Die Schulden werden einfach …ausgebremst!

Am 29. November hatten wir über ein Interview mit Philipp Rösler berichtet, in dem er wörtlich zitiert wird mit “Wir haben eine geordnete Staateninsolvenz gefordert und haben ein Verfahren dafür vorgeschlagen. Genau ein solches Verfahren ist jetzt beschlossen worden.” Wir haben daraufhin bei der FDP und im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie nachgefragt, ob wir die Sektkorken knallen lassen können und unsere Forderungen nach einem fairen und transparenten Verfahren sich nun endlich durchgesetzt haben. Vom Koalitionsvertrag in die Realpolitik sozusagen.

Heute erhielten wir dazu eine Antwort: Nicht die FDP-Parteizentrale, dafür aber das Bundesministerium war so nett und hat die Sachlage für uns mehr oder weniger durchleuchtet. In dem Schreiben heißt es, dass sich die Aussagen von Herrn Minister Rösler auf das “Treffen der Staats- und Regierungschefs am 26./27. Oktober 2011” beziehe, bei dem unter anderem die “Einführung so genannter Schuldenbremsen auf Verfassungs- oder gleichwertiger Ebene in allen Eurostaaten bis zum Ende des Jahres 2012 beschlossen” wurde.

Weiterhin werden in dem Schreiben auch nochmals die Sonderrolle der derzeitigen Lösungsansätze in der griechischen Schuldenkrise betont, die im März 2011 beschlossenen kollektiven Handlungsklauseln (Collective Action Claudes, CACs) als Verfahrensregeln hervorgehoben und zuletzt der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) erwähnt, der in einem Passus vorsehe, sich bei der Beteiligung des privaten Sektors an die “bewährten Grundsätze und Verfahren des Internationalen Währungsfonds” zu halten.

Wir von erlassjahr.de möchten dazu festhalten, dass eine Schuldenbremse nicht einem fairen und transparenten Verfahren zur Regelung staatlicher Insolvenzen entspricht.

Merkel: "Was in Griechenland passiert ist, wird nicht noch einmal geschehen."

In der FTD vom 6.12. wird die Bundeskanzlerin unmittelbar nach dem Eurogipfel mit diesen Worten zitiert. Was hat sie damit gemeint?

Meint sie, dass es zu überhaupt keiner Krise diese Art jemals mehr kommen wird? Das wäre  ganz im Sinne des “Dieses Mal ist alles anders” – Syndroms, an dem die Regierungschefin ebenso leidet, wie die meisten ihrer Kollegen. Beharrlich haben sie zusammen so getan, als sei die Krise nur ein bedauerlicher Ausrutscher, den man nun mit viel frischem Geld in den Griff bekommen könnte, und keinesfalls ein systemisches Problem, dass sich alle paar Jahre u.a. in Staatsschuldenkrisen irgendwo auf dem Globus niederschlägt.

Das hat sie in diesem Fall aber nicht gemeint.

Der Zusammenhang ihrer Aussage – so gibt die FTD es wider – ist vielmehr die Diskussion um ein geordnetes Insolvenzverfahren, welches als Konzept mit den Beschlüssen des EU-Gipfels von Anfang Dezember nun vom Tisch sei. “Merkel zog damit die Konsequenzen aus den negativen Marktreaktionen auf die Privatsektorbeteiligung in Griechenland,” schreibt das Blatt. Im Klartext: Koalitionsvertrag hin oder her – wir als Bundesregierung werden nicht nur niemals die privaten Investoren für ihre Fehlentscheidungen zur Kasse bitten. Wir werden künftig nicht einmal mehr drüber reden.

Viel schöner kann man einen Freibrief zum Risikoinvestment nicht mehr ausstellen.

Theoretisch hätte die Kanzlerin aus der Krise und ihrem eigenen verfehlten Krisenmanagement tatsächlich eine Menge lernen können: Dass man über Privatsektorbeteiligung nicht reden, sondern sie schnell und radikal genug durchführen muss, wie es Lee Buchheit jüngst ausdrückte, ein New Yorker Anwalt, der an praktisch allen Schwellenländer-Umschuldungen der letzten 15 Jahre entscheidend beteiligt war.

