläubiger.

Bei den beiden öffentlichen Gläubigerkategorien unterscheiden wir zudem nach konzessionären, also zinsgünstigen Krediten zu Entwicklungshilfebedingungen, und Krediten zu Marktbedingungen („nicht-konzessionäre“).

Bei den öffentlichen Schulden bei privaten Gläubigern unterscheiden wir die beiden Hauptinstrumente, nämlich Bankkredite und Anleihen. Diese beiden Instrumente unterscheiden wir auch bei den Auslandsschulden des Privatsektors.

Haitis Auslandsschuld besteht bis auf einen geringen Betrag gegenüber privaten ausländischen Banken ausschließlich aus Verbindlichkeiten gegenüber bilateralen und multilateralen Entwicklungshilfegebern. Alle im sogenannten Pariser Club organisierten bilateralen Gläubiger, einschließlich Deutschland, haben inzwischen keine Forderungen mehr an Haiti. Tatsächlich gibt es nur noch zwei öffentliche bilaterale Gläubiger, nämlich Venezuela und Taiwan. Venezuela sind mehr als 1,8 Milliarden US-Dollar unter dem PetroCaribe-Programm geschuldet; dazu kommt ein kleinerer Betrag gegenüber der venezolanischen Entwicklungsbank BANDES (26,7 Millionen US-Dollar). Rund 70 Millionen US-Dollar schuldete Haiti Ende 2019 Taiwan.

92 Millionen US-Dollar schuldete Haiti 2020 zwei multilateralen Gläubigern: 46 Millionen US-Dollar der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) sowie 46 Millionen US-Dollar dem Internationaler Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) des Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO).

Trend

Seit der Entschuldung unter der multilateralen Entschuldungsinitiative für hoch verschuldete arme Länder (Heavily Indebted Poor Countries, HIPC) 2010 hat sich die Auslandsschuld Haitis wieder mehr als verdoppelt und ist inzwischen absolut höher als vor der HIPC-Initiative. Dabei sind fast alle Bestandteile der Auslandsschuld mehr oder weniger stabil geblieben; nur die Schulden aus dem venezolanischen PetroCaribe-Programm sind (rasant) gewachsen. Alle Überschuldungsindikatoren Haitis sind um mehr als 10 Prozent angestiegen.

In den letzten Jahren sind erstmals auch wieder in bescheidenem Umfang nicht-konzessionäre Kredite bei multilateralen und bilateralen öffentlichen Gläubigern aufgenommen worden. Dazu kommt ein stabiler Betrag bei privaten ausländischen Banken.

Bisherige Schuldenerleichterungen für Haiti

Haiti wurde 2006 in die HIPC-Initiative aufgenommen und erhielt den vereinbarten Schuldenerlass. Der Schuldenstand wurde dadurch von knapp 2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2008 auf 770 Millionen US-Dollar im Jahr 2011 gesenkt.

Haiti war für die Moratoriumsinitiative der G20 (Debt Service Suspension Initiative, DSSI) qualifiziert und hätte im Jahr 2021 rund 160 Millionen US-Dollar an Schuldendienst einsparen können. Es hat die Initiative aber nicht in Anspruch genommen.

Vor den Vereinbarungen im Rahmen der HIPC-Initiative im Pariser Club 2006 und 2009 hatte es eine einzige Umschuldung für Haiti im Pariser Club gegeben, nämlich 1995 unter Naples Terms für einen vergleichsweise geringen Betrag von 117 Millionen US-Dollar.

Nach dem schweren Erdbeben 2010 strich der venezolanische Präsident Hugo Chavez spektakulär alle damals ausstehenden Schulden in Höhe von knapp 400 Millionen US-Dollar.

Aktuelle Risiken für die Schuldentragfähigkeit

2016 hat Venezuela die bevorzugte Belieferung Haitis unter dem PetroCaribe-Programm weitgehend eingestellt. Dieser externe Schock und die Zerstörungen, die nacheinander durch Dürre und Hurrikan „Matthew“ bewirkt wurden, haben zur Herabstufung der haitianischen Schuldentragfähigkeit durch den IWF geführt: Die Überschuldungsgefahr wird jetzt als „hoch“ eingestuft. Grund dafür sind zwei über den Grenzwerten liegende Schuldenindikatoren, eine hohe Gefahr durch Naturkatastrophen und relativ schwache Institutionen.

Politische Empfehlungen

Haitis Schuldentragfähigkeit hängt vor allem an einer tragfähigen Regelung für die PetroCaribe-Schulden. Da der Gläubiger Venezuela selbst in großen Schwierigkeiten steckt, ist ein Entgegenkommen angesichts der ohnehin für Haiti höchste vorteilhaften Bedingungen des Programms nicht unbedingt zu erwarten. Da wegen des stark konzessionären Charakters der Schulden der laufende Schuldendienst (anders als der Schuldenstand) relativ niedrig ist, könnten Zahlungsverschiebungen (noch) weiter in die Zukunft für Haiti sinnvoll sein.

Stand: Mai 2022