Island zeigt: Man kann NEIN sagen

Am letzten Wochenende haben die Isländer in einer Volksabstimmung die Vereinbarung zur Schuldentilgung ihrer Regierung mit den Niederlanden und Grossbritannien zurückgewiesen. Es ging dabei um die langfristige Begleichung von rund 4 Mrd. €. Mit diesem Betrag hatten die beiden Regierungen kurzerhand ihre Sparer entschädigt, nachdem die isländische Icesave-Bank pleite gegangen war. Vom isländischen Staat wollen sie nun ihr Geld zurück. Im Interesse des geplanten EU-Beitritts hatte die Mitte-Links-Regierung der Premierministerin Sigurdardottir sich auf den Deal eingelassen. Die Isländer/innen sagten nun “nein”.
Die öffentlichen Reaktionen auf die ziemlich sensationelle Entwicklung in Island waren erstaunlich positiv. Schließlich war das Verhalten der beiden Regierungen im Haag und in London ein mindestens so einseitiger und fragwürdiger Schritt wir die Zahlungseinstellung der Isländer. Diese sind mit Recht einigermaßen gelassen, was mögliche Reaktionen der Gläubiger angeht. Deren wichtigstes Druckmittel – Islands EU-Beitritt zu verhindern – hat in den Zeiten der Euro-Krise einiges an Schrecken verloren.
Positiv kann man drei Dinge aus dem mutigen Schritt der Isländer lernen:
Erstens geht die Welt entgegen den routinemäßigen Drohungen aus den Kreisen der Gläubiger am Tag nach einer solchen einseitigen Zurückweisung NICHT unter. Schuldnerregierungen können Zahlungen einstellen, ohne dadurch von internationalen Kredit- und sonstigen Märkten abgeschnitten zu werden, besonders, wenn die in Rede stehenden Forderungen so fragwürdig sind, wie in diesem Fall. Man kann nur Regierungen auf der ganzen Welt ermutigen, sich von dem Beispiel der Isländer inspirieren zu lassen.
Zweitens sind Gläubiger, die Geld von Staaten zurück wollen, gut beraten, ein Forum für zivilisierte Verhandlungen zwischen Schuldner und Gläubigern anzubieten. In Kolonialherrenmanier selbst innenpolitisch Regelungen zu schaffen, und dann zu erwarten, dass die Schuldnerländer nach diesen Regeln tanzen, ist nicht einmal mehr aus ihrer eigenen Sicht erfolgversprechend. Auf ein faires und unparteiisches Verfahren, welches einen Interessenausgleich und nicht die größtmögliche Gläubigerbefriedigung zum Ziel hat, haben die Isländer einen nicht nur moralischen Anspruch.
Drittens hat die isländische Bevölkerung sich mit der Abstimmung ein Stück Hoheit über ihre öffentlichen Finanzen zurückerobert. Die katastrophale Entwicklung für die Anleger und die isländische Bevölkerung hat ihre Wurzeln im weitgehend unregulierten Agieren der isländischen Banken. Dass die Isländer/innen sich dafür demonstrativ nicht in Haft nehmen lassen, ist ein erster Schritt zur Verhinderung der gleichen Entwicklung in der Zukunft. Man muss lange in der Geschichte zurückblicken, um ein Beispiel dafür zu finden, dass eine Bevölkerung so direkt Einfluss auf die Zahlung oder Nicht-Zahlung von Schulden genommen hätte. Der einzige Fall der mir dazu einfällt, ist die Schweiz im Jahre 1992. Dort wurde ebenfalls durch eine Volksabstimmung entschieden, dass die Eidgenossen mit Schuldenerlassen von symbolstarken 700 Mio SFr die ganze (verschuldete) Welt an der Freude über 700 Jahre Eidgenossenschaft teilhaben lassen wollen. Das schönste an dem innovativen Schweizer Programm war indes, dass tatsächlich die Menschen, denen komplexe internationale Finanzbeziehungen angeblich nicht zu vermitteln sind, dort wie auch in Island, sehr wohl eine mutige und in der Sache gute Entscheidung zu treffen verstanden.

Ausgestrahlt? Deutschland und seine AKW-Exportbürgschaften

Bekannterweise sind Versicherungskonzerne besonders zögerlich, wenn es um die Versicherung von Atomkraftwerken geht. Denn im Katastrophenfall sind die messbaren Schäden bereits so hoch, das kein Profit anstrebendes Unternehmen die Haftung übernehmen will. Die weitreichenden, kaum quantifizierbaren negativen Auswirkungen auf Mensch, Umwelt und ganze Wirtschaftsregionen will der AKW-Betreiber oder die Versicherung genauso wenig verantworten. Erstmals hofft man, mit Statistiken gewappnet, dass ein GAU nie passiert – doch wenn es soweit ist, übernimmt dann der Staat die Verantwortung.

Wenn es um die Versicherung von Geschäften geht – sogar von Geschäften mit Atomkraftwerken – sind die Versicherer jedoch viel besser gelaunt. Weil Schwellenländer bei Großinvestitionen nicht immer den Zahlungskalender einhalten können, ließ sich Areva NP, die Nuklear-Tochter von Siemens AG, ihre Finanzierung des Weiterbaus von dem brasilianischen Atomkraftwerk Angra 3 von Deutschland garantieren. Die Hermes-Bürgschaft würde beim Zahlungsausfall einspringen und dem privaten Investor seinen Profit sichern.

