Bundestagswahl 2021: Die Position der CDU/CSU zum Staateninsolvenzverfahren

Avatar photo Malina Stutz, erlassjahr.de
2. Juli 2021

Am 21. Juni haben nun auch die Unionsparteien ihr gemeinsames Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 veröffentlicht. In Bezug auf Schuldenerlasse und die Schaffung eines internationalen Staateninsolvenzverfahrens war die Positionierung von Fraktion und Partei in den letzten Monaten mindestens widersprüchlich. Beim entwicklungspolitischen Kongress der CDU/CSU-Fraktion am 19. Mai 2021 stimmte der entwicklungspolitische Sprecher der Fraktion, Volkmar Klein, der Notwendigkeit der Schaffung eines internationalen Staateninsolvenzverfahrens zu, verstand aber offenbar – anders als erlassjahr.de – das Common Framework der G20-Staaten als quasi solch eine Institution. In Reaktion auf einen Antrag der Grünen vom 03.07.2020 bekräftigte die Fraktion, dass man sich der Idee eines internationalen Insolvenzverfahrens für Staaten nicht grundsätzlich verschließe, lehnte es dann jedoch mit nicht ganz nachvollziehbaren Gründen ab, sich für die Schaffung eines solchen Verfahrens einzusetzen (siehe unten). Beim vergangenen Treffen der Außen- und Entwicklungsminister*innen der G20-Staaten am 29.06.2021 sprach sich auch der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) für die Notwendigkeit echter Schuldenerlasse aus, von einem Staateninsolvenzverfahren war jedoch keine Rede. Wie plant die Union nun im Wahlkampf und in möglicher Regierungsverantwortung mit dem Thema umzugehen?

Das Wahlprogramm: Ein Insolvenzrecht auf EU-Ebene

Im Wahlprogramm halten CDU und CSU im Rahmen der EU ein geordnetes Verfahren „bis hin zu einem Insolvenzverfahren“ für Staaten, die von einer Wirtschafts- und/oder Finanzkrise betroffen sind, für notwendig. Da sich erlassjahr.de seit langen für ein faires und transparentes Staateninsolvenzverfahren auf internationaler Ebene einsetzt, könnte diese Absichtserklärung der Unionsparteien zunächst als ein erster zu begrüßender Schritt erscheinen. Jedoch bleibt im Wahlprogramm von CDU/CSU offen, wie sie sich ein solches Verfahren vorstellen und welche Ziele damit konkret verfolgt werden sollen. Grüne, SPD, LINKE und FDP sind in ihren Wahlprogrammen da durchaus konkreter geworden.

Übergeordnet heißt es, dass Europa auf Wirtschafts- oder Finanzkrisen besser vorbereitet sein müsse, um diese schneller und besser zu überwinden. Der Analyse, dass die aktuelle internationale – und europäische – Finanzarchitektur im Umgang mit überschuldeten Staaten ineffizient ist, kann aus Sicht von erlassjahr.de durchaus zugestimmt werden. Mit einem fairen und transparenten internationalen Staateninsolvenzverfahren strebt erlassjahr.de jedoch nicht nur danach, ein effizienteres System, sondern insbesondere auch ein faireres System zu etablieren, in dem die Anpassungskosten zwischen Schuldner und Gläubigern angemessen aufgeteilt werden. Nach der Analyse von erlassjahr.de – und auch des Internationalen Währungsfonds – müssten Schuldenerlasse in einem solchen System eine deutlich prominentere Rolle spielen, als dies aktuell der Fall ist: sowohl um Finanzkrisen schneller und effizienter zu überwinden, als auch damit die Kosten nicht einseitig von der Bevölkerung des Schuldnerlandes getragen werden. Dazu findet sich im Wahlprogramm von CDU/CSU jedoch kein Wort.

Wenig Ambitionen in der Entwicklungszusammenarbeit

Im Wahlprogramm der Unionsparteien heißt es, dass die Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 Leitbild der Parteien seien. Was dann kommt, ist jedoch mehr als schwach. Jegliche Anerkennung, dass die Verwirklichung dieser Ziele bis 2030 – gerade auch aufgrund der wirtschaftlichen und fiskalischen Auswirkungen der Pandemie – aktuell höchst unwahrscheinlich erscheinen, fehlt. Ebenso eine Problemanalyse, warum dies der Fall ist. Wenn das Problem nicht erkannt wird, ist es nicht verwunderlich, dass man im Wahlprogramm der Unionsparteien auch vergeblich nach vielversprechenden Lösungsansätzen sucht.

