Sri Lanka hat gewählt. Doch hohe Schuldendienstzahlungen und strikte Auflagen des IWF schränken den politischen Handlungsspielraum des neu gewählten Präsidenten stark ein – mit gravierenden sozialen Folgen und der Gefahr, das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie zu untergraben.
Wahlen nach zwei Jahren Übergangsregierung
Mehr als zwei Jahre nach den großen Protesten im Frühjahr 2022 fand am 21. September 2024 in Sri Lanka der erste Urnengang seit den Unruhen statt. Trotz der Flucht des damaligen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa infolge der Proteste hatte es bis dahin keine Neuwahlen gegeben. Stattdessen wurde 2022 eine Übergangsregierung unter Ranil Wickremesinghe gebildet, die in den Augen vieler Sri Lanker*innen keine Legitimität besaß. Wickremesinghe setzte Kommunalwahlen mit fadenscheinigen Argumenten aus und ging hart gegen zivile Proteste vor. Der autoritär regierende Übergangspräsident versuchte auch die Präsidentschaftswahlen weiter hinauszuzögern. Durch das Eingreifen des sri-lankischen Verfassungsgerichts konnte dies jedoch verhindert werden.
Bei der Wahl Ende September 2024 wurde Wickremesinghe nun wenig überraschend abgewählt. Mit über 40 Prozent der Erstpräferenzstimmen siegte der linke Kandidat Anura Kumara Dissanayake. Dissanayake, Vorsitzender der marxistisch-kommunistischen Partei Janatha Vimukthi Peramuna (JVP), trat als Spitzenkandidat eines Bündnisses aus 20 weiteren Organisationen an, darunter politische Parteien, Jugend- und Frauengruppen sowie Gewerkschaften.
Sieg fürs Kapital
Das Wahlbündnis Dissanayakes hatte im Wahlkampf damit geworben, eine Wirtschaftspolitik im Interesse der Einkommensschwachen durchzusetzen sowie das Kreditprogramm mit dem IWF und die Schuldenrestrukturierung neu auszuhandeln. Doch nach weniger als zwei Wochen im Amt ruderte die Regierung Dissanayakes bereits zurück und verkündete, dass sie den Deal mit dem IWF einhalten und keine Neuverhandlungen der Schuldenrestrukturierung anstreben werde. Vielmehr wolle man auch die noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen mit den Anleihehaltern so zum Abschluss bringen, wie sie von der Übergangsregierung noch kurz vor ihrem Abdanken eingestielt wurde. Ein klarer Sieg für internationale Anleihehalter, die so auch nach der Restrukturierung Gewinne in Höhe von schätzungsweise 3,6 Milliarden US-Dollar machen.
Eingeschränkter politischer Handlungsspielraum
Eine spürbare Verbesserung der alltäglichen Lebenssituation zu erreichen, dürfte indes für Dissanayake nun sehr schwierig werden. Denn der hohe Schuldendienst schränkt den politischen Handlungsspielraum stark ein. Diese Einschätzung teilt interessanterweise auch die Friedrich Naumann Stiftung:
„Auch wenn Dissanayake aus einem linksgerichtetem Umfeld kommt, der wirtschaftspolitischen Realität muss er sich auch stellen… Die fiskalische Realität wird AKDs [=Anura Kumara Dissanayake] Agenda sofort Grenzen setzen. Sri Lanka steht weiterhin unter der wachsamen Beobachtung internationaler Gläubiger, und jede Abweichung von vereinbarten Wirtschaftspolitiken könnte schwerwiegende Folgen haben.“
Selbstverständlich schränken jedoch nicht unveränderbare wirtschaftspolitische und fiskalische „Realitäten“ die Handlungsfähigkeit Sri Lankas ein. Die Umstände fußen vielmehr auf politischen Entscheidungen, die im Rahmen der Schuldenrestrukturierung klar zugunsten der Gläubiger gefällt wurden.
