Pakistan

Hat Pakistan ein Schuldenproblem?

Der Schuldenreport von erlassjahr.de und Misereor stuft die Verschuldungssituation des Landes schon lĂ€nger als „sehr kritisch“ ein. Pakistan gehört zu den LĂ€ndern, die immer wieder genannt werden, wenn es um die gefĂ€hrdetsten in der aktuellen Schuldenkrise geht. Im Sommer 2023 hat Pakistan nur knapp eine ZahlungsunfĂ€higkeit durch die Aushandlung eines IWF-Programms abgewendet. Der Schuldendienst des Landes ist außerordentlich hoch.

Die wichtigsten Schuldenindikatoren (Stand Ende 2022)

IndikatorAusprÀgungGrenzwert
Auslandsverschuldung im VerhÀltnis zum Bruttonationaleinkommen (%)34,240
Auslandsverschuldung im VerhÀltnis zu den jÀhrlichen Exporteinnahmen (%)320,2150
JÀhrlicher Schuldendienst im VerhÀltnis zu den jÀhrlichen Exporteinnahmen (%)42,015
Öffentliche Verschuldung im VerhĂ€ltnis zum BIP (%)76,250
Öffentliche Verschuldung im VerhĂ€ltnis zu den öffentlichen Einnahmen (%)629,8200
Auslandsschuldenstand (US-Dollar)126,9 Mrd.
Schuldendienst: Zinsen und Tilgungen an auslÀndische GlÀubiger (US-Dollar)16,6 Mrd.

ErklÀrung zu den Indikatoren und Grenzwerten

Wer sind die GlÀubiger von Pakistan?

ErklÀrung der Schuldenkategorien

Die gesamten Auslandsschulden eines Landes setzen sich aus den Schulden des öffentlichen Sektors und denen des Privatsektors zusammen. Im Diagramm sind öffentliche Schulden mit Vollfarben und private Auslandsschulden schraffiert dargestellt.

Bei den öffentlichen Schulden werden drei GlĂ€ubigergruppen unterschieden, nĂ€mlich multilaterale öffentliche GlĂ€ubiger – das sind vor allem Entwicklungsbanken und der IWF -, bilaterale öffentliche GlĂ€ubiger – das sind andere Regierungen – und private GlĂ€ubiger.

Bei den beiden öffentlichen GlĂ€ubigerkategorien unterscheiden wir zudem nach konzessionĂ€ren, also zinsgĂŒnstigen Krediten zu “Entwicklungshilfebedingungen”, und Krediten zu Marktbedingungen („nicht-konzessionĂ€re“).

Bei den öffentlichen Schulden bei privaten GlÀubigern unterscheiden wir die beiden Hauptinstrumente, nÀmlich Bankkredite und Anleihen. Diese beiden Instrumente unterscheiden wir auch bei den Auslandsschulden des Privatsektors.

Knapp 80 Prozent von Pakistans Auslandsschulden gehen zu Lasten des Staates. Private pakistanische Banken, Unternehmen und Einzelpersonen sind nur in relativ bescheidenem Umfang im Ausland verschuldet und zwar mittlerweile ausschließlich bei auslĂ€ndischen Banken.

Pakistan ist hauptsĂ€chlich bei multilateralen und bilateralen öffentlichen GlĂ€ubigern verschuldet. Bei beiden GlĂ€ubigergruppen ĂŒberwiegen die Kredite zu marktnahen Bedingungen. ZinsgĂŒnstige öffentliche Finanzierungen stagnierten in den letzten Jahren stetig, wĂ€hrend das Volumen der marktnahen Finanzierungen deutlich zunahm.

