Erklärbar auf Griechisch: Debtocracy zur Schuldenkrise in Griechenland

„Debtocracy“, eine Reportage zweier griechischer Journalisten von und für die griechische Öffentlichkeit, beschäftigt sich mit den Ursachen der griechischen Schuldenkrise und möglichen Lösungsansätzen, die die bisherige Politik nicht geliefert hat. Die Reportage, die unabhängig von Medieninstitutionen oder Politik gedreht und nur über das Internet verbreitet wurde, macht von Beginn bis zum Ende den wütenden „Standpunkt der Öffentlichkeit“ deutlich: Schuld an der Schuldenkrise sind Politik, gierige Wirtschaftsbosse und der Kapitalismus; das Modell der europäischen Union wird hinterfragt und der Staat soll zum Wohle seiner Bevölkerung Schulden zurückweisen können – so wie Ecuador oder Argentinien.

Die Parallelen zu der Schuldenkrise Argentiniens und dem Schuldenaudit Ecuadors sind dominant, wobei Argentinien für die Ungerechtigkeiten im aktuellen Griechenland („Versklavung“ durch den IWF) herhalten muss und die Parallele zu Ecuador eher aufzeigen soll, welchen Weg sich die Filmemacher wünschen. So nimmt die Glorifikation Correas (Präsident von Ecuador), der nicht nur die Verschuldung Ecuadors auf seine Legitimität hat prüfen lassen, sondern sich auch gegen seine Gläubiger gestellt und Schuldendienstzahlungen eingestellt hat, einen beachtlichen Teil des Films ein. Auch wird das Prinzip der Illegitimen Schulden und der Schuldenaudit in Ecuador in größtmöglicher Ausführlichkeit abgehandelt, um Schuldenaudits und damit verbunden Nichtbezahlen von Schulden als fehlenden Lösungsmechanismus der griechischen Schuldenkrise darzustellen.

Auch wenn der Film erfreulicherweise gleich zu Beginn deutlich macht, dass ein Staat bei Zahlungsunfähigkeit ein Recht haben muss, Schuldendienstzahlungen einzustellen oder Schulden zurück zu weisen, so bewegt sich der Fokus im Laufe des Films bedauerlicherweise recht einseitig hin zu der Ansicht, Schulden seien im allgemeinen illegitim und müssten vollständig zurückgewiesen werden, entstehen sie doch unter dem Paradigma des Neoliberalismus.

Audits zur Überprüfung der Legitimität von Schulden sind definitiv ein richtiger und wichtiger Schritt hin zur fairen Lösung einer Schuldenkrise und zur Einforderung von höherer Transparenz und Rechtsstaatlichkeit; das stellt der Film richtig dar. Jedoch sind Audits und die Zurückweisung jeglicher Schulden unter dem Mantel der Illegitimäts-Doktrin nicht DER fehlende Mechanismus um Schuldenkrisen fair für alle Beteiligten zu lösen. Es ist allenfalls ein (wichtiger) Teil eines geordneten, unabhängigen Verfahrens, welches eine Lösung herbeiführt, die für beide Seiten – Gläubiger- wie auch Schuldnerseite – tragbar ist.

Zu sehen ist der Film (mit deutschen Untertiteln) u.a. bei YouTube und auf http://www.debtocracy.gr/

Die EU soll endlich zum Zahnarzt gehen!

