Kein Staateninsolvenzverfahren ist auch keine Lösung

Avatar photo Malina Stutz, erlassjahr.de
7. Februar 2023

In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung darauf geeinigt, sich international für die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens einzusetzen. Nun zeigt die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke: Weitreichende Schritte sind insbesondere aus dem Finanzministerium aktuell (noch) nicht zu erwarten. Das ist enttäuschend! Doch halten die Argumente einer genauen Betrachtung stand? 

Der Vorschlag eines kodifizierten Staateninsolvenzverfahrens auf internationaler Ebene erscheint der Bundesregierung – auch angesichts der veränderten Gläubigerstruktur – derzeit nicht zeitnah realisierbar, heißt es von Seite des Finanzministeriums. Dass es sich bei der Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens um ein dickes Brett handelt, wissen wir nur allzu gut. Auch den aktuell amtierenden Parteien dürfte das bereits vor Regierungsantritt bewusst gewesen sein. Trotzdem haben sie sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, „eine Initiative für ein kodifiziertes Staateninsolvenzverfahren“ zu unterstützen. Dieses selbstgesteckte Ziel nach nicht einmal einem Jahr Amtszeit über Bord zu werfen, darf nicht durch die Komplexität der Sache begründet werden und sollte von den Regierungsfraktionen so nicht akzeptiert werden. 

Fehlende internationale Dynamik?

Als deutsche Bundesregierung, die in internationalen Foren und Verhandlungen ein ernstzunehmendes Gewicht aufweist, auf eine fehlende internationale Dynamik zu verweisen, ist nicht vertretbar. Dies gilt insbesondere, da sich abzeichnet, dass es 2025 und damit im letzten Legislatur-Jahr der amtierenden Bundesregierung vorrausichtlich eine vierte internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung geben wird (Financing for Development, FfD). Dies ist exakt der Ort, an dem weitreichendere Reformen beschlossen werden könnten, etwa ein Staateninsolvenzverfahren unter dem Dach der Vereinten Nationen. Ambitionierte Entscheidungsträger*innen würden daher nicht auf fehlende internationale Dynamik verweisen, sondern darauf hinwirken, dass die Durchführung der FfD-Konferenz bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen diesen Herbst beschlossen und das Schuldenthema prominent auf die Tagesordnung gesetzt wird. Wie viele andere G7-Staaten scheint jedoch auch die Bundesregierung eben aktuell doch (noch) nicht bereit, solche Reformen anzustoßen, die ihre eigene Macht und Einflussmöglichkeiten schmälern könnten. 

Festhalten an Macht und Einflussnahme!

Im Klartext heißt das, dass die Bundesregierung – wie auch in der Antwort angedeutet wird – weiterhin ein Interesse daran hat, Fragen der internationalen Schuldenpolitik allein innerhalb exklusiver Zusammenschlüsse wie der G7 und der G20 sowie innerhalb des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zu entscheiden, in denen die G7-Staaten über 40 Prozent der Stimmrechte halten. Eine Verlagerung der Kompetenzen auf UN-Institutionen, die auch das eigene Mitspracherecht in zukünftigen Verhandlungen zugunsten eines wirklich gleichberechtigten multilateralen Prozesses schmälern würde, wird von der Bundesregierung aktuell offenbar noch nicht als ernsthafte Option bedacht, um dem selbstgesteckten Ziel im Koalitionsvertrag nahezukommen. Dies wird auch aus der ausweichenden Antwort auf einen Unterpunkt in der Anfrage ersichtlich, in dem die Fraktion Die Linke danach fragt, wie die Bundesregierung die Kolonialschuld Deutschlands bei der Befassung mit der Überschuldungsproblematik berücksichtigt und inwiefern die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen darauf abzielen, die asymmetrische Verhandlungsposition zwischen Gläubigern und Schuldnerstaaten im Sinne letzterer zu reformieren. 