China ist mit ca. 25 Milliarden US-Dollar vor allem in Form kommerzieller Kredite im Rahmen der Neuen-Seidenstraßen-Initiative mit Abstand Pakistans wichtigster GlĂ€ubiger. Berichten zufolge sollen die ForderungsbestĂ€nde dabei mindestens 20 Milliarden US-Dollar höher sein, als von Pakistan bisher an die Weltbank berichtet. Mit deutlichem Abstand folgt Japan. Dessen mehr als 4 Milliarden US-Dollar sind allerdings ĂŒberwiegend zu konzessionĂ€ren Bedingungen vergeben worden und deshalb fĂŒr die Leistungsbilanz Pakistans weniger bedrohlich. Nach Angaben der Weltbank folgen dann Saudi-Arabien, USA, Frankreich und Deutschland mit jeweils mehr als 1 Milliarde US-Dollar. Allerdings weichen die Weltbank-Angaben deutlich von denen des Bundesfinanzministeriums (BMF) ab: WĂ€hrend die Weltbank ca. 1 Milliarde US-Dollar als Handelsschulden verbucht, weist das BMF umgekehrt nur geringe Handelsschulden, und dafĂŒr ca. 900 Millionen US-Dollar aus Krediten der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit aus. Mit den BMF-Zahlen wĂ€re Pakistan aktuell nach Ägypten, Indien und China der viertgrĂ¶ĂŸte Schuldner Deutschlands im Globalen SĂŒden.

Unter den multilateralen GlĂ€ubigern ist mit Abstand die Asiatische Entwicklungsbank die bedeutendste nicht-konzessionĂ€re Finanziererin. Danach folgen die Internationale Bank fĂŒr Wiederaufbau, die Asiatische Infrastrukturinvestitionsbank und die Islamische Entwicklungsbank. Auch wenn die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA) mit knapp 8 Milliarden US-Dollar zu den mit Abstand bedeutsamsten konzessionĂ€ren Finanzierern von Pakistan zĂ€hlt, hĂ€lt sie laut der Weltbankstatistik tatsĂ€chlich auch nicht-konzessionĂ€re Forderungen von rund 7 Milliarden US-Dollar.

Der pakistanische Staat ist zusÀtzlich zu seinen Auslandsschulden auch stark bei inlÀndischen Banken und Anlegern verschuldet.

Schaut man zudem auf den gesamten öffentlichen Schuldendienst im VerhĂ€ltnis zu den öffentlichen Einnahmen, fließen laut pakistanischen Angaben mehr als die HĂ€lfte der Staatseinnahmen allein in die Bedienung der Schulden.

Trend

Alle Schuldenindikatoren haben sich zwischen Ende 2018 und Ende 2021 um mindestens 10 Prozent verschlechtert. Besonders kritisch hat sich der gesamte Schuldendienst an das Ausland im VerhÀltnis zu den dort erzielten Exporteinnahmen entwickelt.

Bemerkenswert ist, dass Pakistan nach Angaben der Weltbank bis Ende 2022 gegenĂŒber keinem seiner GlĂ€ubiger in Zahlungsverzug geraten ist.

Bisherige Schuldenerleichterungen fĂŒr Pakistan

Pakistan hat von 1972 bis 2001 insgesamt sechs Mal mit seinen öffentlichen GlĂ€ubigern im sogenannten Pariser Club Umschuldungen ausgehandelt. Dabei handelte es sich lediglich um Umschuldungen ohne ein nennenswertes Erlasselement. Bemerkenswert sind die letzten drei Runden (1999 und zwei in 2001) insofern, als Pakistan das erste Land war, bei dem der Pariser Club darauf bestanden hat, dass auch Schulden in Form von Anleihen unter die so genannte „Gleichbehandlungsklausel“ fallen. Mit dieser Klausel verpflichtet sich das Schuldnerland, von allen GlĂ€ubigern außerhalb des Pariser Clubs mindestens die gleichen Umschuldungsbedingungen zu erwirken wie unter dem vorliegenden Abkommen. Anleihen waren bis dahin von solcher Gleichbehandlung ausgenommen. Seither werden sie standardmĂ€ĂŸig einbezogen.

