“Mit Schulden fair verfahren!” – Unsere Forderungen

Im Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode 2021 bis 2025 haben sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP auf S. 121 auf folgenden Wortlaut geeinigt:

“Wir unterstützen eine Initiative für ein kodifiziertes internationales Staateninsolvenzverfahren, das alle Gläubiger miteinbezieht und Schuldenerleichterungen für besonders gefährdete Ländergruppen umsetzt.”

Wie kann dieses Ziel erreicht werden?

Unsere Forderungen an die Bundesregierung im Rahmen der Kampagne “Mit Schulden fair verfahren! Koalitionsvertrag umsetzen. Staateninsolvenzverfahren schaffen.” zeigen einen Weg:

Forderung 1: Ausreichend umfassende Schuldenerlasse für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung ermöglichen.

Die Geschichte von Schuldenkrisen ist geprägt davon, dass sich deren Lösung wegen zu geringer und zu später Schuldenerlasse immer wieder verzögert – auf Kosten der Bürger*innen im Schuldnerland sowie der Steuerzahler*innen im Gläubigerland. Das hat damit zu tun, dass Gläubiger häufig nicht oder nur in geringem Maße dazu bereit sind, auf Forderungen zu verzichten. Es sind die Gläubiger selbst – und nicht etwa eine unabhängige Instanz wie im Insolvenzverfahren für überschuldete Privatpersonen –, die über die Notwendigkeit und den Umfang von Schuldenerlassen entscheiden. Dadurch erhält die Zumutbarkeit des Schuldenerlasses für die Gläubiger Vorrang vor der Überlegung, was der Schuldner benötigt, um nachhaltig wieder auf die Beine zu kommen. So werden Schuldenerlasse oft mithilfe von optimistischen Schuldentragfähigkeitsanalysen des Internationalen Währungsfonds (IWF) kleingerechnet und die Kosten der Krisenbewältigung durch Austeritätsprogramme auf die Bevölkerung des Schuldnerlandes abgewälzt. Hinzu kommt, dass sich Schuldnerregierungen scheuen, frühzeitig Schuldenerlassverhandlungen aufzunehmen – nicht zuletzt wegen geringer Aussichten auf rasche und ausreichend umfangreiche Schuldenerlasse. Dies verzögert die rasche Lösung von Schuldenkrisen im Interesse aller Akteure zusätzlich.

Regeln, die dem Gläubiger so viel Macht zur Durchsetzung der eigenen Interessen geben, stehen entgegen dem zentralen Ziel eines rechtsstaatlichen Insolvenzverfahrens, die Handlungsfähigkeit des Schuldners unter Beachtung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Bevölkerung und nicht zuletzt auch im Interesse der verbliebenen Gläubigeransprüche wiederherzustellen.

  • Sich dafür einsetzen, dass bei der Berechnung des Erlassbedarfs soziale und ökonomische Grundrechte der Bevölkerung kritisch verschuldeter Staaten und klimawandelbedingte Kosten und Risiken verbindlich berücksichtigt werden.
  • Sich dafür einsetzen, dass die Auswirkungen von wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Grundrechte der Menschen in den Schuldnerländern verpflichtend berücksichtigt werden.
  • Sich dafür einsetzen, dass die Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung und den benötigten Schuldenerlass realistisch sind und die Annahmen hinter Schuldentragfähigkeitsanalysen der Öffentlichkeit zur Überprüfung zugänglich gemacht werden.  
  • Sich dafür einsetzen, dass Rückzahlungsverpflichtungen automatisch nach unten angepasst werden, wenn sich die zugrundeliegenden Annahmen der Schuldentragfähigkeitsanalyse als zu optimistisch herausstellen.
  • Unter anderem in Fällen, in denen die Bundesregierung selbst Gläubiger ist, proaktiv einbringen, dass Informationen zum Schuldenerlassbedarf aus verschiedenen Quellen in die Verhandlungen einbezogen werden, nicht nur vom IWF.
  • Sich dafür einsetzen, dass ein IWF-Programm nicht als Bedingung formuliert wird, um Verhandlungen über Schuldenrestrukturierungen zu führen.
  • Sich dafür einsetzen, dass die Grundlage für die Entscheidung von Schuldenerlassen vorrangig der errechnete Schuldenerlassbedarf ist, nicht, wieviel Gläubiger bereit sind zuzugestehen.
  • Sich dafür einsetzen, dass eine unabhängige Schiedsstelle für den Konfliktfall eingerichtet wird und dafür finanzielle Mittel bereitstellen.