Kleinschrittige Reformen und Reförmchen

Insbesondere aufgrund der Schwierigkeit, völkerrechtlich bindende Abkommen zu verabschieden, ist es jedoch auch wichtig, auf niedrigerer Ebene nach Ansatzpunkten zu suchen, die Schuldenrestrukturierungen effizienter und vor allem im Sinne der Bevölkerung des Schuldnerlandes fairer gestalten können. Einige solcher Ansatzpunkte haben wir beispielsweise hier zusammengefasst. Werfen wir daher einen Blick darauf, welche kleinschrittigeren Reformen die Bundesregierung gedenkt anzugehen – und welche nicht: 

  1. Die Bundesregierung betont, dass sie bei kritisch verschuldeten Staaten dafür wirbt, einen Antrag auf Umschuldungsverhandlungen im Rahmen des Common Frameworks zu stellen. Besser als nur zu werben, wäre es aber, das Rahmenwerk attraktiver zu gestalten – Schuldnerländer haben schließlich guten Grund dazu, sich vom Rahmenwerk nicht allzu viel zu versprechen. Bisher haben nur vier Staaten einen Antrag gestellt und die Verhandlungen gehen nur schleppend voran. Echte Erlasse wurden bisher in keinem einzigen Fall zugestanden.
  2. Die Bundesregierung betont, dass alle G20-Staaten grundsätzlich offen dafür seien, Schuldnerländern während der Verhandlungen eine vorübergehende Aussetzung des Schuldendienstes zu gewähren. Das Schuldnerland müsse dies aber beantragen und das sei bisher in keinem Fall geschehen. Na, dann kann man da wohl wirklich nichts machen, oder? Wer genau hinschaut ist schlauer: So betont die Bundesregierung, dass Schuldnerländer einen Antrag auf Zahlungsaussetzung stellen dürfen, diesem im Einzelfall aber von den G20-Staaten im Konsens zugestimmt werden muss. Anders formuliert: Automatisch wollen sie Schuldnerstaaten ein Moratorium nicht gewähren. Wenn ein Moratorium im Einzelfall jedoch nur dann gewährt wird, wenn alle zustimmen, ist damit nichts gewonnen. Schließlich ist es eine Banalität, dass jeder das Recht hat, alles Mögliche zu beantragen, und dass ein Antrag Erfolg hat, wenn ihm zugestimmt wird. Wie wahrscheinlich eine solche konsensuale Zustimmung ist, bleibt für Schuldnerstaaten indes ungewiss. Zudem schweigt die Bundesregierung dazu, ob sie Schuldnerstaaten auch im Falle einer vorübergehenden Zahlungseinstellung gegenüber privaten Gläubigern unterstützen würde. Das es genau darauf ankommt, haben wir hier erklärt. 
  3. Die Bundesregierung setzt sich nach eigenen Angaben dafür ein, sich innerhalb der G20 auf Leitlinien für den Ablauf von Umschuldungsverhandlungen zu verständigen und in diesem Sinne auch klare Fristen zu vereinbaren, in welchem Zeitraum sich ein Gläubigerkomitee gebildet und Finanzierungszusagen getätigt werden sollen. Wenngleich es sich dabei eher um ein Reförmchen handelt, dessen positiver Effekt begrenzt sein dürfte – insbesondere wenn unklar bleibt, was passiert, wenn die selbstgesteckten Fristen verstreichen – wäre die Verabschiedung solcher Leitlinien zu begrüßen. Innerhalb der G20 sei diesbezüglich aber kein Konsens zu erreichen, so das Finanzministerium – gemeint sein dürfte China. 
  4. Die Bundesregierung sei bereit, das Common Framework für mehr Länder zu öffnen. Aktuell haben nur die einkommensschwächsten Staaten die Möglichkeit unter dem Umschuldungsrahmenwerk der G20 zu verhandeln. Orientiert wird sich dabei an den Einkommenskriterien der Weltbank.  