Hätten Deutschland und die anderen Europäer nicht den Banken einen Blankoscheck ausgestellt, sondern z.B. den Griechen für die Zeit unmittelbar nach einem umfassenden Schuldenschnitt – vorausgesetzt dieser ist ordentlich ausgehandelt und von ausreichenden Reformen im Innern begleitet – hätte aus das den europäischen Steuerzahler auch einiges Geld gekostet; aber mit Sicherheit weniger als der Blankoscheck für die “systemrelevanten” Großbanken. Und die europäischen Steuerzahler hätten sich nicht in deren Geiselhaft wieder gefunden.

Dass sich an der von den Europäischen Regierungen mühsam vereinbarten Privatsektorbeteiligung in Griechenland (zunächst 21%, dann 50% Schuldenschnitt), niemand mehr beteiligen will, wie Reuters heute meldet, ist die Quittung, die Frau Merkel von den Investoren nun zu recht bekommt.

Die Untoten der Argentinien-Krise schreiben an die Weltbank

2005 und 2010 einigte sich Argentinien mit insgesamt mehr als 90% seiner Anleihegläubiger auf einen Schuldenschnitt von rund 70%. Mit dieser Entlastung wuchs das Land aus der schlimmsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte, die 2001 zur Einstellung aller Zahlungen an die inländischen und ausländischen Gläubiger geführt hatte. Die übrigen 10%, welche noch immer ihre ursprünglichen Papiere halten, haben sich indes in kleinen aber lautstarken Pressure Groups organisiert.

In Deutschland toben sie sich in einschlägigen Internetforen wie dem “Sudelforum” aus; in den USA ist eine zentrale Stimme die American Task Force on Argentina (ATFA). Deren Vorsitzender beschwerte sich nun im Vorfeld einer gemeinsamen Tagung von Weltbank und Argentinischer Regierung über Optionen für ein Staateninsolvenzverfahren, dass die Bank die Argentinier nicht boykottiert, oder zumindest den Herren Holdouts einen Platz auf dem Podium verschafft.

Eine solche Initiative zeigt sehr eindrucksvoll, wie dringend notwendig die Tagung unter dem Titel The missing link in the international financial architecture: Sovereign Debt Restructuring tatsächlich ist. Argentinien hat eine Geschichte von Überschuldung und ziemlich chaotischer Entschuldung hinter sich, die vor allem für die ärmeren Schichten Argentiniens selbst schmerzhaft war. Die Bemühungen des Finanzministeriums daraus nun Konsequenzen zu ziehen, und eine globale Reform auf den Weg zu bringen ist aller Ehren wert. Zum Glück wurde der Topredierungs-Versuch von Investoren, die seinerzeit mit Argentinien-Anleihen ohne Risiko eine Riesen-Rendite einstreichen wollten, sowohl von der Weltbank als auch von der Argentinischen Regierung souverän ignoriert.

erlassjahr.de auf Basis-Tour

„Raus aus dem Euro mit Griechenland, dann ist die Krise doch gelöst!“

Die griechische Tragödie, die eigentlich eine europäische, wenn nicht globale ist, wirft seit 18 Monaten unentwegt Fragen auf, klärt diese, entdeckt doch wieder andere. Die Politik sagt mal A, tut aber doch eigentlich B und kommt dann aus bei C, wo sie wieder von vorn beginnt.

„Wenn Griechenland pleite geht, gehen dann nicht auch Spanien, Italien und Portugal pleite?“

Für ein Bündnis wie erlassjahr.de und die Menschen in Europa war das Jahr 2011 ein höchst brisantes: die in Entwicklungsländern bereits seit dreißig Jahren erlebte, bekämpfte und weiterhin drohende „Schuldenkrise“ wirbelt nun vor der eigenen Haustür in Europa. Seit April 2010, als der griechische Premierminister Papandreou öffentlich bekannt gab, dass Griechenland in Schwierigkeiten steckt, stürmen täglich wilde Spekulationen um Lösungsstrategien, unverständliche Begriffe aus der Makroökonomie und Streitereien um den Sündenbock für die Krise auf den hiesigen Zeitungsleser ein. Noch nie wurde in einer so kurzen Zeitspanne das Wort „Insolvenzverfahren“ im Kontext von Staatsverschuldung von so vielen unterschiedlichen Akteuren benutzt, wie in den letzten 19 Monaten.