Restrukturierungsverhandlungen zu beschleunigen, ist der Bundesregierung ein Anliegen. Für das Bundesfinanzministerium (BMF) liegt die Reformpriorität, um Verzögerungen zu vermeiden, jedoch auf der Definition fester Zeitabläufe im Common Framework. Eine Schiedsstelle ist nicht vorgesehen – auch, wenn offen bleibt, was genau geschehen soll, wenn die Frist zur Bildung eines Gläubigerkomitees oder zur Einigung zwischen Schuldner und Gläubigern verstreicht und politische Konflikte zum Stillstand führen. Weder unabhängige Analysen zur Errechnung des Schuldenerlassbedarfs noch die Überprüfung, ob Austeritätsprogramme zur Verschlechterung der Lebenssituation von Menschen im Schuldnerland führen – und deshalb abzulehnen seien, bzw. die Lastenteilung zwischen Gläubiger (durch Schuldenerlasse) und Bürger*innen (durch Austerität) neu überdacht werden müsse – werden von der Bundesregierung als Reformschritte erwogen.

Vielmehr machen die öffentlichen Gläubiger inklusive der Bundesregierung ein IWF-Kreditprogramm zur Bedingung für die eigene Schuldenrestrukturierung. Dadurch entsteht ein quasi-rechtliches Monopol des IWF auch für die Analyse, die den Schuldenerlassbedarf berechnet, an dem die öffentlichen Gläubiger als gleichzeitig wichtigste Anteilseigner der Finanzorganisation festhalten.

Grundsätzlich gibt es zwar einen Konsens auch in der Bundesregierung, dass die Annahmen, die bei den Umschuldungsverhandlungen über die künftige wirtschaftliche Lage und Rückzahlungsfähigkeit des Schuldnerlandes realistisch sein müssen. Das Problembewusstsein dafür, dass Annahmen oft zu optimistisch waren und damit Finanzbedarfe kleingerechnet wurden, unterscheidet sich jedoch von Ministerium zu Ministerium. In Bezug zur „Echtzeit“-Veröffentlichung der Annahmen und Analysen, die den Verhandlungen über Schuldenerlasse zugrundeliegen, ist die Position der Bundesregierung unklar. Der IWF kündigte an, dass Schuldentragfähigkeitsanalysen zu Beginn der Verhandlungen transparent gemacht werden sollen.

Forderung 2: Alle Gläubiger verpflichten, sich an Schuldenerlassen zu beteiligen.

Aktuell gibt es kein umfassendes Verfahren, in dessen Rahmen ein in Schwierigkeiten geratenes Schuldnerland über all seine ausstehenden Schulden mit all seinen Gläubigern gemeinsam verhandeln kann. Stattdessen ist das System durch eine Vielzahl an Verfahren und Akteuren geprägt. Hat das Schuldnerland eine Einigung mit einem Teil seiner Gläubiger erzielt, gibt es aktuell keine Mechanismen, wie unkooperative Gläubiger verpflichtet werden könnten, sich ebenfalls an den Erlassen zu beteiligen.

Besonders problematisch ist in dieser Hinsicht, dass der Großteil der Forderungen von privaten Gläubigern wie Investmentbanken und Fonds oder von multilateralen Gläubigern wie der Weltbank oder dem IWF gehalten wird und dass China mittlerweile der wichtigste bilaterale öffentliche Gläubiger ist und relevante Forderungsanteile gegenüber einer Vielzahl an Ländern hält.  Alle drei Gläubiger(gruppen) weigern sich bisher, ausreichend umfassende Schuldenerlasse zu gewähren.