Diese fiese Situation hat jeder schon mal erlebt: Der Backenzahn tut weh, am Anfang nicht so schlimm, aber dann immer übler. Man weiss, man sollte eigentlich zum Zahnarzt, aber dann denkt man an den sirrenden Bohrer und die große Zange, und es fällt einem zum Glück ein, dass man heute nachmittag sowie so noch ganz dringend… und hat der heute nicht sowieso geschlossen…? Und dann beisst man lieber auf irgendwelche Kräuter, oder futtert packungsweise Aspirin, und wenn das nicht mehr wirkt, und man nicht schlafen kann, erinnert man sich an die Rum-Buddel im Küchenschrank. Mit unschönen Folgen zumeist.
Eigentlich weiss man genau, wie blöd das ist, aber man klammert sich daran, dass ja ein Wunder passieren und man morgen früh frisch und schmerzfrei erwachen könnte. Am Ende schleppt man sich dann doch hin, und zu Bohre rund großer Zange handelt man sich noch harsche Worte vom Doc ein, der vor einer Woche vielleicht noch was hätte retten können.
So ist es im Moment auch mit der Euro-Krise: Mit dem Anstieg der Refinanzierungskosten Italiens ist klar geworden, dass die Schmerzmittel namens “Rettungspakete” die Eurozone künftig nicht mehr vor einem Schuldenschnitt mitsamt Beteiligung der Gläubiger bewahren werden. Und jeder Tag, den die Finanzminister in der Hoffnung auf Ölfunde in der Ägäis oder ein wundersames Sinken der griechischen Zinsen zuwarten, macht die letztlich unvermeidbare Operation teurer und schmerzhafter. Abgesehen von der EZB gibt es fast niemanden mehr, der ernsthaft behauptet, es ginge ohne Operation(en) ab.
Für die betroffenen Bürger in den europäischen “Peripheriestaaten”, und für alle, die seit April 2010 eine geordnete Insolvenz verlangen, ist es fast schon nicht mehr auszuhalten!

Mosambik, Tansania, El Salvador: neue Länderinfos erschienen

Bild der Länderinfoseiten von erlassjahr.de

Das Informationsprogramm für Partnerschaftsgruppen, Gemeinden und Länder-Interessierte (“Die Schulden, die Entschuldung und unser Partnerland”) hat einige Erweiterungen zu bieten.

Nachdem die erlassjahr-Homepage nun den neuesten Absturz verkraftet hat, sind aktuellste Analysen zu El Salvador, Mosambik und Tansania hinzugekommen. In gänzlicher Kürze: So wie El Salvador Privatbanken mit Geldern aus Sozialprogrammen aus der Pleite freikaufen musste, so ist die recht brenzlige Verschuldungssituation von Mosambik von den IFIs klein gerechnet worden, indem nur die Spitze des Schulden-Eisbergs mit in die Risikountersuchung genommen wurde. An dem (im Hinblick auf die Entschuldung unter HIPC) gerne herangezogenen Paradebeispiel Tansania zeigt sich, dass die Entschuldung unter HIPC zwar ein definitiv wichtiger Schritt zur Lösung des Solvenz-Problems Tansanias war, aber es zeigt auch, dass die Entschuldung unter HIPC keine Lösung für (strukturell wiederkehrende) Schuldenkrisen ist (und auch nicht sein kann).

Das Programm umfasst Kurz- und ausführliche Hintergrundinformationen, Gemeindeabende oder Seminare – jeweils abgestimmt auf hochverschuldete Partnerländer, die Teil (oder eben auch nicht Teil) der HIPC-Initiative sind.

Die neuen Infos sind zu finden unter:

https://staging.erlassjahr.net/dev2/cms/front_content.php?idcat=88&idart=473

Die Medien und die Schuldenkrise

Eine kritische Auseinandersetzung der deutschen Medien mit den vorgeschlagenen Lösungen zur derzeitigen europäischen Schuldenkrise sucht man bisweilen vergeblich.

Es sind hauptsächlich die Politiker, denen in der Erklärung der aktuellen Situation das Wort überlassen wird. Die Frage ist, ob dieses Meinungsbild ausreicht, um für ausreichende Aufklärung der Öffentlichkeit zu sorgen, oder ob es dann vielleicht doch einer Pluralität an Meinungen und Expertise bedürfte, um mögliche Auswege und mit ihnen verbundene Kosten und Nutzen zu beleuchten?

Was wieder einmal völlig ausgeblendet wird, beinahe könnte man sich daran gewöhnen, ist die Stimme der Zivilgesellschaft aus ganz Europa im öffentlichen Diskurs: Leser dieser Seiten werden wissen, dass nicht nur erlassjahr.de um faire und transparente Regelungen zu staatlichen Schuldenkrisen kämpft, sondern ein ganzes europäisches Netzwerk aktiv an der Umsetzung von Entschuldungsmechanismen arbeitet.