Die deutsche Politik hat in dem Geschäft mit Exportkrediten in den letzten zwei Jahren den pro-nuklearen Kurs eingeschlagen. Zwischen 2001 und 2010 war die staatliche Exportförderung für Atomtechnologie verboten. Die schwarz-gelbe Bundesregierung schaffte dieses Ausschlusskriterium gleich am Anfang ihrer Amtszeit ab, um die Bürgschaft für Angra 3 zu ermöglichen. Der seit langen Jahren im Bau befindlicher Reaktorblock des brasilianischen Atomkraftwerks in Angra dos Reis liegt direkt an der Atlantikküste zwischen Rio und Sao Paulo, in einem erdrutsch- und erdbebengefährdeten Gebiet. Am Zwillingsreaktor Angra 2 wurde 25 Jahre lang gebaut, die technischen Parameter der Reaktoren entsprechen nicht den aktuellen europäischen Sicherheitsauflagen, und Fragen der  Müllentsorgung oder Katastrophenplanung sind gar nicht gelöst. Kein Grund zur Sorge, dachte die Bundesregierung vor einem Jahr und gewährte eine grundsätzliche Bürgschaft von 1,3 Milliarden Euro. erlassjahr.de protestierte zusammen mit den Organisationen Urgewald und Oikocredit Förderkreis Bayern, und Siemens wurde 2010 mit dem Wanderpreis „Hai des Jahres“ ausgezeichnet. Den Bericht zu unserer Hai-Aktion in München kann man hier nachlesen.

Wie der Spiegel berichtet, überlegt die Bundesregierung nach der Katastrophe in Fukushima doch noch einmal, ob die bereits beschlossenen Garantien für Angra 3 wirklich Sinn machen. Wirtschaftsminister Brüderle hat eine erneute Überprüfung des weiteren Vorgehens angekündigt. Wir bei erlassjahr.de sind auf die Ergebnisse gespannt: Werden die Garantien tatsächlich zurückgenommen? Damit in der Zukunft keine Atom-Bürgschaften mehr vergeben werden, unterstützen wir die Aktion „Atomtod exportiert man nicht“ von Campact und Urgewald. Machen Sie mit – unterschreiben Sie hier!

Das klarste Argument für eine Staatspleite besteht darin, dass sie ohnehin nicht zu vermeiden ist

Rund um diese einfache, aber zutreffende Wahrheit zerpflückt Lucas Zeise in der FTD vom 15.3. die Versuche der Regierungen in der Eurozone, sich um die Schaffung eines Insolvenzmechanismus herumzumogeln. Der ganze Artikel kann hier nachgelesen werden.
Wie es scheint, werden wir nach der Entscheidung des Europäischen Rates die Lebenslüge, dass Staatspleiten nicht sein können weil sie nicht sein dürfen, noch oft vorgesetzt bekommen.

Wie Griechenland Deutschland die Schulden erließ

Hermann Josef Abs unterzeichnet das Londoner Schuldenabkommen 1953 /Bild: unbekannt
Hermann Josef Abs unterzeichnet das Londoner Schuldenabkommen 1953 / © Deutsche Bank AG, Kultur und Gesellschaft Historisches Institut, Frankfurt am Main, CCL 3.0

Kaum jemand glaubt in Europa noch daran, dass Griechenland ohne einen Kapitalschnitt, d.h. einen Teilerlass seiner Auslandsschulden wirtschaftlich wieder lebensfähig werden kann.

Trotzdem beharrt die Bundesregierung, im Verein mit den anderen Mitgliedern der Eurozone, darauf, dass ein Teilschuldenerlass nicht stattfinden darf. Vom Zusammenbruch der Eurozone über die Verluderung der Sitten auf den internationalen Finanzmärkten werden Horrorszenarien für den Fall einer Schuldenerleichterung an die Wand gemalt.
Dabei ist die jüngere Wirtschaftsgeschichte nicht gerade arm an Schuldenerlassen zugunsten von souveränen Staaten. Einer dieser Fälle ist die Streichung von rund der Hälfte aller ausstehenden deutschen Verbindlichkeiten durch 22 Gläubigerstaaten im “Londoner Schuldenabkommen” von 1953. Einer dieser Gläubiger war Griechenland.

Zusammengebrochen ist infolge des Schuldenerlasses nichts und niemand. Im Gegenteil: Niemand würde in der Rückschau der Einschätzung des damaligen deutschen Verhandlungsführer H.J. Abs (im Bild zu sehen bei der Unterzeichnung des Abkommens) widersprechen, der konstatierte, dass die umfassende Entlastung der (west-)deutschen Volkswirtschaft ein entscheidender Baustein für das spätere “Wirtschaftswunder” war.

Über den eigentlichen Erlass hinaus wies das Abkommen aber eine Reihe von qualitativen Elementen auf, die für Griechenland und andere hoch verschuldete Länder heute ebenso segensreich wären, wie sie es damals für Deutschland, keine zehn Jahre nach dem Ende des von ihm begonnenen Weltkriegs, waren:

• Der Erlass deutscher Schulden durch Griechenland wurde nicht von der Umsetzung eines Spar- oder Strukturanpassungsprogramms abhängig gemacht. Im Gegenteil: Deutschland wurden verschiedene explizit wachstumsförderne Vergünstigungen und Möglichkeiten zu einer expansiven Geldpolitik eingeräumt.