„Wenn Länder in einem Insolvenzverfahren Schulden gestrichen bekommen, dann spart doch niemand mehr.“

Staatsverschuldung wurde beinahe über Nacht zum politischen, sozialen und kulturellen Schlachtfeld. Dabei sind Staatspleiten nichts Neues: nicht zuletzt Griechenland war 100 der letzten 200 Jahren zahlungsunfähig. Auch die Bekämpfung von Schuldenkrisen hat bereits eine lange Tradition, nicht zuletzt erprobt an vielen der sogenannten Entwicklungsländer, die sich seit 30 Jahren Strukturanpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds und Umschuldungen im sogenannten Pariser Club unterziehen.

„Reicht es nicht, wenn die Griechen ein paar Ihrer Inseln verkaufen, oder ihre Währungsreserven auflösen?“

erlassjahr.de hat im Jahr 2011 auf unterschiedliche Weise versucht, das emotional beladene Thema „Griechenlandbankrott“ zu entwirren: so durch Online-Materialien wie das ständig aktualisierte Fachinfo zur europäischen Schuldenkrise, tägliche Facebook-Beiträge, ein „Krisen-FAQ“, eine Presseschau, Radiointerviews, und öffentlichkeitswirksame Aktionen.

Lesen bildet bekanntlich, zuhören aber auch: so haben viele Mitträger erfreulicherweise darüber hinaus die Gelegenheit ergriffen, die Geschäftsstelle von erlassjahr.de anzuzapfen und sie das Thema Staatsschuldenkrise erklären zu lassen.

So trägt die Einbindung von erlassjahr.de z.B. in themenverwandte Veranstaltungen wie bei Studientagen zu verantwortlicher Kreditvergabe der Komplexität des Problems wie auch seiner Lösung Rechnung.

© Walter Freitag

Doch das Thema ist kein exklusives für akademische Studientage: auch zwischen   Fairem Kaffee und Bücherflohmarkt während des Sommerfestes in der St. Marien Gemeinde oder in der Garage beim Missionsfest im MSC-Mutterhaus in Münster fühlt sich das Thema heimisch. Ein Vortrag zur Griechenlandkrise vor dem Hintergrund der Schuldenkrise der Dritten Welt seit den 1980ern versüßte den monatlichen Gemeindenachmittag in Ohlsdorf-Fuhlsbüttel. Ein Infostand auf dem Eine-Welt-Konzert in Düsseldorf trifft auf diskutierfreudige Düsseldorfer.

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Auch die junge Generation von heute setzt sich immer kritischer mit Globalisierung, Schulden und Kapitalismus auseinander: so wurde erlassjahr.de und das Thema Schuldenkrise bei der Gestaltung des Politikunterrichts in Düsseldorfer Schulen oder bei Rückkehrer-Seminaren von wissbegierigen weltwärts-Freiwilligen eingebunden. Beim OpenOhr-Festival im sommerlichen Mainz schloss sich erlassjahr.de dem Festivalthema Geld (“Rien ne va plus – nichts geht mehr”) durch Flashmobs, Infostand und Podiumsdiskussionen an. Das Goldene Kalb, welches von einer Mainzer Schülergruppe “erschaffen” wurde, überlieferte dabei goldig, aber konsequent die Schieflage im momentanen Finanzsystem.

So bunt wie die Palette der Teilnehmer waren auch die Fragen, Diskussionen und Anliegen. Das Düsseldorfer Büro freut sich daher sehr, dass es im Rahmen von so unterschiedlichen Events einen Teil zur Aufklärung beitragen konnte.

Auch das eigentliche Anliegen erlassjahr.de’s – die Schuldenkrisen von Burundi & Co. trotz Griechenlandkrise nicht aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden zu lassen – kam bei den Veranstaltungen nicht zu kurz. Denn bei über einem Viertel der bereits entschuldeten Länder aus dem Süden liegt wieder ein hohes Überschuldungsrisiko vor. Einige Länder haben sogar ihren Risiko-Status trotz Entschuldung nicht mal zu einer besseren Kategorisierung hin verlassen können. Dabei sind die HIPC-Länder nur ein Bruchteil des „bigger picture“: hoch gefährdete kleine Inselstaaten beispielsweise haben keinen Zugang zur Entschuldungsinitiative, sind jedoch zum Teil bankrott oder auf dem besten Weg dorthin.

