Bundestagswahl 2021: Die Position der FDP zum Staateninsolvenzverfahren

Avatar photo Malina Stutz, erlassjahr.de
18. Mai 2021

Am vergangenen Wochenende hat die FDP ihr Wahlprogramm verbindlich verabschiedet. erlassjahr.de begrüßt, dass die Sinnhaftigkeit eines geordneten Staateninsolvenzverfahrens darin anerkannt wird. Explizit fordern die Freien Demokraten die Schaffung eines solchen Verfahrens jedoch nur auf europäischer Ebene.

Staateninsolvenzverfahren im Wahlprogramm 2021

Im Abschnitt Gläubigerbeteiligung bei Finanzierungskrisen einzelner Staaten in der Eurozone heißt es:

„Wir Freie Demokraten wollen ein Verfahren für geordnete ‚Staatsinsolvenzen‘ schaffen. Damit wollen wir private Gläubiger einzelner Staaten stärker in die Verantwortung nehmen. (…) Eine solche Beteiligung des Privatsektors wäre gleichzeitig die wirksamste Krisenprävention, weil ein Staat sich dann in der Regel gar nicht erst unangemessen hoch verschulden könnte.“

Beteiligung der privaten Gläubiger entspricht marktwirtschaftlichem Grundprinzip

Es ist aus Sicht von erlassjahr.de zu begrüßen, dass die Freien Demokraten ganz im Sinne des marktwirtschaftlichen Grundsatzes dafür einstehen, dass diejenigen privaten Investoren, die durch den Kauf von Staatsanleihen ein potenziell gewinnbringendes Geschäft eingehen, auch die Risiken dieses Geschäfts tragen und damit im Falle der Zahlungsunfähigkeit von Staaten ihren fairen Anteil der Anpassungskosten mittragen müssen. In der Eurokrise konnten sich private Banken vor allem westeuropäischer Länder durch die öffentlichen Kreditprogramme aus den krisengeschüttelten Ländern zurückziehen, so dass sie selbst nur ein geringes Verlustrisiko ihrer vormals profitablen Anlage tragen mussten. Dadurch wurden die Kosten der fehlgeschlagenen Investition nicht nur sozialisiert, auch waren Kreditvergabeentscheidungen nicht immer nachhaltig, konnten private Banken doch darauf wetten, dass im Krisenfall der öffentliche Sektor – und damit der europäische Steuerzahler – einspringt. Ein Staateninsolvenzverfahren würde private Gläubiger in die Pflicht für ihre Anlageentscheidung nehmen und somit nicht nur zu einer fairen Krisenlösung, sondern auch zu verantwortlicherer Kreditvergabe beitragen. Wie die FDP sieht auch erlassjahr.de damit die Etablierung einer solchen Instanz potenziell als hilfreich an, um Schuldenkrisen bereits im Vorhinein zu vermeiden.

 „Entpolitisierung“ der Wirtschaftspolitik

Die nächsten Abschnitte im Wahlprogramm der FDP zeigen, dass der Fokus der Partei hier primär auf dem Schutz der (deutschen) Steuerzahler*innen liegt, die letztlich dafür haften, wenn die Zahlungsunfähigkeit einzelner EU-Staaten allein durch öffentliche Hilfsgelder überbrückt wird. Die ungleiche Lastenverteilung von Anpassungskosten in der bisherigen Praxis, nach der vor allem wirtschaftlich schlechter Gestellte in den Schuldnerländern, wie Rentner*innen, Arbeitslose und Geringverdienende in Griechenland die Hauptlast der Anpassungskosten tragen mussten, wird von der FDP hingegen nicht problematisiert. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die FDP fordert, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu einem effektiven Europäischen Währungsfonds umzubauen, der die „Ausgestaltung der makroökonomischen Anpassungsprogramme und die Kontrolle ihrer Umsetzung in den Darlehen nehmenden Ländern“ übernimmt und dabei kein Wort dazu verliert, dass viele der Anpassungsprogramme der Vergangenheit in ihren Effekten sozial höchst unausgewogen und in ihrer wirtschaftlichen Effizienz mindestens zweifelhaft waren. Nein, die FDP verliert dazu kein Wort, sie ist hingegen überzeugt, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen „entpolitisiert“ werden können und sollten. Die Handlungsmöglichkeiten von demokratisch gewählten Regierungen durch die Vorgaben einer solchen Kommission entscheidend einzuschränken, erscheint jedoch nicht zuletzt für die Stabilität und das Vertrauen der Bürger*innen in demokratische politische Institutionen höchst problematisch.

Was auf europäischer Ebene sinnvoll wäre, wird auch international gebraucht

Leider fordert die FDP ein Insolvenzverfahren für Staaten nur auf europäischer Ebene und für Länder und Kommunen auf nationaler Ebene. Dabei läge es doch nahe, eine solche Institution mit eben jenen Argumenten auch auf internationaler Ebene zu fordern. Tatsächlich hat sich die FDP diesbezüglich in der Vergangenheit schon deutlich positioniert. So setzte sie sich 2009 dafür ein, dass die schwarz-gelbe Regierung im Koalitionsvertrag das Ziel formulierte, sich für die Implementierung einer internationalen Insolvenzordnung einzusetzen. Passiert ist diesbezüglich in den folgenden vier Jahren jedoch sehr wenig. Den Antrag der Grünen vergangenes Jahr, der die Regierung aufforderte, sich international für ein ebensolches Verfahren einzusetzen, lehnte die FDP ab. Im zuständigen Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bekräftigte die Fraktion jedoch, dass es nach ihrer Ansicht auch auf internationaler Ebene dringend einen Mechanismus brauche, der über die bestehenden Einrichtungen hinausgehe, und dass „ein internationales und transparentes Staateninsolvenzrecht (…) hierbei auch nach Ansicht der Fraktion der FDP das zielführende Instrument (sei)“. Es ist bedauerlich, dass es diese progressiveren Formulierungen nicht an die entscheidende Stelle im Wahlprogramm der FDP geschafft haben.