• Das Abkommen schloss eine Schiedsklausel für künftige deutsche Zahlungsschwierigkeiten ein. Über eventuelle weiter gehende Lösungen für Griechenland und andere hoch verschuldete Länder behalten sich die Gläubiger die letzte Entscheidung in Institutionen wie dem Pariser Club, dem IWF oder durch die Gemeinschaft der Anleihegläubiger vor.

• Deutschlands Schuldenindikatoren lagen deutlich unter denen von Griechenland heute. Der Schuldenstand der Hellenen beträgt rund 100% des BIP; er wird absehbar ohne Schuldenschnitt bis 2014 auf rund 140% ansteigen. Deutschland hatte vor dem Abkommen 1952 eine Quote von 21% des BIP; nach der vollen Umsetzung der Entlastung 1958 waren es noch 6%.

• Deutschland erhielt die Option, künftig seinen Schuldendienst bei einem Handelsbilanzdefizit auszusetzen. Implizit verpflichteten sich die Gläubiger, deutsche Handelsbilanzüberschüsse zuzulassen, also in Deutschland mehr einzukaufen als man dorthin ausführte, damit Deutschland seinen Schuldendienst aus laufenden Einnahmen und nicht etwa aus seinen Devisenreserven bzw. aus der Aufnahme neuer Kredite bestreiten konnte. Letzteres ist genau der Mechanismus, der Griechenland durch den Europäischen Rettungsmechanismus nahe gelegt wird, und der mit katastrophalen Folgen auch zwei Jahrzehnte gegenüber den hoch verschuldeten ärmsten Ländern praktiziert wurde.

• London war ein umfassendes Abkommen über öffentliche und private deutsche Auslandsverbindlichkeiten. Dagegen werden die Griechen – wenn überhaupt verhandelt wird – mit jeder Gläubigergruppe einzeln verhandeln müssen; da die wichtigsten Gläubiger die Inhaber von Staatsanleihen sind, müssen sie sogar mit den Zeichnern jeder Einzelanleihe gesondert verhandeln. Das ist nicht nur aufwändig, sondern schafft für jeden Gläubiger auch einen Anreiz, keine Zugeständnisse zu machen – in der Hoffnung, dass die jeweils anderen es tun, und man selbst ungeschoren davon kommt.

Wenn die Bundesregierung sich schon nicht dazu durchringen kann, mit einem heutigen Schulden ebenso großzügig umzugehen, wie dieser es seinerzeit mit Deutschland tat, sollte sie es wenigstens aus dem eigenen Interesse an einer effizienten Regelung tun. Solange nicht mal das geschieht, kann man sich als Kind des Wirtschaftswunders für den hierzulande gepflegten Diskurs vom faulen und verschwenderischen Griechen nur schämen.

Zum Mittagessen nach Quito

Als Mitglied der “Auditoria-Kommission”, die 2007 und 2008 die Schulden Ecuadors auf ihre Legitimität überprüfte, erhielt erlassjahr.de zu Jahresbeginn eine Einladung zum Mittagessen im “Garandolet”, dem Präsidentenpalast in Quito. Da unmittelbar vor der Einladung am vergangenen Freitag eine zweitägige Konferenz unserer langjährigen Partnerorganisation Jubileo2000 Red Guayaquil stattfand, liess sich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Im schwülen Guayaquil rangen wir mit Kolleg/innen aus verschiedenen Netzwerken innerhalb und außerhalb Ecuadors um die nächsten Schritte auf dem Weg zum Schulden-Schiedsverfahren. In der Kühle des andinen Quito wurden bei exzellentem Wein und Speisen über die weitere Arbeit an der Frage der Legitimität von Ecuadors Schulden beraten.
Das war nicht immer die reine Idylle, denn innerhalb Ecuadors ist es seit unserer Arbeit vor drei Jahren zu zahlreichen Konflikten zwischen dem Präsidenten und wichtigen Mitstreitern gekommen – u.a. wurde z.B. der Umweltorganisation Acción Ecologica zwischenzeitlich die Rechtsfähigkeit entzogen. Auf diesem Hintergrund mochten nicht alle Auditor/innen der freundlichen Einladung Rafael Correas Folge leisten.
Mit Correa und dem Außenminister Ricardo Patiño wurden wir uns einig, dass auch die Kritik der Kommission an den Multilateralen Schulden nun in konkrete Handlungen münden müsse. Am Montag Morgen traf sich dazu eine kleine ad-hoc-AG aus ehemaligen Auditor/innen und Mitarbeitern des Außenministeriums. Wenig Neigung zeigte der Präsident indes, auch die gerade von erlassjahr.de kritisierten Forderungen einiger bilateraler Gläubiger – namentlich Brasilien, Italien und Spanien – in Frage zu stellen. Da ist der politische Rückhalt gerade bei Brasilien und Spanien für das kleine Ecuador wohl doch zu wichtig.