„In der Bundesregierung sitzen hochgebildete Politiker und Ökonomen. Wie kann es sein, dass sie bis heute offensichtlich keine Lösung gefunden haben?“

Wenn auch Sie eine Veranstaltung planen, fachlichen Input zum Thema benötigen, ein Thema für einen Gemeindenachmittag suchen o.ä. und Interesse an Referenten aus der Geschäftsstelle oder den erlassjahr-Gremien haben, melden Sie sich gerne unter buero@erlassjahr.de .

Dauerhafte Lösungen, statt nur Löcher zu stopfen

Gestern (25.10.2011) hat sich Kanzlerin Merkel vom Bundestags das Mandat eingeholt, die Europäische Stabilisierungsfazilität (vulgo Rettungsschirm) wie einen Credit Default Swap (Kreditausfall- Gegenfinanzierung) zu benutzen, der als Versicherung eintritt, wenn die Staatsschulden, die z. B. Portugal macht, nicht bezahlt werden können (zur Erinnerung: Diese Sorte strukturierter Finanzprodukte hat die 2008er Finanzkrise mit ausgelöst). Die weltweiten Erfahrungen mit Schulden- und Entschuldungspolitik von erlassjahr.de zeigen, dass die Politik dazu neigt, Löcher zu stopfen, statt dauerhafte Lösungen zu entwickeln. Genau so eine Flickschusterei ist diese Versicherungslösung. Sollte sie eines Tages den Steuerzahlern vor die Füße fallen, werden tatsächlich Billionen Euro erforderlich werden, um eine Rezession abzuwenden.

Panikmache, sagen da die Abgeordneten und die Kanzlerin: Die Versicherung deckt nur die ersten 20 verlorenen Prozent ab, den Rest müssen die Investoren, die die Staatschulden gekauft haben, dann schon selber schultern. Dem steht die Erfahrung aus der Finanzkrise gegenüber, wonach die Schulden der Banken und des Privatsektors letztendlich vom Steuerzahler übernommen werden und zwar umso zwingender, je höher sie angewachsen sind. Das Problem der für das Finanzsystem als Ganzes kritischen Finanzinstitutionen hat mit der Finanzkrise eher zu- als abgenommen.

Die Europäische Stabilisierungsfazilität als Credit Default Swap einzusetzen, damit Deutschland im schlimmsten Falle nicht für mehr als maximal  210 Mrd. Euro einstehen muss ist eine unverantwortliche populistische Politik die versucht, die geldpolitische Logik des gemeinsamen Währungsraums vor der Bevölkerung zu verbergen. Stattdessen versucht diese Politik, den Steuerzahlern den finanzpolitischen Hochseilakt der Versicherungslösung als Spaziergang durch den deutschen Wald anzudienen.

Die USA, Großbritannien und Japan haben allesamt wesentlich mehr Schulden als Italien, Spanien oder Portugal. Dennoch werden sie längst nicht so von den Finanzmärkten abgestraft wie die europäischen Staaten. Der Grund dafür liegt nicht in der höheren Produktivität ihrer Wirtschaften oder gar einer angelsächsischen Verschwörung, sondern darin, dass diese Länder eine zentrale Finanzpolitik und vor allem Zentralbanken haben, die ihre Währungen verteidigen. In Deutschland besitzen viele Menschen bewegliches Vermögen oder eine private Zusatz- Altersversorgung. Inflationsvorbeugung ist daher ein hohes finanzpolitisches Gut. Die Hüter des Geldwertes in Deutschland, insbesondere die Bundsbank und die Privatbanken wollen aus Furcht vor Geldentwertung die Verteidigung des Euro durch die Europäische Zentralbank verhindern. Als Alternative haben sie sich mit der Kanzlerin und vielen Abgeordnete des Bundestages zusammengetan, um den Teufel der Staatschuldenkrise mit dem Belzebub der Versicherungslösung austreiben.

