Äthiopien

Hat Äthiopien ein Schuldenproblem?

Lange haben Äthiopiens bemerkenswert hohe Wachstumsraten infolge der schuldenfinanzierten großen Infrastrukturprojekte über die Gefährlichkeit des Schuldenanstiegs hinweggetäuscht. Die Exportschwächen der letzten Jahre und vor allem die Auswirkungen der COVID-19 bedingten globalen Rezession haben die Hartwährungseinahmen indes deutlich einbrechen lassen. Entsprechend ist Äthiopien inzwischen auch zu einem Land mit hohem Überschuldungsrisiko geworden. Dieses konnte mit einer schlichten Schuldendienst-Stundung unter der Debt Service Suspension Initiative (DSSI) der G20 nicht mehr aufgefangen werden. Deswegen musste die Regierung Ahmed Anfang 2021 als eines der ersten Länder um echte Schuldenerleichterungen unter dem von der G20 entworfenen, aber bislang noch nicht operationalisierten Common Framework for Debt Treatments beyond DSSI einkommen.

Die wichtigsten Schuldenindikatoren (Stand Ende 2020)

IndikatorAusprägungGrenzwert
Auslandsverschuldung im Verhältnis zum Bruttonationaleinkommen (%)32,240
Auslandsverschuldung im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)585,5150
Jährlicher Schuldendienst im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)32,015
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP (%)56,150
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zu den öffentlichen Einnahmen (%)489,5200
Auslandsschuldenstand 2019 (US-Dollar)28,288 Mrd.
Schuldendienst: Zinsen und Tilgungen an ausländische Gläubiger 2019 (US-Dollar)2,224 Mrd.

Erklärung zu den Indikatoren und Grenzwerten

 

Wer sind die Gläubiger von Äthiopien?
ETH Gläubigerprofil 2021-02

Erklärung der Schuldenkategorien

 Die gesamten Auslandsschulden eines Landes setzen sich aus den Schulden des öffentlichen Sektors und denen des Privatsektors zusammen. Im Diagramm sind öffentliche Schulden mit Vollfarben und private Auslandsschulden schraffiert dargestellt.

Bei den öffentlichen Schulden werden drei Gläubigergruppen unterschieden, nämlich multilaterale öffentliche Gläubiger – das sind vor allem Entwicklungsbanken und der IWF -, bilaterale öffentliche Gläubiger – das sind andere Regierungen – und private Gläubiger.

Bei den beiden öffentlichen Gläubigerkategorien unterscheiden wir zudem nach konzessionären, also zinsgünstigen Krediten zu Entwicklungshilfebedingungen, und Krediten zu Marktbedingungen („nicht-konzessionäre“).

Bei den öffentlichen Schulden bei privaten Gläubigern unterscheiden wir die beiden Hauptinstrumente, nämlich Bankkredite und Anleihen. Diese beiden Instrumente unterscheiden wir auch bei den Auslandsschulden des Privatsektors.

Nur der äthiopische Staat ist im Ausland verschuldet, nicht aber seine Bürger*innen, Unternehmen und Banken – zumindest nicht ohne eine staatliche Garantie.

Rund drei Viertel der Auslandsschulden bestehen gegenüber multilateralen und bilateralen öffentlichen Gläubigern. Dabei sind die Schulden bei multilateralen Kreditgebern überwiegend konzessionäre, während neun Zehntel der bilateralen Forderungen an Äthiopien aus kommerziellen Krediten resultieren.

Wichtigster multilateralen Geber ist die Weltbanktochter IDA, auf die mehr als drei Viertel der multilateralen Forderungen entfallen. Das verbliebene Viertel entfällt zum größten Teil auf die Afrikanische Entwicklungsbank. Eine ähnlich herausgehobene Stellung wie auf der multilateralen Seite die IDA hat unter den bilateralen Gläubigern China. Seit 2000 ist China zum wichtigsten bilateralen Kreditgeber Äthiopiens geworden. Mit mehr als 8,7 Milliarden US-Dollar Schulden ist Äthiopien der zweitgrößte Kreditnehmer Chinas in Afrika. Wichtigster Akteur ist die EXIMBANK, die nach eigenem Verständnis konzessionäre Kredite vor allem für Infrastrukturprojekte vergibt, im Falle Äthiopiens mit einem Schenkungselement von durchschnittlich 21,4 Prozent. Da dieses unter der Bewertungsgrenze des Development Assistance Council (DAC) der OECD liegt, erscheinen die entsprechenden Finanzierungen in den Weltbank-Statistiken allerdings teilweise als kommerzielle Forderungen. Die Mitglieder des Pariser Clubs halten alle zusammen mit rund 700 Mio. US-Dollar nur noch etwas mehr als 2 Prozent der Auslandsschulden Äthiopiens.

Deutschland ist nach Angaben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) seit der Entschuldung des Landes unter der HIPC-Initiative gar nicht mehr dabei. Die Weltbank weist allerdings ab 2016 deutsche öffentliche Forderungen im Umfang von aktuell noch 27,6 Millionen US-Dollar aus.

Trend

Drei von fünf Schuldenindikatoren, die die Schuldenbelastung im Verhältnis zu unterschiedlichen Aspekten der Wirtschaftsleistung abbilden, sind von 2016 bis 2020 um mindestens 10 Prozent gestiegen.