Too big to fail

Die EZB freundet sich heute mit dem Gedanken an, in weit größerem Umfang als bisher Staatsanleihen überschuldeter europäischer Staaten zu kaufen. Was noch im Sommer ein ordnungspolitischer Tabubruch war, ist heute nur noch eine technische Frage: Wieviel Geld der Zentralbank(en) soll nun genau aufgewendet werden, damit die Pleite europäischer Staaten nicht die dort engagierten Banken aus den anderen Gläubigerländern in den Abgrund reisst?
Die Formel für dieses Tabubruch heisst “too big to fail”. Gemeint ist damit, dass die großen deutschen Banken angefangen von der großen Deutschen Bank bis zu den bereits technisch pleite gegangenen Instituten wie HRE oder HSH für die deutsche Volkswirtschaft zu wichtig sind, um ihre Schuldner nicht mit Steuerzahlergeld wieder liquide zu machen.
Es ist richtig, dass die Störungen für die deutsche Volkswirtschaft bei einer um sich greifenden Pleite wichtiger Banken beträchtlich wären. Auch gesunde Unternehmen könnten zwischenzeitlich ernste Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Liquidität bekommen. Zumindest vorübergehend.
So groß ist die Angst der Regierenden vor diesem Szenario, dass sie den Bruch mit einem der grundlegenden marktwirtschaftlichen Prinzipien nur noch schulterzuckend zur Kenntnis nehmen. Die Konsequenzen dieser Haltung sind fatal, denn mit dem “too big to fail”-Diskurs signalisieren die Regierenden den Inhabern der Schuldverschreibungen: “Ihr habt uns in der Hand. Da wir es jetzt nicht wagen, Euch in Schwierigkeiten geraten zu lassen, spricht nicht viel dafür, dass wir es morgen tun werden.”
Das ist aus der Sicht eines deutschen Steuerzahlers eine sehr unschöne Situation. Richtig unappetitlich wird sie aber erst, wenn sie mit dem dünkelhaften Diskurs unterfüttert wird, Deutschland sei nun wieder mal dabei, Europa und die Welt zur retten. Dann erinnert die Haltung der Bundesregierung an das Kleingedruckte in den HIPC-Entschuldungsinitiativen der 1990er und 2000er Jahre.
Damals hatte beim Kölner Gipfel der damalige Kanzler Schröder namens der G8 den ärmsten Ländern der Welt großzügig eine umfassende Entlastung von ihren Auslandsschulden im Rahmen der HIPC-Initiative gewährt. Dargestellt wurde das Ganze überdies als Eingehen auf die Forderungen der Erlaßjahr2000-Kampagne.
Erst beim zweiten Hinsehen wurde deutlich, dass die bahnbrechenden Schuldenerlasse durch IWF, Weltbank und Afrikanische Entwicklungsbank weitgehend aus den Entwicklungshilfehaushalten der reichen Länder gegenfinanziert wurden. Das heißt: Unter dem Strich bezahlten diejenigen, denen diese Mittel ohne Schuldenerlass zugute gekommen wären, den Schuldenerlass selbst. Die Begründung für diese Gegenfinanzierung war, dass die Multilateralen Banken die größten und wichtigsten Entwicklungsfinanciers weltweit seien, deren Fähigkeit zur Unterstützung der ärmsten Länder unter allen Umständen erhalten werden müsse.
Nun macht diese Argumentation nur unter der Annahme Sinn, dass die fraglichen Entwicklungshilfegelder – wenn sie nicht an Weltbank & Co geflossen wären, von den Entwicklungsminister/innen in den nächsten Gully geworfen worden wären. Dann hätten in der Tat die ärmsten Länder einen realen Verlust erlitten. Täten sie das nicht, hätte man die Mittel beispielsweise für andere multilaterale Töpfe, wie etwa den Global Fund, das UN Entwicklungsprogramm oder auch ganz klassisch bilateral zum Segen der Ärmsten einsetzen können. Nicht unbedingt besser, aber auch keinesfalls schlechter als die Weltbank es tat.
Die Folge wäre aber gewesen, dass die großen Internationalen Finanzinstitutionen erheblich kleiner geworden wären. Vielleicht hätte sich sogar gezeigt, dass die eine oder andere der mehr als 100 Weltbank-Fazilitäten und Treuhandtöpfe gänzlich überflüssig war.
Quantitativ, d.h. im Blick darauf wieviel Geld tatsächlich von Nord nach Süd fließt, wäre das vielleicht ein Nullsummenspiel geworden (vielleicht auch nicht). Qualitativ aber hätte das bedeutet, dass die Internationalen Finanzinstitutionen, die sich in den achtziger Jahren ein lukratives Geschäftsmodell aufgebaut hatten, indem sie den Schuldendienst längst zahlungsunfähiger Staaten an Banken und Regierungen aufrecht erhielten, für diese Politik einen Preis gezahlt hätten. Das heisst, sie hätten für die Konsequenzen ihres Tuns wirtschaftlich einstehen müssen, was eine der unerlässlichen Voraussetzungen dafür ist, dass eine Marktwirtschaft funktionieren kann. Und vielleicht hätte eine solche für die Washingtoner Institutionen bittere Erfahrung sogar dazu geführt, dass man nach 2008 etwas weniger rasant mit neuen Kreditfinanzierungen zur Aufrechterhaltung des Schuldendienstes der eigentlich bankrotten Staaten Griechenland und Irland in die Bresche gesprungen wäre. Und statt dessen nach wirksamen Wegen gesucht hätte, die privaten Investoren an den Kosten des von ihnen angerichteten Schadens zu beteiligen.
Aber schon damals waren diese (Welt-)Banken “too big to fail”.

Seid doch bitte optimistisch!