Das Gelingen dieser Strategie hängt einzig und allein vom signifikantem und anhaltendem Wirtschaftswachstum gerade auch in den ärmeren Ländern Europas ab, damit Schuldendienste geleistet werden können, ohne dass die Konjunktur fördernden und sozial ausgleichenden Funktionen der Staatshaushalte außer Kraft gesetzt werden. Abgesehen vom grundsätzlich überoptimistischen Internationalen Währungsfonds versichert uns gegenwärtig aber kein seriöses Wirtschaftsforschungsinstitut, dass Europa in den kommenden Jahren das erforderliche Wachstum auch erzielen wird- insbesondere dann nicht, wenn die global agierende Spekulation nicht restlos davon zu überzeugen ist, dass der Euro entschlossen und nicht mit halbseidenen Konstruktionen wie der Versicherungslösung verteidigt wird. Und wenn die Spekulation nicht zu überzeugen ist, wird sie weiter gegen Euroländer spekulieren, der Eintritt des Versicherungsfalles wird wahrscheinlicher und die Krise findet kein Ende.

Ein Kernstück des Fairen und Transparenten Schiedsverfahrens bei Staateninsolvenz – für die sich erlassjahr.de seit Jahren einsetzt – ist die Vereinbarung von Schuldnern und Gläubigern über die Höhe der Schulden, die zurückgezahlt werden können und den Schuldenschnitt, den die Gläubiger hinzunehmen haben. Weil aber die Finanzmärkte mit ihrer schwachen Eigenkapitalausstattung und ihren abgeleiteten und vielfach gehebelten Finanzprodukten auf die Realisierung von hohen Verlusten nur mit Bankrott reagieren können, ist die Flankierung der Gläubiger-/Schuldnervereinbarung durch EZB- gesicherter Eurobonds sowohl für Gläubigerschulden, als auch für den wirtschaftlichen Neuanfang von Schuldnerländern erforderlich. Europa und die Welt brauchen endlich die Einführung eines Fairen und Transparenten Schiedsverfahrens bei Staateninsolvenz, eine starke Bankenregulierung mit einem strengen TÜV für Finanzprodukte und einer Finanztransaktionssteuer, einen Maulkorb für Rating-Agenturen in kritischen Situationen sowie eine handlungsfähige gemeinsame Wirtschaftsregierung. Dann kann auch der Euro überleben.

Ein Gastkommentar von Peter Lanzet.

“Das ganze Elend”

Am vergangenen Freitag, den 21.10.2011, leitete der IWF im Namen der gesamten Troika den europäischen Regierungen seine Schuldentragfähigkeitsanalyse zu Griechenland zu.

Die gute Nachricht ist, dass der IWF nicht einmal mehr versucht, den Eindruck zu erwecken, Griechenland käme ohne einen weit reichenden Schuldenerlass zurecht. Die schlechte Nachricht ist alles andere.

Der IWF entwickelt ein gegenüber seinen Vorhersagen in der ersten Jahreshälfte “revidiertes Basis-Szenario”. Dessen Eckpunkte sind:

  • eine um 5,5% schrumpfende Volkswirtschaft in 2011; weitere Schrumpfung um 3% in 2012, und anschließend ein sich nur langsam wieder aufbauenes Wirtschaftswachstum von 1,25% in 2013/4 auf bis zu 2,6% bis 2030;
  • Privatsierungserlöse von 46 Mrd. € bis 2030 statt des bisher angenommenen 66 Mrd.;
  • Das aktuelle fiskalische Defizit vor Schuldendienst (“Primärdefizit”) von 5% soll sich gleichwohl schon 2013 in einen Überschuss von 1,4% des BIP verwandeln.
  • Frühestens 2021 kann unter diesen Umständen wieder eine Finanzierung über den Kapitalmarkt erfolgen – vorausgesetzt, dass der im Juli vereinbarte Schuldenschnitt von 21% bei den Privatgläubigern umgesetzt wird.

Unter den genannten Voraussetzungen, bei uneingeschränkter Umsetzung aller mit dem IWF vereinbarter Maßnahmen und bei Abwesenheit jeglicher externer Schocks, würde in diesem Szenario der Schuldenstand bis 2013 weiter auf 186% des Bruttoinlandsprodukts steigen, danach bis 2020 auf 152% und bis 2030 auf 130% fallen. Das heißt: Griechenland würde rund 20 Jahre lang keinerlei wirtschaftspolitischen Spielraum haben, die Bevölkerung würde allenfalls minimale wirtschaftliche Verbesserungen erleben – und das auch nur, wenn 20 Jahre die Weltwirtschaft störungsfrei wächst, es keine Erdbeben, Exportpreiseinbrüche und Ölpreisschocks gibt. Dass es so kommt, glaubt nicht einmal der IWF!