Damit möchte die Bundesregierung signalisieren, dass sie den Verbesserungsvorschlägen von Weltbank und IWF offen gegenübersteht. In ihrer Antwort begrenzt das Bundesfinanzministerium die Ausweitung jedoch auf Länder mit unterem mittlerem Einkommen – und ignoriert damit nonchalant, dass IWF und Weltbank fordern, das Common Framework für alle Länder mit Überschuldungsproblemen zu öffnen, also auch für Länder mit hohem mittlerem Einkommen (wie beispielsweise Jordanien, Libanon oder Surinam) und Hocheinkommensländer (wie beispielsweise Chile, Barbados oder Antigua und Barbuda). Auch die Zivilgesellschaft fordert diese Ausweitung. Schon heute sind 36 der 55 Länder mit mittlerem unterem Einkommen antragsberechtigt. Besonders vorwärtsgewandt ist die Aussage des Bundesfinanzministeriums an dieser Stelle also nicht. Letztlich sei aber auch bezüglich der Frage der Ausweitung innerhalb der G20 – insbesondere mit China – kein Konsens zu erzielen. 
  5. Die Bundesregierung wie auch die übrigen G7-Staaten lehnt die Beteiligung multilateraler Entwicklungsbanken an Umschuldungen weiterhin ab. China hingegen fordert die Beteiligung multilateraler Gläubiger vehement. Angesichts des relevanten Anteils der Forderungen multilateraler Institutionen ist das nachvollziehbar: Multilaterale Gläubiger wie IWF und Weltbank sind in mehr als der Hälfte der kritisch verschuldeten Staaten die wichtigste Gläubigergruppe. Das Bundesfinanzministerium begründet seine Haltung unter anderem damit, dass insbesondere hochverschuldete arme Länder von multilateralen Entwicklungsbanken „hoch-konzessionäre“ Kredite erhalten, die die Schuldentragfähigkeit nicht oder entsprechend wenig belasten würden. Eine Auswertung der Angaben der Weltbank zeigt jedoch, dass in mehr als der Hälfte der sehr kritisch verschuldeten Länder weniger als 50 Prozent der multilateralen Kredite zu konzessionären, geschweige denn zu „hoch-konzessionären“ Bedingungen vergeben wurden. Multilaterale Entwicklungsbanken mit diesem Argument pauschal aus jeglichen Umschuldungsverhandlungen raushalten zu wollen, erscheint also nicht belastbar. Immerhin betont das Bundesfinanzministerium, dass man Einzelfalllösungen für Länder finden wolle, wo der Anteil multilateraler Forderungen besonders hoch sei. Das ist tatsächlich mal ein neuer, begrüßenswerter Ton aus der Bundesregierung. 
  6. Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit, weitere Schritte zu gehen, um die gleichwertige Beteiligung privater Gläubiger an Schuldenerlassen sicherzustellen. Diesbezüglich behauptet das Bundesfinanzministerium, dass die vergleichbare Beteiligung privater Gläubiger in der Vergangenheit grundsätzlich gut funktioniert habe. Empirische Studien sowohl von akademischer Seite als auch von der Weltbank deuten, wie das Bundesfinanzministerium weiß, auf das Gegenteil hin. Die Bundesregierung verweist diesbezüglich aber auf die sehr flexibel auslegbare Definition der „Gleichbehandlung“ des Pariser Clubs, die von der Weltbank und anderen – aus unserer Sicht zurecht – kritisiert wird. Zudem verweist sie auf eine interne Überprüfung der Gleichbehandlung entlang dieser Kriterien, die erstens nicht öffentlich ist und zweitens auch nicht von unabhängiger Seite überprüft werden kann, da die Umschuldungsvereinbarungen des Pariser Clubs nicht öffentlich zugänglich gemacht werden. Das bedeutet also, dass die Bundesregierung uns auffordert, ihr blind zu vertrauen, dass es keinen Handlungsbedarf gebe, obwohl alle öffentlich zugänglichen empirischen Studien auf das Gegenteil hindeuten. Für ein Land, das sowohl China als auch Schuldnerstaaten wiederholt vorwirft, nicht transparent genug zu agieren, ist das eine mutige Position. 