Der nominale Schuldenstand hat sich zwischen 2011 und 2020 mehr als verdreifacht, der Schuldendienst sich gar versiebenfacht. Auch die Wirtschaftsleistung ist im gleichen Zeitraum stark gestiegen, allerdings nicht so stark wie die Verschuldung. Besonders wichtig für die Transferfähigkeit Äthiopiens, also die Fähigkeit, öffentliche Einnahmen auch in Hartwährung zur Bedienung der Auslandsschulden in Dollars, Euro oder Yuan verwandeln zu können, ist, dass die Exporteinnahmen trotz des allgemeinen Wirtschaftswachstums stagnierten oder nur sehr langsam wuchsen. Daher sind die auf die Exporte bezogenen Indikatoren auch am dramatischsten angestiegen.

Bisherige Schuldenerleichterungen für Äthiopien

Äthiopien hat 2001 den Decision Point und 2004 den Completion Point der multilateralen HIPC-Entschuldungsinitiative erreicht. 2005 wurden die verbliebenen Altforderungen von Internationalem Währungsfonds (IWF), IDA und African Development Fund (AfDF) unter der Multilateral Debt Relief Intiative (MDRI) gestrichen. Erst dadurch erreichte Äthiopien ein wirklich unproblematisches Schuldenniveau, mit einem Schuldenstand zum BIP von nur noch 17,5 Prozent und einer Schuldendienstquote zu den jährlichen Exporteinnahmen von nur noch 2,4 Prozent.

Zuvor hatte das Land bereits drei Mal – nämlich 1992, 1994 und 2001 – im Pariser Club umgeschuldet, ohne dass es dadurch einem tragfähigen Schuldenniveau deutlich näher gekommen wäre.

Gegenüber privaten Gläubigern gab es nur im Jahr 1996 eine Schuldenrückkauf-Operation im Londoner Club.

2018 hat China bilateral Rückzahlungen in Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar für die Bahnverbindung Addis-Dschibuti über zwanzig Jahre gestreckt.

Äthiopien gehört zu den Ländern, die sich für die im April 2020 beschlossene Debt Service Suspension Initiative (DSSI) der G20 qualifizieren und die das Moratorium auch in Anspruch nehmen. 473 Millionen US-Dollar Schuldendienst konnte die Regierung damit in jenem Jahr einsparen und in die Bekämpfung der Corona-Pandemie investieren. Allerdings entspricht die ausgewiesene Summe nicht mal dem gesamten Schuldendienst an das G20-Mitglied China (543 Millionen), das offenbar auf einen erheblichen Teil seiner Forderungen einfach weiter kassiert hat. Welche Einsparungen die bis Mitte 2021 verlängerte DSSI in diesem Jahr ermöglichen wird, wurde noch nicht veröffentlicht. Der gesamte vertragsgemäße Schuldendienst dieses Jahres würde sich auf 711 Millionen US-Dollar belaufen.

Ende Januar 2021 hat die äthiopische Regierung über die Entlastung unter der DSSI hinaus echte Schuldenerleichterungen unter dem Common Framework der G20 beantragt. Was das bedeuten würde, wer im G20-Kreis sich mit welchen eigenen Forderungen beteiligen wird, ob private Forderungsinhaber und multilaterale Gläubiger sich beteiligen, ist zur Zeit noch ebenso unklar wie die Abläufe bei einer Behandlung unter dem Common Framework selbst.

Aktuelle Risiken für die Schuldentragfähigkeit

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte bereits Ende Januar 2018 das Überschuldungsrisiko Äthiopiens von „mittel“ auf „hoch“ heraufgestuft. Das heißt, er rechnet damit, dass unter dem von ihm selbst als wahrscheinlich angenommenen Basisszenario – und nicht erst im Falle von externen Schocks ­– das Land kritische Verschuldungsgrenzwerte dauerhaft überschreiten wird. Solche Schocks sind mit der Rezession in Folge der Corona-Pandemie und dem Krieg der Zentralregierung gegen die Region Tigray inzwischen gleich zweifach eingetreten.

Vor Ausbruch der Kampfhandlungen ging der IWF trotz der Pandemie noch von jeweils über 3 Prozent realem Wachstum der äthiopischen Volkswirtschaft in den Jahren 2020 und 2021 aus – allerdings mit erheblichen Risiken. Die Bitte um Schuldenerleichterungen von Seiten der äthiopischen Regierung muss als Eingeständnis betrachtet werden, dass diese Risiken inzwischen eingetreten sind, auch wenn sie bislang noch nirgendwo beziffert wurden.

Ein weiteres Problem könnte der Konflikt mit Ägypten über die Befüllung des Renaissance-Staudamms am Oberlauf des Nils sein. Sollte die Befüllung wegen ägyptischer Drohungen mit militärischen Maßnahmen nicht wie geplant möglich sein, würde das auch den vorgesehenen Export von Elektrizität gefährden.

Politische Empfehlungen

Äthiopien ist der Fall eines Landes, das wegen der bereits hohen Schuldenbelastung mehr als ein Moratorium benötigt, um durch die Folgen von COVID-19 nicht in eine neue Schuldenfalle zu geraten. Von daher ist das Bemühen um echte Erleichterungen der richtige Schritt zur richtigen Zeit. Allerdings fördern die kompromisslose Haltung der Regierung im Tigray-Konflikt und die Berichte über dortige Menschenrechtsverletzungen durch die Regierungsseite nicht gerade die die Bereitschaft zum Entgegenkommen auf Seiten der Gläubiger.

Für die G20 und den Pariser Club ist Äthiopien gleichzeitig ein herausfordernder erster Testfall des Common Framework wie auch die Chance, in diesem Fall, in dem es im Vergleich zu anderen DSSI-Ländern um relativ große Beträge geht, bereits deutlich zu machen, dass man eine hinreichende Entlastung des Schuldners auch gegen den Widerstand uneinsichtiger Gläubiger auf der privaten wie der multilateralen Seite durchzusetzen gedenkt – selbst wenn die Kosten dafür nicht marginal sind.

 

Stand: Februar 2021