Nicht nur bei erlassjahr.de wurden IWF und Weltbank oft für ihre Schuldentragfähigkeitsanalysen (DSA) an den Pranger gestellt. Oft erwiesen sich die im Vergleich zur Vergangenheit viel zu optimistischen Vorhersagen des Wirtschaftswachstums als unrealistisch. Oft wurde auf deren Grundlage auch eine zu optimistische Einschätzung der zukünftigen Schuldentragfähigkeit von armen Ländern vorgenommen. Fragt man Mitarbeiter in Washington persönlich, warum sie Länder mit recht hohen Schuldenindikatoren (wie z.B. Mosambik) kein Verschuldungsrisiko bescheinigen, so erhält man ein Schulterzucken: „die Länder wollen das so“.

Nun werden aber auch Stimmen immer lauter, dass IWF und Weltbank bisher viel zu konservativ (und nicht zu optimistisch) über die Schuldentragfähigkeit von Entwicklungsländern geurteilt haben und damit die Finanzierung der MDG gefährden. Denn zu negative Beurteilungen hätten und würden den Zugang zu (nicht- konzessionären) Krediten weitestgehend unterbinden. Aufgegriffen wurde diese „Sorge“ in einer Überprüfung des Rahmenwerks für Schuldentragfähigkeitsanalysen (DSF) von August 2009 (siehe http://www.imf.org/external/np/pp/eng/2009/080509a.pdf) und in einem Treffen des „Commonwealth Ministerial Debt Sustainability Forum“ (CMDSF) im Oktober 2010.

Nun, eine konservative und damit möglicherweise tatsächlich realistische Einschätzung von Verschuldungsrisiken: das ist schließlich Sinn der ganzen Übung. Viele Kreditgeber orientieren sich jedoch an den Schuldentragfähigkeitsanalysen von IWF/Weltbank, wenn es um die Kreditvergabe an Entwicklungsländer geht. Auch beeinflussen die Risikokategorisierungen die Kreditkonditionen bei IWF und Weltbank. Je höher ein Verschuldungsrisiko eingeschätzt wird, desto enger sind Kreditlinien, das ist logisch. Wird einem Land ein mittleres oder hohes Verschuldungsrisiko bescheinigt, weil es z.B. bedenkliche Schuldenquoten aufweist, so ist der DSF nicht unbedingt konservativ und damit starr angewandt worden, sondern hat vielmehr seinen eigentlichen Zweck erfüllt.

In oben genannten Diskussionen wird nun die Forderung laut, dass z.B. geplante Investitionen in die Infrastruktur oder neue Einkommensmöglichkeiten, viel mehr in der Beurteilung Beachtung finden müssten, da diese ja schließlich in Zukunft das Wirtschaftswachstum fördern (sollen). Hier wird der IWF also aufgefordert, bitte optimistischer und nicht zu vorsichtig zu urteilen. Sicherheit über den realen und messbaren Einfluss einer bestimmten Investition auf das zukünftige Wachstum gibt es logischerweise nicht.

Der „Schrei“ nach optimistischeren Einschätzungen ist gar nicht so unverständlich. Möchte man Investitionen finanzieren braucht es Geld. Geld kommt nicht nur von IWF und Weltbank, sondern auch vom Finanzmarkt. Kreditgeber orientieren sich bei Entwicklungsländern hier am Urteil des IWF. Der Finanzmarkt reagiert jedoch überaus empfindlich auf Negativschlagzeilen, wie man an Griechenland, Irland oder Spanien sieht. Fällt das Wort Insolvenzrecht oder Staatsbankrott, bricht Ländern und dem Kapitalmarkt der Angstschweiss aus. Zinsen steigen rasant, Investoren suchen sich andere Anleihen.

Sagt nun die Schuldentragfähigkeitsanalyse von IWF und Weltbank, dass Entwicklungsland xy ein hohes oder mittleres Verschuldungsrisiko hat, so heißt das nichts anderes, als dass ein erhöhtes Risiko einer möglichen Zahlungsunfähigkeit bescheinigt wird. Klar, dass Kreditgeber dann nicht gerne leihen, wenn doch schon vorher die Vermutung besteht, dass das Land den Kredit vielleicht gar nicht vollständig bedienen kann.

Trotzdem darf nicht vergessen werden, wozu der DSF eigentlich geschaffen wurde. In jedem Fall nicht dazu, verschuldeten armen Ländern einen Freifahrtschein für teure Kredite zu verschaffen, die es dann möglicherweise doch nicht tragen kann. Verständlich ist jedoch die indirekte Forderung von „Gleichbehandlung“: Möglichen Kreditgebern wird bei Entwicklungsländern durch die Schuldentragfähigkeitsanalysen die Einschätzung gegeben, ob eine mögliche Gefahr einer Überschuldung und damit Zahlungseinstellung besteht. Bei verschuldeten Euroländern jedoch ist der IWF-„Tipp“ an Kreditgeber vielmehr, dass sie das unwahrscheinliche Risiko von Staatspleiten nicht überschätzen sollen (siehe dazu ausführlicher den Blogbeitrag „IWF an Europa: Zahlt um Himmels willen Eure Schulden!“ vom 21.09.2010).