Die Union formuliert es als Erfolg, dass im Jahr 2020 das Ziel erreicht wurde, 0,7% des Bruttoinlandsproduktes für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Dabei wurde das 0,7% Ziel bereits 1970 verabschiedet – als Mindestanstrengung, die bereits 1975 erreicht werden sollte. Die Differenz zwischen den tatsächlich von Deutschland bereitgestellten Geldern seit 1970 im Vergleich zu den Verpflichtungen aus der UN-Resolution entspricht fast 500 Milliarden US-Dollar. Dass Deutschland das 0,7%-Ziel gut fünfzig Jahre später zum zweiten Mal erfüllt, liegt außerdem insbesondere daran, dass das Bruttoinlandsprodukt 2020 stark eingebrochen ist – relativ gesehen steigen dann geplante Ausgaben natürlich an. Zudem erreicht Deutschland das Ziel auch 2020 – wie bereits 2016 – nur dann, wenn Ausgaben für Geflüchtete in Deutschland mitangerechnet werden. Immerhin möchte die Union, dass „auch“ zukünftig das 0,7%-Ziel erreicht wird.

Darüber hinaus setzen CDU/CSU vor allem auf die Rolle privater Investitionen und Kreditvergaben. Unter welchem Vorzeichen die Entwicklungspolitik der CDU/CSU steht, wird auch daran deutlich, dass diese stärker an die Interessen der deutschen Wirtschaft angelehnt und mit der strategischen Außenwirtschaftsförderung verknüpft werden soll.

Die Reformnotwendigkeit der internationalen Finanzarchitektur wird nicht anerkannt

Auch gibt es kein klares Bekenntnis zu Reformen der internationalen Finanzarchitektur. Doch für selbstbestimmte Entwicklungsmöglichkeiten von Ländern des Globalen Südens wären auch ambitioniertere Ziele der finanziellen Unterstützung als sie die Unionsparteien formulieren nicht ausreichend. Entscheidend sind vielmehr faire internationale Spielregeln, das heißt insbesondere faire Handels- und Finanzmarktregelungen. Sowohl im Handels- als auch im Finanzbereich zeigt sich die Union diesbezüglich jedoch wenig einsichtig. So findet auch die Forderung von erlassjahr.de nach einem fairen und transparenten Staateninsolvenzverfahren auf internationaler Ebene kein Widerhall im Wahlprogramm der Unionsparteien – anders als bei Grünen, SPD und Linken. Auch die Reform internationaler Finanzinstitutionen – wie beispielsweise des IWF – im Sinne einer gleichberechtigteren Repräsentation von Ländern des Globalen Südens wird von den Schwesterparteien nicht anerkannt.

Faule Ausreden

In einem Antrag forderte die Bundestagsfraktion der Grünen die Regierung im Juli 2020 dazu auf, sich für ein Staateninsolvenzverfahren auf internationaler Ebene einzusetzen. Der Antrag wurde unter anderen mit den Stimmen der Unionsfraktion abgelehnt, führte jedoch zu einer Plenardiskussion, bei der die Fraktionen Stellung beziehen mussten. CDU und CSU lehnten den Antrag mit drei wenig überzeugenden Argumenten ab:

  • Erstens bemühten sie das Narrativ, dass Schuldenerlasse die Refinanzierungsmöglichkeiten der Schuldnerländer erschwerten und daher letztlich auch nicht im Interesse des Schuldners selbst wären. So gern und so oft dieses Argument auch bemüht wird, widerspricht ihm die empirische Evidenz weitestgehend. Wenn sich Regierungen jedoch tatsächlich in einer derartigen Zwickmühle befinden würden, wie es die Unionsparteien formulieren, müssten CDU und CSU sich eigentlich selbstkritisch fragen, ob das von ihnen forcierte Entwicklungsmodell freier Kapitalmärkte wirklich im Interesse der Ärmsten ist: Wenn Regierungen kritisch verschuldeter Länder vor der Wahl stünden (Konjunktiv!), entweder den Schuldendienst trotz inakzeptabel hoher Kosten für die Bevölkerung aufrechtzuerhalten oder durch die Bemühung um Restrukturierungen einen Kapitalausschluss und damit eine ebenso schlimme wirtschaftliche Krise zu initiieren, spräche das für mehr einhegende Regelungen der Finanzmärkte – nicht für weniger.
  • Zweitens verwies die Unionsfraktion auf die Rolle Chinas als mittlerweile wichtigsten bilateralen Kreditgeber und unkooperativen Gläubiger, der weitere proaktive Schritte des Westens hin zu einem regelbasierten Entschuldungsverfahren unmöglich mache. Wenngleich die Kreditvergabe Chinas tatsächlich in vielerlei Hinsicht problematisch ist, erscheint der Verweis der CDU hier primär als Ausflucht. So trägt China in der DSSI, dem Schuldenmoratorium der G20 Staaten, doch immerhin mit über 60 Prozent den Löwenanteil der Kosten, während westliche Staaten sich nicht dazu durchringen konnten, ihre privaten Kreditgeber verbindlich in die Initiative miteinzubeziehen. Und 2014 setzte sich China in einem gemeinsamen Antrag der sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer im Rahmen der UNO dafür ein, ein rechtsstaatliches Entschuldungsverfahren auf internationaler Ebene zu etablieren – ein Antrag, der damals unter anderem von der deutschen CDU-geleiteten Regierung abgelehnt wurde.
  • Drittens stellt die CDU/CSU-Fraktion die geforderten Reformen der Grünen als bloßes „Herumkurieren an Symptomen“ dar. Die eigentlichen Probleme seien hingegen in den wirtschaftlichen und politischen Strukturen der Schuldnerländer selbst zu finden. Schuldenkrisen sind jedoch längst nicht immer auf die unverantwortliche Kreditaufnahme oder Mittelverwendung in den Schuldnerländern zurückzuführen. Auch nicht vorhersehbare und beeinflussbare Ereignisse wie die durch die Corona-Pandemie ausgelöste weltweite Wirtschaftskrise können dazu führen, dass Schulden plötzlich zum Problem werden. Dann braucht es faire und effiziente Auswege für überschuldete Staaten. Und wenn Kredite unverantwortlich aufgenommen und verwendet werden, gibt es immer auch den Gegenpart: denjenigen, der den unverantwortlichen Kredit vergeben hat. Im Rahmen eines fairen und transparenten internationalen Staateninsolvenzverfahrens würden beide Parteien angemessen an den Anpassungskosten beteiligt werden, sodass sowohl die Aufnahme als auch die Vergabe unverantwortlicher Kreditgeschäfte weniger attraktiv werden würde So könnten Schuldenkrisen bereits im Vorhinein vermieden werden.

Ausblick

Es bleibt zu hoffen, dass die Union im Falle einer Regierungsbeteiligung sich darauf besinnt, dass sie sich der Idee eines Staateninsolvenzverfahrens auf internationaler Ebene ja „grundsätzlich nicht verschließe“. Schließlich hatte sie bereits 2009 im Koalitionsvertrag mit der FDP vereinbart, sich für die Implementierung einer internationalen Insolvenzordnung einzusetzen. Aus Sicht von erlassjahr.de wäre es wünschenswert, wenn die Union dann mindestens einen Koalitionspartner an ihrer Seite hätte, der nicht ebenso schamlos danach strebt, die Entwicklungszusammenarbeit nationalen wirtschaftlichen Interessen unterzuordnen und für den insbesondere die faire Verteilung der Anpassungskosten zwischen Schuldner und Gläubigern handlungsleitend ist. Ansonsten kann die Union auch Opposition recht gut – auch wenn man das nach 16 Jahren Merkel fast vergessen haben könnte. Im Jahr 2000 hatte die Unionsfraktion noch im Rahmen einer Kleinen Anfrage die damalige rot-grüne Regierung darauf hingewiesen, dass die einmaligen Erleichterungen im Rahmen der HIPC-Entschuldungsinitiative nicht ausreichen würden und „es sich bei dem Internationalen Insolvenzrecht um ein wesentliches Element der (…) globalen Strukturpolitik handelt“.

Die Formulierung im Wortlaut:

„Für den Umgang mit Staaten, die von einer Wirtschafts- und/oder Finanzkrise betroffen sind, benötigen wir geordnete Verfahren bis hin zu einem Insolvenzverfahren für Staaten.“

Auszug aus dem Wahlprogramm von CDU/CSU zur Bundestagswahl 2021, im Kapitel 2 „Neue Weltpolitikfähigkeit – mit Leidenschaft für ein starkes Europa“ unter dem Abschnitt „Wettbewerbsfähiges und stabiles Europa“ unter der Überschrift „Stabilitätskriterien für die Wirtschafts- und Währungsunion durchsetzen“.

 

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