Das Griechenland aus der “klassischen” Zielgruppe von erlassjahr.de scheinbar dadurch herausfällt, dass es ein Mitglied der Europäischen Union und nicht Entwicklungs- oder Schwellenland ist, spielt dabei weniger eine Rolle, als die Tatsache, dass jene Mechanismen ohne Zweifel auch auf die aktuelle Situation in Europa anzuwenden wären.

Auch wenn die Politik die zivilgesellschaftlichen Ideen staatlicher Insolvenzverfahren inzwischen zu einem größeren Teil aufgegriffen hat, bedarf es noch immer einer sachgerechten Analyse, die aktuelle Geschehnisse in den wissenschaftlichen und ökonomischen Kontext stellt, in den sie gehören. Nur daraus lässt sich der konkrete Handlungsbedarf ableiten und auch vorantreiben.

Pariser Club: 17.6.2011

© erlassjahr.de

Wie alt ist der Pariser Club eigentlich? Soll man ihm gratulieren? Kommt man eher mit einem mit Ketten dekorierten Geburtstagskuchen gut an oder mit einem Kampagnenstatement, den man überreichen will? Die Vertreter/innen der Kampagne “Entschärft die Schuldenkrise”, die auch von erlassjahr.de getragen wird, kennen die Antworten – denn wir waren am Freitag in Paris und haben die Herrschaften vom Pariser Club an die vergangenen 55 Jahre schlechten Schuldenmanagement erinnert. In das französische Finanzministerium, wo der Club hinter geschlossenen Türen tagt, wurden wir zwar nicht reingelassen, umso bunter und lauter war aber die Aktion vor den Toren des Clubs am Boulevard Bercy. Fotoreport mit Kommentaren findet man in unserem Facebook – Album.

Pariser Club wird 55: Ein Grund zum Feiern?

© erlassjahr.de

6.7.2011, Berlin – Pariser Platz:  Zwischen dem Brandenburger Tor und der französischen Botschaft liegt eine überdimensionale rote Kette, das Symbol der ungerechten globalen Schuldenpolitik. Dahinter stehen erlassjahr.de – Unterstützer/innen mit Bannern und einem gepfändeten Eiffelturm. Unser Kampagnenmotto „Entschärft die Schuldenkrise!“ ziert heute so einige Fotos von neugierigen Touristen und Besuchern, die sich das Zentrum von Berlin anschauen.

Ein Geburtstag, der nicht glücklich macht

Der Anlass unserer Aktion ist symbolisch: Nächste Woche wird der Pariser Club 55 Jahre alt. Das Jubiläum des informellen Forums der Gläubigerregierungen, das seit 1956 über Schuldenumwandlungen und eventuelle Schuldenerlasse für hochverschuldete Länder entscheidet, ist jedoch kein Grund zum Feiern für uns: Der Pariser Club verkörpert genau die Art von Schuldenmanagement, die die internationale Entschuldungsbewegung kritisiert. So werden die Verhandlungen ausschließlich von Gläubigern geführt und auch entschieden. Alles findet hinter verschlossenen Türen statt, der Club muss seine Entscheidungen durch keine unabhängige Institution prüfen lassen. Es gibt kein einheitliches Prozedere bei den Verhandlungen, keine Regeln, die den Schuldner schützen oder ihm zumindest irgendwelche Rechte im Verfahren garantieren. Der Schuldnerstaat darf  zwar vorsprechen, entscheiden tun jedoch nur die Gläubiger. Der Schuldner kann sich die Urteile des Clubs, der zugleich Richter und Partei im eigenen Prozess ist, einfach nur anhören.

Und die Alternative?

