Armenien

Hat Armenien ein Schuldenproblem?

Seit der Pandemie und dem erneuten Krieg mit Aserbaidschan um die Exklave Bergkarabach gehört Armenien zu den am kritischsten verschuldeten Ländern weltweit. Eine Lösung wird erschwert durch die starke Gläubigerposition Russlands, den hohen Anteil multilateraler Forderungen und von Anleiheschulden.

Die wichtigsten Schuldenindikatoren (Stand 2021)

IndikatorAusprägungGrenzwert
Auslandsverschuldung im Verhältnis zum Bruttonationaleinkommen (%)102,640
Auslandsverschuldung im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)255,0150
Jährlicher Schuldendienst im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen(%)37,815
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP (%)60,250
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zu den öffentlichen Einnahmen (%)249,9200
Auslandsschuldenstand (US-Dollar)13,818 Mrd.
Schuldendienst: Zinsen und Tilgungen an ausländische Gläubiger (US-Dollar)2,057 Mrd.

Erklärung zu den Indikatoren und Grenzwerten

Wer sind die Gläubiger von Armenien?

Erklärung der Schuldenkategorien

Die gesamten Auslandsschulden eines Landes setzen sich aus den Schulden des öffentlichen Sektors und denen des Privatsektors zusammen. Im Diagramm sind öffentliche Schulden mit Vollfarben und private Auslandsschulden schraffiert dargestellt.

Bei den öffentlichen Schulden werden drei Gläubigergruppen unterschieden, nämlich multilaterale öffentliche Gläubiger – das sind vor allem Entwicklungsbanken und der IWF -, bilaterale öffentliche Gläubiger – das sind andere Regierungen – und private Gläubiger.

Bei den beiden öffentlichen Gläubigerkategorien unterscheiden wir zudem nach konzessionären, also zinsgünstigen Krediten zu Entwicklungshilfebedingungen, und Krediten zu Marktbedingungen („nicht-konzessionäre“).

Bei den öffentlichen Schulden bei privaten Gläubigern unterscheiden wir die beiden Hauptinstrumente, nämlich Bankkredite und Anleihen. Diese beiden Instrumente unterscheiden wir auch bei den Auslandsschulden des Privatsektors.

Nur etwas mehr als die Hälfte der armenischen Auslandsschulden entfällt auf den Staat, der Rest auf Schulden des Privatsektors, fast ausschließlich bei ausländischen Banken. Zwei Drittel der Auslandsschulden des Staates bestehen gegenüber multilateralen Gläubigern. Der konzessionäre Teil davon besteht gegenüber der Internationale Entwicklungsorganisation (International Development Association, IDA), eine Unterorganisation der Weltbank-Gruppe, der Asiatischen Entwicklungsbank und dem Entwicklungsfonds des Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, dem International Fund for Agricultural Development (IFAD). Nicht-konzessionäre Forderungen hält eine größere Gruppe multilateraler Geber. Wiederum sind die Weltbank-Gruppe durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau und Entwicklung und die Asiatische Entwicklungsbank darunter mit Abstand die wichtigsten. Aber auch die Eurasische Entwicklungsbank, die wesentlich von Kasachstan und Russland getragen wird, die Europäische Investitionsbank und wiederum die IDA halten dreistellige Millionen-Forderungen.

Bilaterale Entwicklungshilfegläubiger sind in dieser Reihenfolge Japan, Deutschland und Frankreich. Die USA und die Vereinigten Arabischen Emirate halten kleine Beträge in dieser Kategorie. Die Handelsforderungen entfallen hauptsächlich auf Russland und nach Angaben der Weltbank auch Deutschland, wobei die Bundesregierung selbst keine Handelsforderungen an Armenien ausweist. Frankreich und China sind ebenfalls in geringerem Umfang Halter von Handelsforderungen.

Die erheblichen öffentlichen Schulden bei Anleihegläubigern lassen sich leider nicht ländermäßig zuordnen. Unter den Gläubigerbanken befinden sich Institute aus Frankreich, Österreich und Belgien.

Trend

In den letzten fünf Jahren haben sich vier von fünf Indikatoren um wenigstens 10 Prozent verschlechtert. Das lag nach einer Phase der weit reichenden Stabilisierung des Landes erkennbar an den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie mit einem Einbruch bei der Wirtschaftsleistung und einem Anstieg der Schulden 2020. Dazu kommen die Folgen des im gleichen Jahr wieder aufgeflammten bewaffneten Konflikts mit Aserbaidschan.

Bisherige Schuldenerleichterungen für Armenien

Weder mit seinen Privatgläubigern noch mit dem Pariser Club der öffentlichen Gläubiger hat Armenien bislang Schuldenerleichterungen ausgehandelt. Das Land war weder für die Entschuldungsinitiative für hoch verschuldete arme Länder (Heavily Indebted Poor Countries, HIPC) noch für das G20-Schuldenmoratorium zur Unterstützung des Kampfes gegen Covid-19 qualifiziert.

Aktuelle Risiken für die Schuldentragfähigkeit

Alle Schuldenindikatoren liegen im kritischen, zwei – Schuldenstand im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung sowie zu den Hartwährungseinnahmen aus dem Export von Gütern und Dienstleistungen – sogar im sehr kritischen Bereich.

Die westlichen Sanktionen gegen Russland wirken sich erkennbar auch auf Armenien aus, zu dessen wichtigsten Handels- und politischen Partnern Russland bislang gehörte. Der Internationale Währungsfonds lobt die stabilitätsorientierte Politik der armenischen Regierung. Wieweit diese allerdings im Umfeld des Konflikts mit Aserbaidschan und der generellen wirtschaftlichen Verlangsamung durchzuhalten sein wird, ist nicht absehbar.

Politische Empfehlungen

Armenien gab 2021 fast zwei Fünftel seiner knappen Hartwährungseinnahmen für den Schuldendienst an seine ausländischen Gläubiger aus. Es darf daher den Moment nicht verpassen, an dem die Weiterbedienung der Schulden keinen erkennbaren Nutzen mehr bringt, und sich zeitig um Umschuldungen mit seinen Anleihe- und bilateralen Gläubigern bemühen. Die Spielräume für eine umfassendere Regelung sind allerdings dadurch eingeschränkt, dass der größte Gläubiger im Pariser Club Russland ist, mit dem aktuell umfassendere Regelungen kaum getroffen werden können. Eine bilaterale Regelung mit Russland wäre sicherlich nur um den Preis einer Positionierung auf der Seite des Aggressors im Ukrainekrieg zu haben.

Stand: Februar 2023