Das Problem ist da nicht der DSF. Vielmehr kann es nicht sein, dass das Thema Verschuldung so unterschiedlich gehandhabt wird: bei Entwicklungsländern sind Pleiterisiken bei jeder DSA ein selbstverständliches Thema, im Kontext von Euroländern gilt die Angst davor aber plötzlich als viel zu überbewertet. Ob Burkina Faso oder Irland – Staatspleite bleibt Staatspleite!

Glaubt Rogoff!

Es ist ermutigend zu beobachten, wie sich auch auf den Kommentarseiten der Financial Times Deutschland die Erkenntnis durchsetzt, dass sich die finanzielle Lebensfähigkeit einiger Eurostaaten ohne einen geordneten Schuldenschnitt nicht wiederherstellen lassen wird. Das war in der ersten Phase der europäischen Staatsschuldenkrise noch etwas ambivalenter, und die Lieblingsargumente der Gläubiger – z.B. “wer eine Option auf eine geregelte Insolvenz haben will, bekommt ab sofort keinen Kredit mehr” – tauchte auch in internen wie externen Kommentaren der “Agenda”-Seiten auf.
Inzwischen gewinnt die Einsicht, dass es ohne Schnitt nicht gehen wird, die Oberhand, und das ist ein gutes Ergebnis für eine durchaus offen ausgetragene Debatte. Der vorletzte und seit langem beste Beitrag dazu stammt von dem Harvard-Professor und ehemaligen IWF-Chefökonomen Ken Rogoff.
Der Kommentar trägt den Titel “Zweite Halbzeit der Krise” und ist im Netz unter http://www.ftd.de/politik/konjunktur/:staatspleitenpanik-rogoff-jetzt-kommt-die-zweite-halbzeit-der-euro-krise/50202775.html zu finden, Die englische Originalfassung kann auch unter www.project-syndicate geladen werden.
Rogoff spricht die Punkte an, denen sich auch die EU-Verantwortlichen werden stellen müssen, wenn sie 2013 (oder womöglich früher) tatsächlich Staatspleiten nicht mehr mit Mitteln aus dem Europäischen Rettungsfonds übertünchen können:
• Die drastischen Sparprogramme drohen die PIGS-Staaten in genau die gleiche Art von “verlorenem Jahrzehnt” zu schicken, wie es Lateinamerika zwischen 1982 und 1990 durchlebte; seinerzeit bestand das Hauptinteresse der westlichen Gläubigerstaaten auch zuallererst darin, die eigenen Banken und (US-)Sparkassen über Wasser zu halten. Damit diese aus den verschuldeten Ländern weiterhin Geld bekamen, wurden in großem Stil öffentliche Mittel in die bereits zahlungsunfähigen Staaten gepumpt und mit ebenso rigiden wie desaströsen Strukturanpassungsprogrammen verknüpft.
• Die Bundeskanzlerin hat als einzige europäische Regierungschefin erkannt und beizeiten offen gesagt, dass die kontinuierliche Refinanzierung von Schuldendienst keine Lösung sein kann, und Europa deshalb einen Insolvenzmechanismus braucht.
• Leugnen der Krise war noch nie eine gute Strategie – und selten wurde so heuchlerisch geleugnet wie beim EU-Bankenstresstest, im letzten Frühjahr. Umgekehrt kann die europäische Bankenkrise durchaus bewältigt werden, wenn die notwendigen Abschreibungen und Forderungsverzichte durchgesetzt werden.
• Mit dem Rettungsfonds hat Europa bereits unwiderruflich einen bedeutenden Teil der faulen Kredit sozialisiert. Selbst wenn der wünschenswerte Schuldenschnitt kommt, wird er nur noch zum Teil die eigentlichen Zocker treffen. Ein Teil trifft bereits die öffentlichen Haushalte. Das aber unterstreicht gerade die Notwendigkeit, einen Schuldenschnitt so bald wie möglich umzusetzen. Auch in Lateinamerika zeigte sich im Nachhinein, dass ein frühzeitiger Schnitt unter’m Strich für fast alle die bessere Lösung gewesen wäre als die praktizierte Insolvenzverschleppung.

Was Irland und Portugal (und die EU) aus der Entschuldung der Entwicklungsländer lernen sollten