Es geht auch anders, sagen wir: Ein faires und unabhängiges Verfahren soll bei Staatspleiten einen Neuanfang ermöglichen – und dabei die Grundrechte des Schuldnerstaates schützen. Das Konzept eines Fairen und Transparenten Schiedsverfahrens (FTAP) ist seit Jahren die Kernforderung von erlassjahr.de und vielen weiteren Entschuldungsorganisationen aus aller Welt. Im Jahr 2010 wenden wir uns gemeinsam unter dem Motto „Entschärft die Schuldenkrise“ an die Vertreter der G20, der wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt. Frankreich hat in diesem Jahr den Vorsitz der G20 inne – auch deswegen schreiben im Rahmen der Kampagne die Mitträger und Unterstützer von erlassjahr.de den französischen Vertretern, dass bei Staatspleiten faire Regeln notwendig sind. Die Gläubiger müssen einsehen, dass es Risiken und Verluste auf dem internationalen Kreditmarkt gibt, und die Bevölkerung der Schuldnerländer darf nicht für eine Krise verantwortlich gemacht werden, die sie nicht verursacht hat.

Der französische Botschafter weiß bescheid

Das alles haben wir nach der Kundgebung auch mit dem ersten Sekretär der politischen Abteilung in der französischen Botschaft, Herrn Jay Dharmadikari, besprochen. Die dortige Poststelle kriegt schon seit März unsere Aktionspost, nun kamen die vielen beim Kirchentag unterschriebenen Karten bei zusammen mit dem schönen Modell eines gepfändeten Eiffelturms als Geschenk dazu. Nach einem Austausch über die Positionen und Forderungen der Kampagne wurden wir über den G20-Prozess in Frankreich informiert und uns wurde die Offenheit der französischen Regierung gegenüber den Anliegen der Zivilgesellschaft zugesichert. Sogar kritische Äußerungen zum Pariser Club waren dabei, was wir natürlich sehr begrüßt haben.

Was tun?

© erlassjahr.de

Aber Diplomatie hat ihre Regeln,  und ein Botschaftsgespräch ist und bleibt ein Gespräch. Weiter Aktionen werden folgen – und auch Sie sind gefragt: Gerne liefern wir Ihnen unser Kampagnenmaterial mit Musterbriefen, Aktionskarten und weiteren Ideen, wie man die Kampagne „Entschärft die Schuldenkrise“ unterstützen kann. Machen Sie mit!

Fragen und Antworten für die Medien

Zum Abschluss des Aktionstages hat erlassjahr.de mit der Kindernothilfe, unserem besonders engagierten Mitträger, zu einem Mediengespräch eingeladen. Dabei wurde in lockerer Atmosphäre im Schatten des Brandenburger Tors nochmals die Kampagne vorgestellt, die aktuelle politische Lage diskutiert und auf die Fragen der Journalisten eingegangen. Unser Dank geht an die Kindernothilfe für die Unterstützung beim Aktionstag! Nächste Woche trifft erlassjahr.de seine internationalen Kollegen in Paris: Eine „Gratulation“ an den Pariser Club findet am 17.6. direkt vor Ort statt.

Schöne Bilder vom Aktionstag in Berlin gibt es in unserem Facebook-Album.

Wenn die Gläubiger zur Regierung werden….

Der schwedische Finanzminister Anders Borg und Luxemburg’s Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker haben sich eigentlich den Hai des Jahres für den unverschämtesten Vorschlag zur Schuldeneintreibung aus Griechenland verdient: Um den Zugriff der Gläubiger auf das griechische Staatsvermögen möglichst ohne störende Eingriffe durch die griechische Regierung, das griechische Parlament oder gar die Bevölkerung sicherzustellen, solle die EU nach deutschen Vorbild eine “Treuhandanstalt” von unabhängigen Privatisierungs-Experten “in enger Zusammenarbeit mit der EU” schaffen. Siehe http://de.reuters.com/article/topNews/idDEBEE74L02O20110522 Bekanntlich hatte das Wirken besagter Anstalt ab 1990 das unmittelbare Entstehen blühender Landschaften im Osten Deutschlands zur Folge, und die betroffenen Menschen waren so begeistert, dass jemand dem Chef dieses Instituts eine Kugel in den Kopf schoss.
Ein türkischer Kollege, mit dem ich über diesen genialen Vorschlag sprach, erinnerte daran, dass diese Methode von Gläubigern sich bei ihrem souveränen Schuldner bedienen keinesfalls neu ist: Nach der militärischen Niederlage des Ottomanischen Reiches Ende des vorletzten Jahrhunderts installierten die westlichen Mächte ihre eigene Steuerbehörde im Land und führten die Steuereinnahmen des Staates ohne Umwege der Schuldentilgung zu.