FĂŒr die multilaterale Entschuldungsinitiative fĂŒr hoch verschuldete arme LĂ€nder um das Jahr 2000 (HIPC) war Pakistan nicht qualifiziert.

Pakistan hat im FrĂŒhjahr 2020 die von den G20 geschaffene Debt Service Suspension Initiative (DSSI) in Anspruch genommen. Es konnte dadurch insgesamt mehr als 7 Milliarden US-Dollar an laufendem Schuldendienst der Jahre 2020 und 2021 aussetzen. Diese mĂŒssen allerdings in fĂŒnf gleich großen Raten und verzinst in den Jahren 2023-2027 zurĂŒckgezahlt werden. Da das Moratorium ausdrĂŒcklich dazu gedacht war, Maßnahmen zur EindĂ€mmung der Pandemie zu finanzieren, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Pakistan fĂŒr diese zusĂ€tzliche Belastung RĂŒcklagen bilden konnte.

Die chinesische Export-Import-Bank hat im Jahr 2023 Kredite in Höhe von mehr als 2 Milliarden fĂŒr zwei Jahre umgeschuldet, um eine Zahlungseinstellung des Landes zu vermeiden. Die Bedingungen sind nicht bekannt.

Auch wenn das Land fĂŒr das Umschuldungsrahmenwerk Common Framework der G20 begĂŒnstigt ist, hat die pakistanische Regierung bisher unter allen UmstĂ€nden eine Zahlungseinstellung wie in Sri Lanka bzw. einen Antrag auf Restrukturierung vermieden.

Aktuelle Risiken fĂŒr die SchuldentragfĂ€higkeit

Pakistans Schuldenprofil hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert.

Pakistan zĂ€hlt schon lĂ€nger zu den LĂ€ndern mit der höchsten Schuldendienstbelastung weltweit sowie zu den LĂ€ndern mit dem höchsten Risiko der Zahlungseinstellung. Zu Beginn des Jahres 2023 stand das Land kurz vor der Zahlungseinstellung, auch fĂŒr Importe fehlten die Devisen. Immer wieder schafft es Pakistan jedoch, durch Neukreditaufnahme und AusteritĂ€t, einen Default vorerst abzuwenden. So handelte das Land im Juni 2023 ein neunmonatiges „Bailout“-Paket mit dem IWF aus, das die Lage erst einmal entspannte. Durch das IWF-Paket hatte die pakistanische Regierung weitere Bailout-Mittel, etwa von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, mobilisieren können. Bislang hatte auch China immer wieder dafĂŒr gesorgt, dass fĂ€llig werdende Zahlungen entweder umgeschuldet oder refinanziert wurden, um eine Zahlungseinstellung zu vermeiden. Maßnahmen, um eine Zahlungseinstellung zu vermeiden, wie strenge ImportbeschrĂ€nkungen, fĂŒhrten u. a. dazu, dass importabhĂ€ngige Unternehmen in Pakistan pleite gingen und verschiedene BasisgĂŒter nicht mehr verfĂŒgbar waren.

Pakistan weist traditionell ein sehr hohes Leistungsbilanzdefizit auf, welches durch bilaterale Entwicklungszusammenarbeit, RĂŒckĂŒberweisungen von pakistanischen Migrant*innen vor allem in den Golf-Staaten sowie Kreditaufnahme gedeckt werden muss.

Der Wirtschaftseinbruch infolge der Pandemie, die wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine, die politische InstabilitĂ€t seit der Abwahl von PrĂ€sident Khan, die weiterhin andauert, sowie die Verwundbarkeit gegenĂŒber dem Klimawandel können die Lage des Landes weiter verschĂ€rfen.

