G20-Moratorium, aber die Privaten kassieren weiter – und was die Bundesregierung dagegen tun könnte

Avatar photo Jürgen Kaiser, erlassjahr.de
26. Juni 2020

Am 25. Juni 2020 meldete der Vorsitzende des Pariser Clubs Guillaume Chabert zum Abschluss eines G20-Arbeitsgruppentreffens stolz, dass mittlerweile 41 von 73 Ländern, denen G20 und Pariser Club ein Moratorium angeboten hatten, dieses auch angenommen haben. Der Zuwachs über die bislang von der Weltbank dokumentierten 35 Länder hinaus sei auch dadurch zustande gekommen, dass die Gläubiger eine Einbeziehung des Privatsektors ausdrücklich nicht zur Bedingung für das Moratorium gemacht haben.

Rückblende in den April 2020: Bei der virtuellen Frühjahrstagung von IWF und Weltbank kommen die G20 Finanzminister überein, dass zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen von Covid-19 ärmere Länder zusätzliche Mittel benötigen. Diese lassen sich am besten dadurch mobilisieren, dass man Geld im Lande lässt, welches sich dort bereits befindet. Ein Moratorium aller öffentlichen bilateralen Schulden wird zunächst 77, später nur noch 73 IDA-qualifizierten und am wenigsten entwickelten Ländern angeboten. Der IWF beteiligt sich nicht am Moratorium, setzt aber ein eigenes Entschuldungsprogramm für eine kleinere Gruppe von Ländern um. Die Weltbank, deren Chef das Moratorium lautstark gefordert hatte, beteiligt sich überhaupt nicht.

An private Gläubiger – hauptsächlich Banken und Fonds – appellieren die G20, ebenfalls bis Ende 2020 Zahlungen zu stunden. Das Institute of International Finance (IIF), das Sprachrohr der großen privaten Anleger weltweit, signalisiert guten Willen, kündigt die Erarbeitung eines eigenen Moratoriums-Konzepts an. In der Folge geschieht – nichts. Zur Stunde ist kein einziger Fall bekannt geworden, in dem private Gläubiger eine Stundung ausgesprochen hätten. Im Gegenteil: Immer wieder weisen Banker und Fondsmanager darauf hin, dass ein Moratorium künftige Kreditaufnahmen verteuern könnte. Ratingagenturen lassen sich für die Message einspannen, und auch Finanzminister potenzieller Moratoriums-Kandidaten wiederholen sie, um ihre Ablehnung des Angebots der G20 zu begründen. Bis schließlich auch der Sprecher der öffentlichen Gläubiger, die ja gerade an den Privatsektor appelliert haben, sich zu beteiligen, sich auf diese Logik einlässt. Unmittelbar nach der Frühjahrstagung hatte Guillaume Chabert im Gespräch mit Nichtregierungsorganisationen sich über eine derartige Haltung noch echauffiert.

Öffentliche Haushalte verzichten also auf Forderungen, um ärmere Staaten bei der Eindämmung der Pandemie zu unterstützen, während private Gläubiger weiter kassieren. Mehr noch: Aus vielen Ländern, die auch vor Ausbruch der Pandemie schon am Rande einer Schuldenkrise standen, verbessern sich plötzlich die Rückzahlungsaussichten für private Anleger. Um so etwas zu verhindern, baut der Pariser Club ansonsten in alle seine Umschuldungsvereinbarungen routinemäßig Gleichbehandlungsklauseln ein, welche den Schuldnern verpflichten, von privaten Gläubigern mindestens die gleichen Zugeständnisse zu erwirken, die der Club gewährt hat.

Davon ist nun keine Rede mehr, und wenn es nicht so traurig wäre, könnte man dem IIF zu seiner genialen Propagandaleistung gratulieren. Denn logisch ist der behauptete Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung eines angebotenen Moratoriums und einer Verteuerung künftiger Kreditaufnahmen keineswegs: Wenn ceteris paribus existierende Gläubiger Erleichterungen gewähren, verschlechtern sich die Rückzahlungschancen künftiger Investoren selbstverständlich nicht. Im Gegenteil: Sie verbessern sich, wenn auch nur marginal.

Was wäre die Alternative?

Die G20 haben von Anfang an nur für die freiwillige Beteiligung der Privatgläubiger geworben. Dass man sie auch erzwingen könnte, ist nicht erwogen worden. Dabei gäbe es dafür eine Reihe von Möglichkeiten. Zwei wären besonders effizient:

  • In Großbritannien gibt es ein „Anti-Geier“-Gesetz welches verhindert, dass private Gläubiger vor britischen Gerichten ihre ursprünglichen Forderungen in voller Höhe durchsetzen, wenn ein beklagtes Land von der britischen Regierung Schuldenerleichterungen im Rahmen der HIPC-Initiative erhalten hat. Da mehr als die Hälfte aller internationalen Kreditverträge unter britischem Recht abgeschlossen werden, ist diese Bestimmung besonders wirksam. Die andere Hälfte ist ganz überwiegend unter New Yorker Recht abgeschlossen. Eine gesetzliche Bestimmung an diesen beiden Standorten, welche Klagen privater Gläubiger gegen Staaten im G20-Moratorium für dessen Dauer unmöglich machen würde, würde eine private Beteiligung elegant erzwingen.
  • Den gleichen Effekt könnte eine Resolution des Weltsicherheitsrats haben. Dieser hatte in der Resolution 1483 vom 22. Mai 2003 die Öleinnahmen des Irak nach dem Fall Saddam Husseins „immunisiert“. Das heißt, keiner der Gläubiger der damals über 130 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden des Irak konnte diese Einnahmen in einem Mitgliedsland der UNO pfänden lassen. Damit war nicht nur die Grundlage für einen wirtschaftlichen Neuanfang des Landes nach Diktatur und Krieg gelegt. Auch die 2004 folgende, weit reichende Schuldenregelung wurde dadurch erst ermöglicht. Niemand konnte sich auf Kosten aller anderen Gläubiger schnell auszahlen lassen. Da, wie es der UN-Generalsekretär ausgedrückt hat, die Pandemie entweder weltweit oder gar nicht besiegt wird, gibt es ein übergeordnetes Interesse der Weltgemeinschaft daran, dass ärmere Staaten genau dafür auch ihre knappen Ressourcen einsetzen können. Zudem sind alle Vetomächte im Sicherheitsrat, die eine solche Resolution verhindern könnten, gleichzeitig auch Mitglied der G20, das heißt, sie selbst haben zulasten ihrer eigenen Steuerzahler*innen bereits einen Beitrag geleistet.

Deutschland ist zur Zeit übrigens nicht-ständiges Mitglied des Sicherheitsrates und könnte eine entsprechende Initiative leicht einbringen, wenn die Bundesregierung es denn ernst damit meinte, dass nicht die Steuerzahler*innen für die Profite der privaten Anleger zahlen sollen.

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