IWH: Es braucht ein unabhängiges Insolvenzgericht

Über die Notwendigkeit eines Teilschuldenerlasses für Griechenland und möglicherweise andere Länder im Euro-Raum wird in den einschlägigen Medien in den letzten Wochen erfreulich intensiv diskutiert. Positiv ist, dass die Illusion, es ginge ohne einen Teilerlass, inzwischen nur noch von den interessengeleiteten EZB’lern vertreten wird. Nicht so schön hingegen, dass das “wie” eines Schuldenerlasses sich sehr in den wohl bekannten Bahnen von Brady-Plan und Anleihe-Tausch bewegt.
Da ist es erfreulich, dass der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle und seine Mitarbeiter in der FTD den zentralen Punkt eines künftigen Entschuldungsverfahrens hervorheben: Es wird nicht gehen, ohne dass eine unparteiische Entscheidungsinstanz über Umfang und Modalitäten einer Entschuldung entscheidet: http://www.ftd.de/politik/europa/:griechenland-debatte-das-geld-der-anderen/60053931.html

Unkalkulierbar

Im Zusammenhang mit einer drohenden Umschuldung Griechenlands hat die Finanzpresse ein neues Libelingswort: “Unkalkulierbar”. Das seien nämlich die Risiken, die auf die Öffentlichkeit der Eurozone zukämen, wenn es zulasten der Anleger einen Schuldenschnitt oder auch nur eine Umschuldung der griechischen (Auslands-)Schulden gebe.
Und deshalb solle man lieber die Finger davon lassen.
So lange es Staats-Schuldenkrisen gibt (also eigentlich schon immer) haben Gläubiger eine Art Weltuntergang für den Fall an die Wand gemalt, dass sie ihr Geld nicht – oder nicht in voller Höhe – wiederbekommen. Bislang bezog sich der Weltuntergang meist auf den Schuldner selbst: wer nicht voll zurückzahle, bekomme nie wieder einen Kredit, wurde entgegen jeder wirtschaftliche Logik und jede historische Erkenntnis jahrelang den ärmsten Ländern mitgeteilt, als deren Schuldensituation in den 90ern immer prekärer wurde. Kurz darauf organisierten Weltbank und Währungsfonds selbst die Entschuldung von 40 Ländern – mit dem expliziten Ziel, diese dadurch wieder oder überhaupt erstmals kapitalmarktfähig zu machen. Was sich bis zum Beginn der Krise von 2007/8 auch nicht schlecht anließ.
Im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise ist es nicht mehr ausreichend, für den Schuldner selbst Feuer und Pestilenz vorherzusagen. Das wäre der Öffentlichkeit in den Ländern, die den Bail-out der Anleger finanzieren sollen, womöglich egal. Auch kann man den Untergang der Eurozone als Ganzer schlecht vorhersagen, wenn jemand in Schwierigkeiten ist, der weniger als 5% der Wirtschaftsleistung der gesamten Eurozone erbringt.
Also droht man mit dem Ungewissen. Ähnlich wie in finsteren Zeiten der Kirchengeschichte dem Sünder mit dem Fegefeuer für den Fall gedroht wurde, dass er sein Portemonnaie nicht für den Kauf von Ablassbriefen öffnete, wird nun wieder eine ungreifbare höhere Macht bemüht, welche zur Strafe für einen griechischen Schuldenschnitt umgehend die halbe Eurozone von jeglicher Kreditversorgung abschneiden werde: Der Markt oder wahlweise auch im Plural “die Märkte”. Auf den ersten Blick eine verblüffende Drohung, da die drei kritischsten Länder ohnehin nur noch öffentlich finanziert werden können und von “den Märkten” außer gänzlich untragbaren Zinssätzen in absehbarer Zeit nichts zu erwarten haben.
Das haben die Propagandaapparate der Gläubiger eingesehen, und weiten deshalb ihre Drohgebärde ins Unbestimmte aus: Wir alle seien dran, weil die großen Banken, Versicherungen und Investmentfonds, die ihrerseits einen schwer zu beziffernden Beitrag zum Steueraufkommen der öffentlichen Hand und zur Beschaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland leisten, einen Zahlungsausfall Griechenlands nicht überstehen würden. Weil aber niemand weiss – und auch niemand wissen kann – ob das tatsächlich so ist, und welche Folgen ein Zusammenbruch etwa der HRE, ein Herunterstufen der Bonität der Commerzbank oder die Insolvenz des einen oder anderen Investmentfonds tatsächlich hätte, haben diejenigen, die durch einen Schuldenschnitt der Griechen tatsächlich Verluste hinnehmen, das perfekte Drohszenario geschaffen: Keiner weiss, was genau passieren wird, aber in dem undurchsichtigen Nebel von Fakten und Zusammenhängen kann jedem irgend etwas zustoßen.
Das hilft kolossal, die umgekehrte Frage gar nicht erst aufkommen zu lassen: Nämlich: was bedeutet es denn, dass dieses Land es sich scheinbar nicht mehr leisten kann, die von Hasardeuren eingegangenen Risiken nicht mit öffentlichem Geld abzusichern. Das bedeutet, dass wir ohne die Chance auf eine geordnete Staateninsolvenz zulasten der Anleger bis ans Ende unserer Tage deren Geiseln sein werden. Und die Kosten dafür wären…? Richtig: unkalkulierbar!