Notwendigkeit von Präventionsmaßnahmen nicht gegen strukturelle Reformen der internationalen Schuldenarchitektur ausspielen

In Reaktion auf die Veröffentlichung des Schuldenreports 2021 von erlassjahr.de und MISEREOR erklärte der entwicklungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Dr. Christoph Hoffmann im Januar:

„Damit die junge Generation eine Zukunftsperspektive hat, muss es Überlegungen für einen Schuldenschnitt geben. Dieser muss aber mit einer umfassenden Anti-Korruptionskampagne ummantelt werden, da sonst die erneute Schuldenlast nur eine Frage der Zeit ist.“

Auch hier bekräftigt die FDP also grundsätzlich ihre Unterstützung einer internationalen Entschuldungsinitiative. Klarzustellen ist jedoch: Ein einmaliger Schuldenschnitt wäre aus Sicht von erlassjahr.de in Krisenzeiten, wie wir sie aktuell beobachten, zwar unbedingt angebracht. Die grundsätzliche Forderung nach einem permanenten fairen und transparenten Staateninsolvenzverfahren geht aber weit darüber hinaus. Und das aus gutem Grund: Solange Staaten Entwicklung primär über (ausländische) Kreditaufnahme finanzieren, wird es auch immer wieder zu Schuldenkrisen kommen. Die Kreditvergabe und -aufnahme kann und sollte unter anderem durch sinnvolle Anti-Korruptionsmaßnahmen verantwortungsbewusster gestaltet werden, um Schuldenkrisen vorzubeugen. Wie oben bereits dargelegt wurde, könnte die Schaffung eines internationalen Staateninsolvenzverfahrens auch dazu einen Anreiz schaffen. Wichtig ist hier jedoch, dass die verschiedenen Ansätze nicht gegeneinander ausgespielt werden. Schon in der Vergangenheit musste die sinnvolle Debatte um Krisenprävention dafür herhalten, um eine umfassende Reform der Verfahren zur Bewältigung von Schuldenkrisen politisch zu unterlaufen. Statt konkrete Handlungsschritte für den Umgang mit der sich abzeichnenden Krise zu erarbeiten, versteiften sich Gläubigernationen und internationale Finanzinstitutionen vor der Pandemie auf den bereits vor vielen Jahren festgelegten Kurs, mit einigen präventiven Maßnahmen werde sich die nächste Krise schon vermeiden lassen. Soweit darf es nicht wieder kommen: Denn auch bei einer verantwortlichen Vergabepraxis wird es nicht zuletzt durch unvorhersehbare Ereignisse wie Naturkatastrophen oder der aktuellen Corona-Pandemie zur Überschuldung kommen. Spätestens zur Bewältigung dieser externen Schocks braucht es faire, effiziente und transparente Verhandlungsverfahren.

Im Falle einer Regierungsbeteiligung der FDP gilt es aus Sicht von erlassjahr.de darauf zu hoffen, dass der FDP bewusst wird – oder durch einen progressiveren Koalitionspartner daran erinnert wird – dass das, was sie auf europäischer Ebene für sinnvoll erachtet, auch auf internationaler Ebene wünschenswert und unbedingt notwendig wäre. Und sich dann – anders als während der letzten Regierungsbeteiligung – auch erfolgreich dafür einsetzt.

 

Die Formulierung im Wortlaut

„Wir Freie Demokraten wollen ein Verfahren für geordnete „Staatsinsolvenzen“ schaffen. Damit wollen wir private Gläubiger einzelner Staaten stärker in die Ver­antwortung nehmen. Bevor an ein Mitglied der Eurozone öffentliche Mittel aus dem Europäischen Währungsfonds (EWF) fließen, muss es künftig eine Beteili­gung der privaten Gläubiger dieses Staates an den Stabilisierungslasten geben, zumindest in Form einer Laufzeitverlängerung der jeweiligen Staatsanleihen. Eine solche Beteiligung des Privatsektors wäre gleichzeitig die wirksamste Kri­senprävention, weil ein Staat sich dann in der Regel gar nicht erst unangemes­sen hoch verschulden könnte. Auch müssen der EWF und der Finanzstabilitäts­rat mit ihrer analytischen Kompetenz bereits frühzeitig in die Krisenprävention eingebunden werden.”

Auszug aus dem Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl 2021, im Kapitel “Nie wa­ren die Chancen größer: Bewältigen wir die großen Herausforderungen unserer Zeit!” unter der Überschrift “Klare Regeln”, im Abschnitt “Gläubigerbeteiligung bei Finanzie­rungskrisen einzelner Staaten in der Eurozone”, verabschiedet im Mai 2021.

 

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