Brasilien

Hat Brasilien ein Schuldenproblem?

Brasilien hat in den 2010er Jahren im Ausland umfangreiche Kredite aufgenommen – unter anderem zur Finanzierung der sportlichen Großereignisse Olympische Spiele und Fußballweltmeisterschaft. Dadurch ist die Schuldenkrise des „verlorenen Jahrzehnts“ der 1980er Jahre inzwischen zurück. Das Land ist auf eine kontinuierliche Refinanzierung des laufenden Schuldendienstes durch neue Kredite angewiesen.

Die wichtigsten Schuldenindikatoren (Stand 2018)

IndikatorAusprägungGrenzwert
Auslandsverschuldung im Verhältnis zum Bruttonationaleinkommen (%)38,840
Auslandsverschuldung im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)211,7150
Jährlicher Schuldendienst im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)50,615
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP (%)98,950
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zu den öffentlichen Einnahmen (%)336,4200
Auslandsschuldenstand (US-Dollar)549,234 Mrd.
Schuldendienst: Zinsen und Tilgungen an ausländische Gläubiger (US-Dollar)131,349 Mrd.

Erklärung zu den Indikatoren und Grenzwerten

Wer sind die Gläubiger von Brasilien?

Erklärung der Schuldenkategorien

Die gesamten Auslandsschulden eines Landes setzen sich aus den Schulden des öffentlichen Sektors und denen des Privatsektors zusammen. Im Diagramm sind öffentliche Schulden mit Vollfarben und private Auslandsschulden schraffiert dargestellt.

Bei den öffentlichen Schulden werden drei Gläubigergruppen unterschieden, nämlich multilaterale öffentliche Gläubiger – das sind vor allem Entwicklungsbanken und der IWF -, bilaterale öffentliche Gläubiger – das sind andere Regierungen – und private Gläubiger.

Bei den beiden öffentlichen Gläubigerkategorien unterscheiden wir zudem nach konzessionären, also zinsgünstigen Krediten zu Entwicklungshilfebedingungen, und Krediten zu Marktbedingungen („nicht-konzessionäre“).

Bei den öffentlichen Schulden bei privaten Gläubigern unterscheiden wir die beiden Hauptinstrumente, nämlich Bankkredite und Anleihen. Diese beiden Instrumente unterscheiden wir auch bei den Auslandsschulden des Privatsektors.

Rund zwei Drittel der Auslandsschulden Brasilien bestehen von Seiten des brasilianischen Privatsektors gegenüber privaten ausländischen Gläubigern, hauptsächlich Banken. Auch der brasilianische Staat ist hauptsächlich gegenüber privaten Kreditgebern verschuldet. Auch hier sind Banken und andere private Kreditgeber deutlich stärker beteiligt als Anleiheinhaber. Unter den Schulden bei öffentlichen Gläubigern spielen zinsgünstige Kredite zu Entwicklungshilfekonditionen mit insgesamt deutlich unter 1 Milliarde US-Dollar keine nennenswerte Rolle.

Die beiden größten multilateralen Kreditgeber sind die Interamerikanische Entwicklungsbank und die Weltbank-Gruppe durch die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung mit jeweils mehr als 15 Milliarden US-Dollar an Forderungen. Einziger konzessionärer Kreditgeber auf der multilateralen Seite ist der International Fund for Agricultural Development mit einem kleinen Betrag.

Größter bilateraler Kreditgeber ist China mit Forderungen von mehr als 5 Milliarden US-Dollar. Schweden, Frankreich und Deutschland folgen danach. Auch Frankreich, Japan und Deutschland halten noch kleinere konzessionäre Forderungen an Brasilien. Bei Deutschland unterscheiden sich allerdings – wie in vielen anderen Ländern auch – die Angaben des Bundesfinanzministeriums deutlich von denen, die die Weltbank auf der Grundlage brasilianischer Daten veröffentlicht.

Trend

Von 2016 bis 2020 haben sich trotz der stagnierenden Auslandsverschuldung vier der fünf Schuldenindikatoren, die erlassjahr.de im Schuldenreport ausweist, um mindestens 10 Prozent verschlechtert. Dies ist auf die beträchtliche Schrumpfung der brasilianischen Wirtschaftsleistung in diesem Zeitraum zurückzuführen. Das in Brasilien traditionell hohe Verhältnis von Schuldendienst zu Exporteinnahmen ist 2020 wiederum auf über 50 Prozent angestiegen und gehört damit zu den höchsten weltweit.

Bei den Ratingagenturen ist Brasilien 2016 aus den A-Kategorien herausgefallen und liegt Mitte 2022 bei Fitch mit stabilen Aussichten bei BB-. Entsprechend hohe Zinsen muss Brasilien für seine Kreditaufnehme im Ausland aufbringen.

Bisherige Schuldenerleichterungen für Brasilien

Zwischen 1961 und 1992 hat Brasilien insgesamt sechs Mal im Pariser Club umgeschuldet. Alle Umschuldungen fanden unter Classic Terms statt, das heißt ohne jegliches Erlasselement.

1987 stellte Brasilien im Zuge der lateinamerikanischen Schuldenkrise seine Zahlungen an die Gläubigerbanken teilweise ein. 1992 wurden diese dann im Rahmen des sogenannten Brady-Plans mit erheblichen Abschlägen in Anleihen umgewandelt. Diese wurden seither pünktlich bedient.

Für die Entschuldungsinitiative für arme hoch verschuldete arme Länder (Heavily Indebted Poor Countries, HIPC) um die Jahrtausendwende und die Moratoriumsinitiative und das Umschuldungsrahmenwerk der G20 infolge der Corona-Pandemie war und ist Brasilien als Land mit höherem mittlerem Einkommen nicht qualifiziert.

1992 war Brasilien Schauplatz einiger Schuldenumwandlungen für Naturschutz: Private Gläubiger verzichteten unter der Auflage, dass die freigewordenen Gelder für Naturschutzprojekte verwendet würden, auf einen Teil ihrer Forderungen.

Aktuelle Risiken für die Schuldentragfähigkeit

Am problematischsten ist das hohe Defizit der öffentlichen Haushalte. 2021 ordneten die Gerichte Zahlungen an Privatpersonen und Unternehmen aus Steuerrückzahlungen und Lieferantenkrediten an, die fast die Höhe des Staatshaushalts erreichten. Die öffentlichen Haushalte können nur durch anhaltende neue Kreditaufnahme gedeckt werden.

Ein weiteres Problem ist, dass nicht nur die Zentralregierung, sondern auch einzelne Bundesstaaten – prominent Rio de Janeiro – bis an den Rand der Zahlungsunfähigkeit überschuldet sind.

Dazu kommt die enorme Auslandsverschuldung des brasilianischen Privatsektors, der stets die Gefahr des Bailouts von Unternehmen beinhaltet, welche „zu groß zum Scheitern“ sind.

Politische Empfehlungen

Die neu gewählte Regierung des Präsidenten Lula steht nach Jahren, in denen die natürlichen Ressourcen des Landes gnadenlos übernutzt wurden, vor der Herausforderung, einen naturverträglichen Weg aus der Rezession der letzten Jahre zu finden.

Brasilien muss außerdem die politischen und rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass die öffentliche Hand für die riesigen Schulden des Privatsektors nicht in Haftung genommen werden kann. Ein entsprechendes Bailout-Verbot könnte an diesem Punkt sehr nützlich sein. Allerdings ist fraglich, ob das weiterhin konservativ beherrschte Parlament dazu den politischen Willen aufbringt.

 Weiterführende Informationen und Materialien:

Stand: November 2022