IWF-Gold-Profite für die armen Länder? Kommt gar nicht in die Tüte

erlassjahr.de-Bündnisrats-Mitglied Peter Lanzet (EED) berichtet von der
Frühjahrstagung von IWF und Weltbank

Bei einem Gespräch am 13.4.2011 im Internationalen Währungsfonds am
Rande der gerade laufenden Frühjahrstagung über die Frage, was der IWF
sinnvollerweise mit den 2,8 Mrd. überschüssigen Dollars aus seinem
Verkauf von 403 Tonnen Gold seit 2009 wohl machen könnte, zeigten sich
europäische Verantwortlichen außerordentlich zugeknöpft. Kommt gar nicht
in Frage, dass man dieses Geld etwa in einen existierenden Fonds des
IWF für Länder in schlimmen Notsituationen steckt. Der IWF braucht das
Geld um seinen eigenen Haushaltsfonds aufzustocken, außerdem könnte es
ja auch mal vorkommen, dass Länder nicht zurückzahlen. Für den Fall
muss man das existierende Polster von 7 Mrd. noch weiter aufstocken.

Man fragt sich, können die den Hals nicht voll genug kriegen? Nicht
nur dass sie mit dem Goldverkauf das ursprüngliche Ziel, 900 Millionen
in den Haushaltsfonds zu stecken übererfüllen konnten und damit mehr
als gut abgesichert sind. Der IWF hat ja im Zusammenhang mit der
Finanzkrise außerdem 90Mrd. Dollar ausgeliehen und verdient an seiner
Gesamtausleihe 1,3 Mrd. Dollar im Geschäftsjahr 2010/2011. Man fragt
sich auch, leiden die an einer Form von Finanzsystemparanoia? Der IWF
ist immer noch der bevorzugte Gläubiger, der selbst in krisen vor allen
anderen sein Geld zurückbekommt, selbst aus Argentinien. Also
warum muss man den Ausfallfonds noch weiter aufstocken?

Man fühlt sich wie im Finanzministerium. Dabei hat der IWF ja auch
eine Entwicklungsverantwortung. Der IWF will demnächst diskutieren, ob
nicht das Regelwerk für die Bemessung der Schuldentragfähigkeit den
Erfahrungen angepasst werden muss. Ob das eine gute Nachricht für
überschuldetete Länder ist, bleibt abzuwarten.

Peter Lanzet