Bei Schuldenerlassen gewinnen alle – sogar die Gläubiger

Avatar photo Jürgen Kaiser, erlassjahr.de
9. Juni 2021

Eine bemerkenswerte empirische Studie von Autoren des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank räumt mit der populären, aber falschen Annahme auf, dass bei Schuldenerlassen der Schuldner gewinnt und der Gläubiger verliert. In Bond returns in sovereign debt crisis: The investor’s perspective zeigen Jochen Andritzky und Julian Schumacher, dass in Krisensituationen die Einnahmen der Investoren über die gesamte Laufzeit ihres Kredits höher sind, wenn der Schuldner die Gläubiger zwingt, auf einen Teil zu verzichten, als in Fällen, in denen er versucht, weiterzuzahlen.

Zunächst die Empirie:

Abb. 1: Kumulierte Erträge nach Art der Krisenbewältigung
Quelle: Andritzky,J. and J.Schumacher (2019): Long-Term Returns in Distressed Sovereign Bond Markets. How Did Investors Fare? IMF Working Paper No. 19/13

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Die Graphik zeigt für die Zeit um die Weltfinanzkrise 2008, wie sich die Gesamteinnahmen von Anleihezeichnern in unterschiedlichen Szenarien entwickelt haben. Die untersuchten 32 Krisenländer bleiben allesamt deutlich hinter der Wertentwicklung des gesamten Schwellenländer-Index EMBIG zurück. Sieht man sich dann aber an, wie sich die Erträge unterschiedlicher Gruppen entwickelt haben, zeigt sich, dass diejenigen Schuldner, die versucht haben, einfach weiterzuzahlen (grüne Linie), die geringsten Erträge abgeworfen haben, während diejenigen, die nur umgeschuldet, also Zahlungen in die Zukunft verschoben haben (orangene Linie), und diejenigen, die ihren Gläubigern reale Verluste zugemutet haben, über den gesamten Zeitraum (deswegen cumulative returns) etwa gleich gut abgeschnitten haben.

Das gleiche Bild zeigt sich auch, wenn man in den gleichen Ländern die Erträge von Altinvestoren (Constrained Investors) und Risikoinvestoren (Distress Investors) miteinander vergleicht. Erstere sind Anleiheinhaber, die bei Einsetzen der Krise verkaufen, letztere diejenigen, die zu diesem Zeitpunkt einsteigen. Die individuellen bzw. über die ganze Gruppe gemittelten Erträge der ersten Gruppe werden durch die blauen Punkte und Striche angezeigt, die Erträge der letzteren durch die gelben.

Abb. 2: Zusätzliche Erträge für Altinvestoren und Risikoinvestoren
Quelle: Andritzky,J. and J.Schumacher (2019): Long-Term Returns in Distressed Sovereign Bond Markets. How Did Investors Fare? 

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Kann man die Erträge in der großen linken Gruppe (No restructuring) noch als Belohnung für eine risikoreiche Strategie ansehen, zeigen die Fälle, in denen es Umschuldungen (Reprofiling) bzw. Schuldenerlasse (Face Value Cut) gegeben hat, dass sich temporäre oder dauerhafte Verluste für den Gläubiger auszahlen – und zwar die echten Schuldnerlasse noch mehr als die Umschuldungen.

Wie kann das sein?

Der Grund für diese Entwicklung ist, dass Länder nach einem Schuldenerlass regelmäßig ein deutlich höheres Wachstumsniveau erreichen als in Fällen, in denen der Schuldner verzweifelt versucht hat, weiter zu zahlen, aber dann häufig doch in eine ungeregelte Zahlungseinstellung oder in eine anhaltende Phase der Stagnation geraten ist. Entsprechend sicherer und häufig auch umfangreicher waren deshalb die Leistungen auf den restrukturierten Schuldendienst.

Die Lehren aus diesem Zusammenhang sind zweierlei:

  • Eine Umschuldung ist kein Nullsummenspiel, wie von Gläubigerseite gerne suggeriert wird, sondern kann in einer mittelfristigen Perspektive für alle Beteiligten lukrativ sein – statt nur für den Schuldner.
  • Eine Umschuldung sollte so zeitig wie möglich erfolgen. Je länger ein eigentlich nicht tragfähiger Schuldendienst geleistet wird, umso größer sind unter dem Strich die Verluste, die alle hinnehmen müssen.

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