Im Sommer 2022 wurde das Land von einer der stĂ€rksten Naturkatastrophen in der Geschichte des Landes getroffen. Überflutungen durch extremen Monsunregen fĂŒhrten zu SchĂ€den und Verlusten in Höhe von mehr als 30 Milliarden US-Dollar. Wiederaufbaukosten in Höhe von geschĂ€tzten 17 Milliarden US-Dollar stehen einem gesamten Auslandsschuldendienst (laut IWF) im Jahr 2023 in gleicher Höhe gegenĂŒber. Auch in den nĂ€chsten Jahren bleibt der gesamte Auslandsschuldendienst zwischen 16 und 18 Milliarden US-Dollar pro Jahr.

Die Entwicklung der pakistanischen Schuldensituation wird auch von geopolitischen Spannungen beeinflusst, nicht nur zwischen China und dem Westen. Chinas Bereitschaft, den laufenden Schuldendienst durch Neukredite zu refinanzieren, bleibt auch in der Zukunft zentral. Gleichzeitig versuchen arabische Staaten, ihren Einfluss zu erhöhen und damit den chinesischen Einfluss stÀrker in den Schatten zu stellen. Gleichzeitig ist Pakistan auch auf eine gute Beziehung zu den USA angewiesen, wÀhrend die Spannungen zwischen China und dem Westen zunehmen.

Politische Empfehlungen

Als Atommacht und Nachbar Afghanistans kann Pakistans Schuldensituation nicht isoliert vom geopolitischen Kontext betrachtet werden. Bislang hat es die Regierung Pakistans immer wieder geschafft, die ZahlungsunfĂ€higkeit abzuwenden, allerdings zu hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten. Die hohen laufenden Schuldendienstkosten lassen nur geringen Spielraum fĂŒr Investitionen in die grĂŒne Transformation sowie in die soziale Sicherung. Auch in den nĂ€chsten Jahren stehen hohe Schuldendienstzahlungen an. Eine umfassende Schuldenrestrukturierung ist zwingend nötig.

Der bis April 2022 amtierende PrĂ€sident Imran Khan hatte unter anderem im Kontext der Vereinten Nationen fĂŒr kohĂ€rente Entschuldungsoptionen und entsprechende Reformen der globalen Finanzarchitektur geworben. Angesichts der fragilen innenpolitischen Lage sind von der amtierenden Regierung vergleichbare Initiativen bisher nicht eingebracht worden.

In LĂ€ndern, die im Umschuldungsrahmenwerk Common Framework der G20 ĂŒber ihre Schulden verhandeln, zeigt sich China bisher bereit, sich an den offiziellen GlĂ€ubigerkomitees zu beteiligen und auch Schuldenerleichterungen zuzugestehen, anders als in LĂ€nderfĂ€llen außerhalb des Common Framework. Pakistan qualifiziert sich fĂŒr das Common Framework. Allerdings ist eine Aushandlung ausreichend ambitionierter Schuldenerleichterungen und eine Beteiligung privater GlĂ€ubiger auch im Common Framework bislang schwierig. Immer wieder besteht China auf faire Lastenteilung auch von westlichen privaten GlĂ€ubigern sowie multilateralen GlĂ€ubigern. Letztere versucht der Westen aus Umschuldungen bislang herauszuhalten. Dieser auch geopolitisch gefĂ€rbte Konflikt in der GlĂ€ubigerbeteiligung, der sich z. B. auch in Sambia und Sri Lanka zeigt, wird voraussichtlich auch in Pakistan die BewĂ€ltigung der Schuldenkrise erschweren. Aufgrund der zwischen GlĂ€ubigern politisch schwierigen Lage könnte bei einer Schuldenrestrukturierung in Pakistan ein externer Mediator zum Einsatz kommen, wie etwa von den Vulnerable20 im Oktober 2021 vorgeschlagen.

WeiterfĂŒhrende Informationen und Materialien:

Video: “Abdul Khaliq, CADTM Pakistan, on the debt crisis in Pakistan in times of COVID-19” (Mai 2021)

 

Stand: Januar 2024

 

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