Der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano leitet seine pointierten Betrachtungen zur Geschichte Lateinamerikas damit ein, dass der Mensch Augen am Hinterkopf haben sollte, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Die aktuelle Diskussion um eine eventuelle Beteiligung des Privatsektors an der Überwindung der Überschuldungen von Irland, Griechenland, Portugal und anderen unterstreicht seinen Punkt.
Die deutsche Bundesregierung als größter Beitragszahler im Rahmen jeglicher EU-Gemeinschaftsanstrengungen hat einen Vorschlag entwickelt, in Zukunft bei Staatsüberschuldung nicht nur die Steuerzahler des verschuldeten Landes und anderer europäischer Länder für die Krise zahlen zu lassen, sondern zumindest einen Teil der Verluste auf die Investoren abzuwälzen, die sich in Erwartung hoher Renditen und in Kenntnis der Risiken in den betroffenen Ländern engagiert haben. Berlin propagierte seinen Vorschlag zugegebenermaßen ziemlich dilettantisch – sowohl was die Form der Präsentation gegenüber den europäischen Partnern angeht, als auch im Blick auf seine Substanz.
Aber sie hat – neben den Finnen, die sich jüngst unterstützend zum deutschen Vorstoß geäußert haben – erkannt, dass es einen Paradigmenwechsel braucht. Nicht einmal einen dramatischen, wenn man genau hinsieht, denn was Schäuble und Merkel fordern, ist nichts anderes, als die Beendigung eines absurden Anachronismus: Überall auf der Welt ist eine Bedingung für das Funktionieren von Marktwirtschaften, dass der Ertrag einer Investition positiv mit dem realwirtschaftlichen Ergebnis verknüpft sein muss. So funktionieren binnenstaatliche Kapitalmärkte, und auf dieser Grundlage regeln auch Insolvenzgesetze den Umgang mit der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners, wenn die Dinge denn einmal schief gelaufen sind.
Nur bei Staaten wird absurderweise davon ausgegangen, dass sie stets zahlungsfähig sind, es mithin kein Risiko gibt, der Investor aber gleichwohl eine Prämie (den “Spread”) für ein “offiziell” inexistentes Risiko kassieren kann. Diesen Knoten endlich durchhauen zu wollen, ist das große Verdienst der deutschen Bundesregierung – wie tapsig auch immer sie sich dabei angestellt haben mag.
Blicken wir im Sinne von Galeano zurück: Als ab 1982 eine Reihe großer lateinamerikanischer Staaten pleite ging, entschieden sich die Gläubiger-Regierungen ein halbes Jahrzehnt lang, den Schuldendienst an die (privaten) Gläubiger zu refinanzieren, anstatt diese den längst eingetretenen Verlust tragen zu lassen. Erst ab 1989 ging dieser Spuk durch den sogenannten “Brady-Plan” zuende. Als etwa zu dieser Zeit auch eine Reihe der allerärmsten Staaten vor allem in Afrikas südlich der Sahara längst keinen Schuldendienst mehr an ihre nördlichen Gläubigerregierungen zahlen konnten, entschlossen sich die Gläubiger, bis 1996 den bilateralen Schuldendienst von Weltbank und Währungsfonds finanzieren zu lassen – bis auch diese Schulden nicht mehr bedient werden konnten, und ein komplizierter Schuldenerlass-Prozess im Rahmen der HIPC-Initiative auf den Weg gebracht werden musste. Der war langwierig, unvollständig und im Vergleich zu einem schnellen und tiefgreifenden Schnitt teuer für alle Beteiligten.
Die Frage ist nun, ob die europäischen Schuldner-Länder auf den gleichen Weg geschickt werden – oder ob der deutsche Vorschlag eine Alternative dazu bietet. Sie wird sich daran entscheiden, ob die Regierungen der starken Länder weiterhin darauf setzen wollen, die Illusion der Schuldendienstfähigkeit aufrecht zu erhalten – selbst in Zeiten, da Irland und Portugal längst Spreads für ihre Kreditaufnahme aufbringen müssen, als sei ein Kapitalschnitt schon unvermeidlich. Diese Konstellation ist hoch-attraktiv für die Anleger, während die den EFSF garantierenden Staaten dadurch zu Opfern einer Erpressung werden. Und da die Bedrohung, der sie mit ihren Rettungsfinanzierungen entgegentreten wollen, tendenziell eine permanente ist – die Gefahr einer Staats-Überschuldung kann nirgendwo und zu keiner Zeit im Grundsatz ausgeschlossen werden – ist auch die Erpressbarkeit von Dauer. Entgehen kann die Bundesregierung und kann die EU ihr nur durch genau die Art von Regeln, die Berlin auf den Weg bringen will: Wie jeder Kredit ist auch der an eine öffentliche Körperschaft selbstverständlich mit einem größeren oder kleineren Risiko verbunden. Und dieses Risiko hat in erster Linie der Investor zu tragen.
Damit diese Alternative auch praktisch umsetzbar wird, braucht es in erster Linie Regeln, die (a) verlässlich sind und (b) von allen Beteiligten, zu denen auch die Bevölkerung der kreditnehmenden Staaten gehört, als fair empfunden werden. Da war es mehr als unglücklich, dass der deutsche Finanzminister mit seinen berüchtigten Sprechzetteln die EU aufmischte, als seine Fachleute im Ministerium selbst noch keine genauen Vorstellungen – geschweige denn einen Konsens auf Kabinettsebene -vorweisen konnten. Das heisst aber nicht, dass ein tragfähiger Vorschlag für die Eurozone nicht in den nächsten Monaten entwickelt werden – und dann auch die Diskussion um einen globalen Entschuldungsmechanismus, dem die G20 sich dringend zuwenden müssten, befruchten könnte.
Wovor die europäischen Entscheidungsträger keinesfalls Angst haben sollten, ist die durch die Fachpresse geisternde Befürchtung, dass Länder, die einen Schuldenschnitt erzwingen, sich damit auf Dauer von den Kapitalmärkten ausschließen. Solche Weltuntergangs-Szenarien wurden bislang noch vor jeder der real existierenden Entschuldungsinitiativen von den Privatgläubigern und ihren Interessenvertretern an die Wand gemalt. Eingetreten sind sie noch nie. Wo es tatsächlichen zu dauerhaften Schwierigkeiten beim Kapitalzugang kam, hing dies durchweg mit den politischen Begleitumständen einer Zahlungseinstellung zusammen, und nicht mit der Schuldenreduzierung selbst. Der Regelfall war das genaue Gegenteil: ein entschuldeter Staat ist logischerweise für jeden Kreditgeber attraktiver als einer, der unter einem Berg von Altlasten stöhnt. Eigentlich genau die Art von Neuanfang, die Irland und Portugal in absehbarer Zeit brauchen werden.