  • Den Druck auf unkooperative Gläubiger erhöhen: Schuldnerländer politisch und finanziell dabei unterstützen, Zahlungseinstellungen anzudrohen oder durchzusetzen.
  • Gesetzgeberisch tätig werden und unkooperativen privaten Gläubigern die rechtliche Durchsetzung ihrer Forderungen erschweren.
  • Sich für ähnliche Gesetze in anderen Ländern einsetzen.
  • Die UN-Prinzipien für Schuldenrestrukturierungen anerkennen, damit nationale Gerichte dieses heranziehen können.
  • Sich für den Einbezug multilateraler Gläubiger in Schuldenrestrukturierungen einsetzen.
  • Kooperativ mit China zusammenarbeiten und gleichzeitig auf ausreichend tiefe Schuldenerlasse bestehen, indem die Bundesregierung Schuldnerstaaten beispielsweise die Streichung der eigenen Forderungen und neue Finanzierungen unter der Bedingung anbietet, dass China entweder vergleichbare Zugeständnisse gewährt oder die Schuldnerstaaten ihre Rückzahlungen an China einstellen bis China vergleichbaren Zugeständnissen zustimmt.

Innerhalb der Bundesregierung herrscht grundsätzlich Einigkeit, dass die gleichwertige Beteiligung aller Gläubiger nicht gut funktioniert. Allerdings wird die Frage, wer denn genau das Problem sei, innerhalb der Bundesregierung unterschiedlich gesehen. Das Bundesfinanzministerium (BMF) sieht das Hauptproblem in der fehlenden Kooperation von anderen Regierungen, die nicht Teil des sogenannten Pariser Clubs sind. Dabei geht es ihnen vor allem um die Volksrepublik China.

Das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) sieht vor allem Regelungsbedarf bei den privaten Gläubigern – auch, da dies im Einflussbereich der G7-Staaten liegt. Hierzu hat das BMZ eine Studie in Auftrag gegeben, die Möglichkeiten für die Bundesregierung ausloten soll, einen aktiven Beitrag zur Beteiligung des Privatsektors an Schuldenrestrukturierungen zu leisten. Dies schließt sowohl gesetzliche als auch andere Maßnahmen mit ein. Das BMF wiederum sieht an dieser Stelle keinen Handlungsbedarf und sieht die Pflicht, Privatgläubigerbeteiligung durchzusetzen, in erster Linie beim Schuldner.

Beide Ministerien sehen keinen Handlungsbedarf bei der Einbeziehung multilateraler Gläubiger und halten den fragwürdigen Anspruch eines bevorzugten Gläubigerstatus dieser Institutionen aufrecht. Dies führt zu verhärteten Fronten zwischen China – das den Einbezug vehement fordert – und dem Pariser Club.

Forderung 3: Transparenz als Gläubigerprinzip verbindlich durchsetzen.

Für die Öffentlichkeit und auch für andere Gläubiger ist es nicht möglich, alle Kreditgeber eines Landes zweifelsfrei zu identifizieren. Das gilt vor allem für die Kreditvergabe von privater Seite. So ist zum Beispiel die Identität von Anlegern nur in knapp einem Viertel der Fälle zuordenbar. Auch die Bedingungen der Kreditvergabe und damit die Kosten eines Kreditgeschäfts durch Zins, Tilgung, Gebühren und weiteren Vertragsbedingungen sind meist nicht transparent einsehbar. Das gleiche gilt für die Bedingungen von Umschuldungsvereinbarungen. So hält beispielsweise der Pariser Clubs seine Umschuldungsabkommen geheim, so dass Schuldnerländern wichtige Informationen zum Ablauf vergangener Umschuldungen fehlen, die für eigene Verhandlungen hilfreich sein können.