Also rechnet er alternative Szenarien durch. Was auch immer schief geht – niedrigerer Primärüberschuss, geringere Privatsierungserlöse, schwächeres Wachstum, höhere Kosten für die öffentlichen Hilfskredite infolge eines Zinsanstiegs in Deutschland – nichts von alledem könnte Griechenlands Wirtschaft mit der bislang zugesagten Unterstützung auffangen. Es wäre umgehend wieder zahlungsunfähig.

Konsequenz: der IWF verlangt “umfassende öffentliche Unterstützung zu großzügigen Bedingungen und zusätzlichen privaten Schuldenerlass”. Bis zu 444 Mrd. € zusätzlicher Unterstützung können unter den widrigsten Bedingungen notwendig sein. Nur, wenn der Privatsektor sich mit mindestens 60% Schuldenstreichung an dem Paket beteiligt, kann die öffentliche Unterstützung bei den vorgesehenen 109 Mrd. bleiben.

Und da wird aus der grottenschlechten Nachricht fast schon wieder eine gute: Das ganze elende Gequatsche der letzten 18 Monate, einen Schuldenschnitt dürfe es auf gar keinen Fall geben, weil sonst Griechenland sonst nie mehr einen Kredit bekäme und überhaupt die ganze Eurozone zusammenbräche, hat sich unter dem Druck der Fakten in Luft aufgelöst.

Das hätte man im Sommer 2010 deutlich billiger haben können!

Dennis Snower löst die Schuldenkrise: Einfach weniger Kredite aufnehmen!

Manchmal versteht man endlich wieder, wofür die Welt hochbezahlte Ökonomie-Professoren braucht. Jüngst schrieb der Präsident des Kieler Weltwirtschaftsinstituts, Dennis Snower, in der FTD, wie Schuldenkrisen künftig ein für allemal ein Ende gesetzt werden kann. Auf einer halben Seite und illustriert mit überzeugend fallenden Schuldenquoten-Kurven zeigt uns der Professor wie einfach die Welt sein kann: Hätten die Griechen seit 2001 strikte Haushaltsdisziplin geübt, wäre ihre Schuldenquote heute klar unter der 60%-Grenze.
Wer hätte das gedacht?
Noch nicht bestätigt, hat Kiel, dass Herr Snower demnächst dem Problem des Welthungers mit einem ähnlich überzeugenden Konzept zu Leibe rücken wird: Einfach mehr futtern!

Anti-Kapitalismus von rechts: Ungarns Regierung nimmt Banken in die Verantwortung

Die rechtspopulistische Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orbán bittet die Banken ihres Landes zur Kasse, während die übrigen europäischen Regierungen gerade erst beginnen, in das Lamento über die ungezähmte Macht der Banken einzustimmen.
In den letzten zehn Jahren haben viele Ungarn sich vor allem über Kreditkartengeschäfte in großem Stile verschuldet – häufig, ohne es bewusst wahrzunehmen, in Schweizer Franken statt in Forint. Da der Franken in den letzten zwei Jahren kräftig aufgewertet hat, stiegen auch die Schulden der Kreditnehmer entsprechend. Nach Schätzungen der FTD haben inzwischen 800.000 Ungarn Rückzahlungsprobleme bei ihren Hypotheken oder Kreditkarten-Schulden.
Per Dekret hat die Ungarische Regierung nun verfügt, dass Kreditnehmer ihre Schulden bis zum Jahresende zu einem um 20% günstigeren Wechselkurs zurückzahlen können. Dafür wiederum werden viele erneut Kredite aufnehmen müssen – diesmal allerdings in Forint. Die Verluste aus der Operation haben die Banken zu tragen.
Das Lamento der Banken – die meisten sind Töchter ausländischer, vor allem österreichischer, Mütter – ist so groß wie erwartet. Von Kapitalflucht in andere osteuropäische Staaten und ausfallenden Investitionen ist die Rede. Die Regierung ist davon bislang unbeeindruckt. Sie wolle, so Orbán, die Praxis beenden, dass die Schuldner die Verluste und die Risiken tragen.
Auch, wenn die in Menschenrechtsfragen nur allzu hemdsärmelige ungarische Regierung nicht gerade zu den Sympathieträgern des alten Kontinents gehört, ist es spannend, zu beobachten, wie die Machtprobe zwischen einem internationalisierten Bankensektor und einer vergleichsweise starken (Orbán hat im Parlament eine Zweidrittelmehrheit) ausgeht. Gut möglich, dass Zeter und Mordio der Banken bald verstummen, und die Institute sich vielmehr darauf konzentrieren, auch an den neuen Krediten (wenn auch nicht ganz so viel) zu verdienen.