Mitträgerversammlung 2010: Entschärft die Schuldenkrise!

Für manche beginnt mit Anfang November fast schon der Winterschlaf. Nicht für erlassjahr.de und seine Mitträger, die sich vom 5.-6.11.2010 in Dietershausen bei Fulda versammelt haben, um sowohl auf das vergangene Jahr zurückzublicken, als auch um die Aktionen im Jahr 2011 zu planen. Denn unser Thema ist gerade jetzt brandaktuell – diese Chance wollen wir nutzen! Staatsschulden sind durch die Finanzkrise weltweit in den Fokus der Politiker, wie auch der Zivilgesellschaft gerückt. Seit Frühjahr 2010 setzt sich auch die deutsche Bundesregierung für ein internationales Insolvenzverfahren ein. Um dieses global zu gestalten, wird erlassjahr.de mit seiner neuen Kampagne an die G20 appellieren. Das Forum der größten Wirtschaftsmächte und aufsteigenden Schwellenländer versteht sich als Vertreter von 2/3 der Weltbevölkerung und repräsentiert etwa 85% der globalen Wirtschaftsleistung. Deswegen haben wir ein Modell von gemeinsamen Briefen und Aktionsschritten von erlassjahr.de – Mitträgern und ihren Partnerorganisationen entworfen, über das bei der MTV lebhaft diskutiert wurde. In diesen Tagen geht das Aktionsmaterial in Produktion – die Kampagne kann starten! Doch nicht nur in Deutschland macht man sich für 2011 fit: Unsere Partneraktionen sind Teil der internationalen Kampagne “Defuse the Debt Crisis – Entschärft die Schuldenkrise”. Darin haben sich Entschuldungsnetzwerke aus vielen Ländern zusammengeschlossen, um im Jahr 2011 mit einer einheitlichen Forderung an die G20 zu treten: Die Welt braucht ein faires Insolvenzverfahren für Staaten – setzt es auf die Agenda des Gipfeltreffens im November 2011 in Frankreich! Da unser Nachbarland nach Südkorea den Vorsitz bei den G20 übernimmt und als Gastgeber nach Paris & co einlädt, wollen besonders die europäischen Entschuldungsbewegungen (Jubilee Debt Campaign UK, Jubilee Netherlands, SLUG aus Norwegen, Aktion Finanzplatz Schweiz und natürlich erlassjahr.de) Druck auf den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und die G20-Finanzminister ausüben.

Über die Mobilisierung und die Bedeutung der G20 sprach auch unser Spezialgast, die Entschuldungsexpertin Oygunn Brynildsen vom europäischen Dachverband EURODAD. Jürgen Kaiser, der politische Koordinator von erlassjahr.de, berichtete über die politischen Entwicklungen rund ums FTAP und brachte die neuesten Informationen aus den Berliner Ministerien mit. Kristina Rehbein, Praktikantin im erlassjahr.de – Büro, begeisterte die Versammlung mit der Interpretation der komplexen Verschuldungsdaten, die sie aus den Berichten des IWF recherchiert. Leider sind die Indikatoren überhaupt nicht zufriedenstellend – die Tendenz hat sich bei vielen Ländern im Zuge der internationalen Finanzkrise verschlechtert. Jana Zwernemann, Campaignerin von erlassjahr.de, präsentierte einen Foto-Rückblick auf das Jahr 2010 und stellte die anlaufende Kampagne vor. Am zweiten Tag der Mitträgerversammlung beschäftigten sich die TeilnehmerInnen in vier thematischen Arbeitsgruppen mit konkreten Schwerpunkten. Welche Themen stehen auf der erlassjahr.de – Agenda 2011? Welche Schritte erwarten uns im internationalen Campaigning? Wo liegen die Schwerpunkte bei den Medien und in der Materialproduktion? Und wie schaffen wir es, unsere Mitträger besser einzubinden und neue zu finden? Darüber hinaus präsentierte Michael Borger von der Ev. Jugend Pfalz das neue, interaktive Stationsspiel “Schuldenlabyrinth 21“. Auch die aktuelle Posterausstellung “Wege aus der Schuldenfalle” wurde den Mitträgern vorgestellt.

Am Samstag ging die Mitträgerversammlung dann in die Bündnisratsklausur über. Der neugewählte Bündnisrat wählte wiederum den Lenkungskreis – dieser wird auch im Jahr 2011 unverändert bleiben. Was hat sich im Bündnisrat geändert? Sr. Ursula Maria von Tils (Herz-Jesu-Missionsschwestern, Hiltrup) konnte in diesem Jahr nicht mehr kandidieren, neu dabei ist Katja Hofmeister (Micha-Initiative). Herzlichen Dank an Ursula-Maria für ihre kraftvolle Untertützung und ein “herzlich willkommen” für Katja – wir wünschen viel Erfolg bei der Bündnisarbeit!

Mit frischen Ideen und einer gut gefüllten To-Do-Liste ging es dann am Sonntag nach Hause – die große G20-Kampagne “Entschärft die Schuldenkrise” kann beginnen! Wir freuen uns auf Ihre Unterstützung!

Hier geht es zur großen Foto-Gallerie von der MTV 2010