Freiwillige Transparenzinitiativen, etwa der OECD und des Institute of International Finance, haben bisher nicht dazu geführt, dass (private) Gläubiger Angaben zu ihrer Kreditvergabe zur Verfügung stellen. Dabei nützt Transparenz allen: Sie gibt den Kreditgebern mehr Sicherheit für eine verantwortliche Kreditvergabe, sie führt aufgrund besser kalkulierbarer Risiken zu niedrigeren Zinsen für das kreditnehmende Land und sie ermöglicht es Parlamenten und der Zivilgesellschaft, die Kreditvergabe und -aufnahme einer genauen Prüfung zu unterziehen, genauso wie den Vereinbarungen im Rahmen von Umschuldungsverhandlungen. In der Entwicklungszusammenarbeit erhält häufig der Ausbau von Kapazitäten des Schuldnerlandes für ein besseres, transparentes Schuldenmanagement ein besonderes Augenmerk. Auch wird der Schuldner bei fehlender Transparenz sanktioniert, etwa durch die Aufschiebung der Auszahlung von Kreditmitteln des IWF. Doch auch Gläubiger sind in der Pflicht. Transparenz muss endlich auch als Verantwortung der Gläubiger verbindlich festgeschrieben und durchgesetzt werden.

  • Mit gutem Beispiel vorangehen und an einer zentralen Stelle transparent über die eigenen Forderungen auf Basis einzelner Kreditverträge berichten.
  • Sich politisch und mit finanziellen Beiträgen für die Schaffung eines internationalen Schuldenregisters bei einer unabhängigen Institution einsetzen.
  • Dabei sich dafür einsetzen, dass die fehlende Transparenz auf Gläubigerseite sanktioniert wird, zum Beispiel indem nicht öffentlich gemachte Forderungen nicht mehr eingeklagt werden können.
  • Eigene Vereinbarungen über Schuldenrestrukturierungen der Öffentlichkeit zugänglich machen sowie darauf hinwirken, dass Umschuldungsabkommen des Pariser Clubs veröffentlicht werden.

Die Bundesregierung veröffentlicht einmal jährlich ihre bilateralen öffentlichen Forderungen aus der Entwicklungszusammenarbeit und Handelsgeschäften. Konditionen eigener Umschuldungsvereinbarungen werden nicht veröffentlicht. Die Schaffung eines verbindlichen, zentralen Datenregisters, wo also alle Daten an einem Ort gebündelt werden und Intransparenz sanktioniert wird, lehnt die Bundesregierung bislang ab. Weiterhin setzt die Bundesregierung in Bezug zu privaten Gläubigern auf die freiwillige Transparenzinitiative der OECD und des Institute of International Finance, auch wenn sich seit Einführung der Initiative vor mehr als zwei Jahren kaum ein privater Gläubiger beteiligt hat. Vor allem versucht die Bundesregierung durch Vereinbarungen im G20 Common Framework China zu mehr Schuldentransparenz zu verpflichten.

Forderung 4: Klimagerechtigkeit und faire Entschuldung zusammen denken.

Es ist ein Teufelskreis: Hohe Verschuldungsniveaus und der Druck, den hohen Schuldendienst an ausländische Gläubiger weiter zu bedienen, zwingen Staaten ihre Exporte zu maximieren. Häufig bedeutet das, die Förderung kurzfristig rentabler fossiler Energien fortzuführen und weiter auszubauen. So verschärft die Schuldenkrise die Klimakrise.

Auf der anderen Seite treibt auch die Klimakrise Staaten im Globalen Süden immer tiefer in die Verschuldung. Besonders klimagefährdete Staaten müssen schon heute höhere Zinssätze zahlen, um Kredite aus dem Ausland aufzunehmen. Öffentliche Zuschüsse oder günstige Kredite werden nur unzureichend zur Verfügung gestellt. Damit bleiben für die enormen Klimafinanzierungserfordernisse in besonders klimaverwundbaren Staaten hauptsächlich schuldengenerierende Mittel. Gleichzeitig nehmen Extremwetterereignisse durch den Klimawandel stark zu. In Folge der Zerstörungen durch Klimakatastrophen wird die Rückzahlung vormals aufgenommener Kredite für viele Staaten zum Problem. Zudem müssen sie zur Bewältigung der Folgen von solchen Katastrophen häufig zusätzliche Kredite aufnehmen, die die Schulden weiter in die Höhe treiben. 