Denn wenn die Schuldenrestrukturierung so abgeschlossen wird, wie sie im Rahmen des IWF-Programms von der Übergangsregierung auf den Weg gebracht wurde, muss Sri Lanka in den nächsten Jahren weiterhin rund 26 Prozent seiner Staatseinnahmen für den ausländischen Schuldendienst aufbringen. Damit gehört Sri Lanka in seiner Einkommenskategorie auch nach der Restrukturierung zu den 20 Prozent der Länder, die weltweit am meisten an Schuldendienstzahlungen an ausländische Gläubiger leisten. Zum Vergleich: Im Rahmen der Entschuldungsinitiativen der 1990er Jahre (HIPC) wurden Rückzahlungen auf maximal 15 Prozent der Staatseinnahmen begrenzt, da alles darüber als nicht mehr tragfähig galt. Selbst konservative, IWF-nahe Kreise stimmen zu, dass im Falle Sri Lankas die im IWF-Programm anvisierten Schuldenerleichterungen zu gering ausfallen und die Schuldendienstzahlungen eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung gefährden (siehe unter anderem hier und hier).
Zusätzlich schränkt das IWF-Programm den fiskalischen Spielraum weiter ein, indem es der Regierung vorschreibt, einen Primärüberschuss in Höhe von 2,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erzielen. Diese Vorgabe fußt keinesfalls auf einer soliden empirischen Grundlage. Ganz im Gegenteil deutet alles darauf hin, dass diese Vorgabe aus volkswirtschaftlicher Sicht kontraproduktiv ist.
Diese Austeritätsvorgaben sowie die Kleinrechnung des Erlassbedarfs durch den IWF – und nicht unveränderbare „Realitäten“ – begrenzen Dissanayakes Möglichkeit in Bildung, Soziales und Gesundheit zu investieren. Angesichts dieser offensichtlicher Schwächen im IWF-Programm und der verheerenden sozialen Situation in Sri Lanka – die Armutsrate hat sich gerade das vierte Jahr in Folge verschärft – war die Forderung Dissanayakes, das Programm neu auszuhandeln sehr vernünftig und die Bundesregierung und ihre Partnerstaaten hätten dies unterstützen sollen.
Gemäßigte Positionen
Dies gilt nicht zuletzt, da Dissanayake – anders als es in internationalen Medien bisweilen kommuniziert und die Parteigeschichte der JVP es nahelegen könnte – keine besonders radikalen, marxistischen Positionen vertritt. Bereits in seinen Wahlkampfreden bekräftigte Dissanayake, dass er die Rückzahlung der IWF-Gelder in jedem Fall sicherstellen werde und betonte, dass ihm an guten Beziehungen zu seinen westlichen und östlichen Partnern gelegen sei. Nicht die Aufkündigung des IWF-Programms, sondern lediglich dessen Neuaushandlung waren im Gespräch. Dissanayake hält sich demnach durchaus an die – primär vom Westen – gesetzten „Spielregeln“ und bemühte sich lediglich darum, innerhalb dieser Rahmenbedingungen ein faireres Ergebnis auszuhandeln. Diese ausgestreckte Hand hätten westliche Regierungen und internationale Finanzinstitutionen ergreifen sollen.
Gefahr für die Demokratie
Regierungsverantwortliche in Washington und Berlin – ebenso wie in Beijing und Neu Delhi – tragen somit Mitverantwortung für den eingeschränkten fiskalischen Handlungsspielraum Dissanayakes. Wenn der demokratisch gewählte Präsident dadurch seine Wahlversprechen nicht umsetzen kann, droht seine Zustimmung zu bröckeln. Nun kann es nicht verwundern, dass es im Interesse westlicher Regierungen liegt, die Beliebtheit eines „marxistischen“ Präsidenten zu mindern. Jedoch droht das Vertrauen in die demokratischen Strukturen selbst zu erodieren, wenn die Bürger*innen einmal mehr erleben, dass es keinen Unterschied macht, wem sie ihre Stimme geben. Eine Verschärfung der sozialen Lage verstärkt zudem anti-westliche Stimmungen, da diese – zurecht – den westlich dominierten internationalen Finanzinstitutionen, insbesondere dem IWF, angelastet wird.
Im Teil II der Blogreihe werfen wir einen genaueren Blick darauf, wie Druck auf Dissanayake ausgeübt wurde, sein Vorhaben aufzugeben und welche Rolle dabei der laufende Klageprozess mit der Hamilton Reserve Bank spielt.