G20-Finanzminister in Venedig: Auf zur nächsten Pandemie

Avatar photo Kristina Rehbein, erlassjahr.de
10. Juli 2021

Heute fand der Gipfel der G20-Finanzminister*innen unter der Präsidentschaft Italiens in Venedig statt. Eine Woche zuvor hatte die IWF-Chefin Kristalina Georgieva die geringen Fortschritte bei den bisherigen G20 Schuldenerlassmaßnahmen beklagt, der deutsche Entwicklungsminister Müller beim Gipfel der G20 Außen- und Entwicklungsminister*innen die Notwendigkeit von Schuldenerlassen betont. In der heutigen Pressekonferenz zum Finanzministergipfel hält der italienische Gastgeber entgegen, dass – jetzt, da die DSSI nun langsam zum Ende komme – das Common Framework for Debt Treatments beyond the DSSI der G20 erfreulicherweise wie geplant in Gang komme und die G20 somit umfassende Unterstützung für „gefährdete Länder“ böten.

Entsprechend widmet die G20 den Fortschritten in den bestehenden Common Framework-Fällen einen langen Abschnitt im Communiqué. Zuvor hieß es, wenn sich das Common Framework nur in den ersten Fällen beweisen könne, dann würde man auch Fortschritte etwa bei der Ausweitung in der Ländergruppe erzielen können. Mehr als ein Deckmantel für das Fehlen substantieller Fortschritte sind die Ausführungen im Communiqué jedoch nicht: Tatsächlich hat sich im Vergleich zu den anderen beiden Finanzministertreffen im Februar und April praktisch nichts getan. Kein einziges zusätzliches Land hat seitdem eine Umschuldung beantragt, kein einziges der bislang involvierten Länder (Tschad, Äthiopien, Sambia) hat eine Umschuldung abgeschlossen. Gleichzeitig werden die Stimmen immer lauter, Ländern nach ihrer „Gefährdung“ Zugang zu Unterstützung zu gewähren – weiterhin gibt es auch hier keinen Fortschritt bei der G20. Sri Lanka, das sich nicht für DSSI und Common Framework qualifiziert, könnte schon Ende des Monats das Scheitern des „umfassenden Unterstützungsrahmens für gefährdete Länder“ aufzeigen.

Fast ein halbes Jahr nach Beantragung einer Umschuldung tut sich zwar endlich ein bisschen was in Äthiopien und dem Tschad. Doch der Tschad wird für die so dringend benötigten Erfolge im Hinblick auf die Einbeziehung privater Forderungen zur Zerreißprobe. Eigentlich wettete die G20 darauf, dass der Tschad aufgrund der vergleichsweise geringen Komplexität im Gläubigerprofil ein vielversprechender Testfall für die erfolgreiche Umsetzung des Common Framework sein würde. Doch der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore, der wichtigste Privatgläubiger des Tschad, hatte seine Forderungen erst vor wenigen Jahren umgeschuldet – und scheint aktuell nicht bereit, dem Wunsch der G20 nach Gleichbehandlung zu folgen. Natürlich wünschen sich die Finanzminister*innen im Communiqué erneut, dass die Privaten auch mitmachen sollen. Das haben sie auch schon beim letzten, vorletzten, vorvorletzten und vorvorvorletzten Mal getan. Eine entschlossene und deutliche Ansage an nicht kooperationsbereite Gläubiger, selbst alles rechtlich und politisch Mögliche zu tun, um Schuldnerländer bei der Konfrontation mit diesen zu unterstützen gibt es jedoch nicht – wie beim letzten, vorletzten, vorvorletzten und vorvorvorletzten Mal.

Am Freitag bereits tagte das G20 High Level Independent Panel on Financing the Global Commons for Pandemic Preparedness and Response. Das Gremium, besetzt mit politischen und wissenschaftlichen Größen, wurde im Januar eingerichtet, um schon einmal die Antwort auf die nächste Pandemie vorzubereiten. Angesichts der fehlenden Handlungsfähigkeit der G20 schlugen die Expert*innen den G20-Finanzminister*innen vor, dass sie bei der nächsten Pandemie vielleicht lieber den IWF darum bitten, geordnete Entschuldungsverfahren zu schaffen. Ein Mechanismus könne laut des Papiers sicher schon in den nächsten 12 Monaten entwickelt werden. Der im Papier vorgestellte Vorschlag eines umfassenden und geordneten „debt service relief framework“ fließt ein in die Empfehlungen für ein Sondertreffen der G20-Finanz- und Gesundheitsminister*innen Ende Oktober. Dieses soll vor dem Gipfel der G20-Staats- und Regierungschef*innen stattfinden und konkrete Vorschläge für einen neuen “Global Deal” im Pandemiezeitalter beraten und verabschieden. Ein echter Fortschritt wäre es, die aktuellen Diskussionen um einen Gefährdungsindex aufzugreifen und einen Mechanismus zu schaffen, der im Falle von Krisen ein automatisches Schuldendienstmoratorium, gefolgt von Umschuldungen vorsieht, deren Zugang nach Gefährdungskriterien und nicht mehr nach dem völlig unsinnigen Einkommenskriterium geregelt werden würde. Dafür können die Gesundheits- und Finanzminister*innen im Oktober die Weichen stellen – allerdings besser nicht erst für die nächste Pandemie.

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