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen ist es daher wichtig, Klimagerechtigkeit und faire Entschuldung zusammenzudenken und dabei die historische Verantwortung der Länder des Globalen Nordens für die Klimakatastrophe konsequent zu berücksichtigen. 

  • Sich dafür einsetzen, dass Kosten für Eindämmungs- und Anpassungsmaßnahmen in Schuldentragfähigkeitsanalysen berücksichtigt werden.
  • Kritisch verschuldeten Staaten, bei denen die Bundesregierung Gläubiger ist, nach Klimakatstrophen wie etwa Hurrikanen eine Aussetzung ihres Schuldendienstes ermöglichen, um unmittelbar Gelder für Nothilfe und Wiederaufbau freizusetzen.
  • Zahlungseinstellungen nach Naturkatastrophen politisch legitimieren.
  • Sich in internationalen Prozessen wie etwa den UN-Klimakonferenzen für die automatische Einsetzung von Schuldenmoratorien infolge von Klimakatastrophen einsetzen. Alle Gläubiger sollten in diese Moratorien einbezogen werden.
  • Vollstreckungsschutz in ein nationales Gesetze einbauen und andere dazu anregen.
  • Bei der Verabschiedung eines nationalen Gesetzes (siehe Forderung 2) die Klage- und Vollstreckungsmöglichkeiten auch infolge einer Naturkatastrophe für einen bestimmten Zeitraum vorübergehend unterbinden.
  •  Sich proaktiv damit befassen, wie Schuldenerlasse – über die Streichung untragbarer und illegitimer Schulden hinaus – eine Rolle bei der Kompensation von Schuldnerstaaten beim Ausstieg aus fossilen Energieträgern spielen können.

Bislang denkt die Bundesregierung Schulden- und Klimagerechtigkeit noch nicht ausreichend zusammen. Die G7-Finanzminister, zu denen auch der Bundesfinanzminister zählt, fordern im Mai 2023 in ihrem Communqiué des Finanzministergipfels “mehr Gläubiger” auf, Klimaresilizenzklauseln in Kreditverträge aufzunehmen, damit Länder im Falle einer Klimakatastrophe ihren Schuldendienst aussetzen können. Die Bundesregierung selbst beteiligt sich allerdings bislang nicht an diesem Commitment, welches sehr einfach umzusetzen ist.

Außenministerin Annalena Baerbock hat die Finanzierung der Bewältigung von Klimaschäden und -verlusten (der Bereich “Loss and Damage”) in den Mittelpunkt ihrer internationalen Klimapolitik gestellt. Schuldenerleichterungen als Finanzierungsinstrument von Loss and Damage spielen dabei bislang nur eine untergeordnete Rolle, u. a. auch, weil das Bundesfinanzministerium in Schuldenfragen federführend ist.

Forderung 5: Ein Staateninsolvenzverfahren auf die internationale Agenda setzen und die Rolle der Vereinten Nationen stärken.

Gäbe es ein internationales Insolvenzrecht und damit Entschuldungsverfahren, die nach rechtsstaatlichen Regeln funktionieren, gäbe es viele der Probleme, mit denen Schuldnerländer (und gutwillige Gläubiger) konfrontiert sind, nicht. Aus diesem Grund hat es immer wieder in der Geschichte Anläufe gegeben, ein solches internationales Insolvenzverfahren zu schaffen. Nur durch einen Prozess bei den Vereinten Nationen kann sichergestellt werden, dass die betroffenen Schuldnerländer ausreichend Gehör finden und in die Schaffung einer fairen globalen Finanzarchitektur angemessen einbezogen sind. 