  7. Die Bundesregierung sieht primär Schuldnerstaaten in der Verantwortung, die gleichwertige Beteiligung privater Gläubiger sicherzustellen. Abgesehen davon, dass das Bundesfinanzministerium es so darstellt, als habe die Gleichbehandlung privater Gläubiger in der Vergangenheit gut funktioniert, hänge ihr erfolgreicher Einbezug letztlich von den Verhandlungen des Schuldnerstaates ab. Damit zieht sich die Bundesregierung auf die bequeme Position des Pariser Clubs zurück, der Schuldnerstaaten in Umschuldungsverhandlungen standardmäßig dazu auffordert, eine gleichwertige Beteiligung privater Gläubiger sicherzustellen, ihnen aber nicht die Mittel an die Hand gibt, diese auch gegen unkooperative private Gläubiger durchzusetzen. Das erfolgreichste Druckmittel, das Schuldnerstaaten haben, um private Gläubiger zur Beteiligung an Schuldenerlassen zu bewegen, ist es, Zahlungen (vorübergehend) einzustellen. Wenn Schuldnerstaaten von dieser Option Gebrauch machen, müssen sie aktuell aber damit rechnen, von ihren privaten Gläubigern in Staaten des Globalen Nordens verklagt zu werden. Die Staaten des Globalen Nordens unterstützen private Gläubiger also qua judikativer Gewalt, ihre Forderung im vollen Umfang einzutreiben, und lehnen sich gleichzeitig mit dem Verweis zurück, dass der Einbezug privater Gläubiger im Verantwortungsbereich der Schuldnerstaaten liege. Das ist inakzeptabel. 
  8. Das Bundesfinanzministerium sieht kaum Nutzen in einem deutschen Anti-Holdout-Gesetz. Nationale Gesetze, die die Klage- und Vollstreckungsmöglichkeiten privater Gläubiger gegenüber Schuldnerstaaten einschränken, wären ein wichtiger Beitrag, um Schuldnerstaaten in ihren Verhandlungen mit privaten Gläubigern effektiv zu unterstützen und die Gleichbehandlung privater Gläubiger an Schuldenerlassen sicherzustellen. Da der Großteil der ausstehenden Anleiheforderungen jedoch unter angelsächsischem Recht begeben wurde, schlussfolgert das Bundesfinanzministerium, dass ein solches Gesetz in Deutschland nicht zweckdienlich sei. Diese Überlegung ist jedoch verkürzt und verkennt den Unterschied zwischen schuldrechtlich- und vollstreckungsrechtlich konzipierten Gesetzen. Zu diesem Zweck empfehlen wir dem Bundesfinanzministerium in unseren Podcast „Schuldenschnitt“ reinzuhören. Glücklicherweise ist die Ampel-Regierung nicht immer in allen Punkten einer Meinung: Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat bereits eine Studie in Auftrag gegeben, die mögliche Ansatzpunkte der Bundesregierung überprüfen soll (darunter Anti-Holdout-Gesetze), die den Einbezug privater Gläubiger an Schuldenerlassen unterstützen. Bleibt zu hoffen, dass die Ergebnisse die vorschnelle Meinung im Bundesfinanzministerium revidieren können. 

Keine Handlungsmöglichkeiten für die Bundesregierung aufgrund Chinas Blockade?

Die Antwort der Bundesregierung liest sich in Kurzfassung wie folgt: Es ist alles wahnsinnig kompliziert. Deutschland sei ja bereit, aber international gebe es insbesondere aufgrund der blockierenden Haltung Chinas wenig Konsens und das Problem der Privatgläubigerbeteiligung werde ohnehin überschätzt. 

Kann die Bundesregierung also schlichtweg nichts tun, da China sich quer stellt? Nein! Selbstverständlich ist die Weigerung Chinas in einigen der oben genannten Punkten nicht akzeptabel. Doch wer wirklich an der Sache interessiert ist, sollte auf die Reformschritte schauen, die im eigenen Verantwortungsbereich liegen – nicht zuletzt, da dadurch auch ein Kompromiss Chinas an anderer Stelle wahrscheinlicher wird. Diese Verantwortlichkeiten – namentlich die Beteiligung privater Gläubiger sicherzustellen und multilaterale Forderungen in Umschuldungsverhandlungen einzubeziehen – erkennt die Bundesregierung jedoch (aktuell noch) nicht an. 

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