Die Globale Finanzkrise im Kino: Margin Call

Ich habe einen freien Tag in dieser Woche dazu genutzt, mir den amerikanischen Film “Margin Call” anzusehen, der den Ausbruch der Bankenkrise 2008 mit den Mitteln des Spielfilms darstellt. Ein sehenswerter Streifen, der an manchen Punkten in Stil und Aufmachung etwas sehr amerikanisch daherkommt, aber die Atmosphäre unter Banken-Chefs und ihren Arbeitsbienen gerade damit gut einfängt. Leider ist er an einem wichtigen Punkt etwas dünn geraten: Im Mittelpunkt des Films steht die Entdeckung, dass die Großbank, aus deren Sicht der Krisenausbruch erzählt wird, sich verspekuliert hat. Diese Erkenntnis taucht aber immer nur als nicht weiter erklärte und auch nicht entzifferbare Zahlenfolge auf den Bildschirmen auf, die die Banker entsetzt anstarren. Da hätten tatsächlich sichtbare Zahlen und Fakten beim Betrachter viel zum Verständnis der Krise beitragen können, ohne dass die Stringenz des Spielfilms darunter gelitten hätte.

Angela Merkel beschäftigt sich…

In diesen Tagen können wir zusehen, wie die regierungsamtliche Front in Berlin gegen die Idee einer geordneten Staateninsolvenz vor sich hin bröckelt. Das weckt Erinnerungen:

April 2009, Endphase der Großen Koalition.

Es war einer von den Terminen, bei denen die Herrschenden aus Anlass des bevorstehenden G8-Gipfels dreißig NGOs in neunzig Minuten eine Privataudienz gewähren. Ganz oben in diesem Fall: im Konferenzraum des Kanzleramtes und Angela Merkel höchstselbst empfing Entwicklungs- und Umwelt-NGOs.

Das Setup ergab bei Abzug von Höflichkeiten und Verspätungen gut zwei Minuten pro NRO, und die Technokraten des Kanzleramts und der Ministerien genossen sichtlich die unvermeidbare Rangelei unter uns, um prominente und weniger prominente Slots, um eine sehr große Breite von Themen den Ohren der Regierungschefin vortragen zu dürfen.

Ich hatte mich als erlassjahr.de-Vertreter so weit nach vorne manövriert, dass keine Gefahr bestand, überhaupt nicht mehr zu Wort zu kommen. Lehmann war im Vorjahr pleite gegangen, die ersten Staaten gerieten in Schwierigkeiten, kleine Vorboten für das, was dann ab 2010 als Europäische Staatsschuldenkrise auf uns zukommen solle.

Ich fragte die Kanzlerin, ob es nicht an der Zeit sei, ein Staateninsolvenzverfahren zu schaffen, um in Nord und Süd die öffentlichen Haushalte nicht zu Geiseln der Kapitalisten (ich habe natürlich “Investoren” gesagt)  werden zu lassen.

Kurze Frage, kurze Antwort: “Damit habe ich mich noch nicht beschäftigt.” Mir wurde gnädigst gestattet, dem Wirtschaftsberater Weidmann Informationen zum Thema dazulassen. Dann kam das nächste Thema.

Inzwischen hat Frau Merkel sich mit dem Thema beschäftigt, und auf die harte Tour gelernt, dass Staaten durchaus pleite gehen können. Die Forderung nach einem Staateninsolvenzverfahren stand fünf Monate nach unserem Gespräch im schwarz-gelben Koalitionsvertrag, das BMZ organisiert Konferenzen dazu, alle nennenswerten Fachleute unseres Landes unterstützen die Forderung nach einem geordneten Schuldenschnitt für Griechenland. Bloß ins Kanzleramt eingeladen wurden wir seither nicht mehr.