Auch wenn es aktuell keinen internationalen Konsens für die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens bei den Vereinten Nationen gibt, so muss das im Koalitionsvertrag verankerte Anliegen übergeordnete Leitlinie der deutschen Schuldenstrategie bleiben. Auch wenn Deutschland ein solches Verfahren nicht ganz allein einführen kann, so hat Bundesregierung in regionalen und internationalen Foren und Verhandlungen ein ernstzunehmendes Gewicht, dass sie für die weitere Meinungsbildung und Schaffung von Dynamik proaktiv einsetzen sollte.

  • Sich dafür einsetzen, dass die 4. Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung im Rahmen der Vollversammlung der Vereinten Nationen 2025 tatsächlich stattfindet und dass Reformen der internationalen Schuldenarchitektur prominent auf der Tagesordnung stehen.
  • Beim UN Summit of the Future im Spätsommer 2024, bei dem die Bundesregierung zusammen mit Namibia die Vorbereitung übernimmt, sicherstellen, dass dieser neue Prozess die etablierten UN-Prozesse, in denen über globale Strukturfragen des internationalen Schuldenmanagements beraten wird, nicht untergräbt, sondern stärkt und einen guten Boden für die Vierte Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung 2025 bereitet.
  • Die Bundesregierung sollte sich konstruktiv in bestehende UN-Prozesse wie den SDG-Halbzeitgipfel im September 2023 und den Financing for Development-Prozess einbringen.
  • Aktiv den Dialog mit Staaten und Staatengruppen suchen, die sich für faire und effiziente Entschuldungsverfahren einsetzen, und ihre Initiativen proaktiv aufgreifen.
  • Offenheit dafür zeigen, Vorschläge von anderen Institutionen als der G20, die einem kodifizierten Staateninsolvenzverfahren den Weg bereiten könnten, politisch und finanziell zu unterstützen. Dies gilt etwa für die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), die bereits 2015 Vorschläge für reformierte Restrukturierungsverfahren vorgelegt hat, die kein ausreichendes Gehör fanden.
  • Eine unabhängige und öffentlich zugängliche Evaluierung der bisherigen Schuldenrestrukturierungen unter dem Umschuldungsrahmenwerk Common Framework der G20 beauftragen.

Vonseiten des im Thema federführenden Bundesfinanzministeriums heißt es, der Vorschlag eines kodifizierten Staateninsolvenzverfahrens auf internationaler Ebene sei – auch angesichts der veränderten Gläubigerstruktur – derzeit nicht zeitnah realisierbar. Für das Bundesfinanzministerium bedeutet dies, dass sich allein auf die Umsetzung des G20 Common Framework konzentriert werden muss. Zeitweise wurde das G20 Common Framework sogar mit einem Staateninsolvenzverfahren gleich gesetzt. Initiativen außerhalb der Umsetzung des G20 Common Frameworks würden das Rahmenwerk schwächen und seien daher nicht zu verfolgen. Dies gelte insbesondere für Initiativen im Rahmen der Vereinten Nationen. Grundsätzlich (und nicht erst seit dieser Legislaturperiode) gibt es bei den G7-Staaten inklusive Deutschland die Position, dass internationale Schuldenfragen nichts in den Vereinten Nationen zu suchen habe, sondern der Internationale Währungsfonds (und die G20) dafür am besten geeignet seien.

Nicht alle in der Bundesregierung teilen die Position, dass die internationale Schuldenstrategie der Bundesregierung nur aus der Umsetzung des G20 Common Framework bestehen darf. Aus anderen Ministerien gibt es daher Initiativen, um geordnete Umschuldungsverfahren zu stärken und dem Ziel im Koalitionsvertrag näher zu kommen. Und auch im Bundestag gibt es Abgeordnete, für die es nicht akzeptabel ist, dem Staateninsolvenzverfahren als übergeordnetes Ziel bereits eine Absage zu erteilen.