Die Schulden werden einfach …ausgebremst!

Am 29. November hatten wir über ein Interview mit Philipp Rösler berichtet, in dem er wörtlich zitiert wird mit “Wir haben eine geordnete Staateninsolvenz gefordert und haben ein Verfahren dafür vorgeschlagen. Genau ein solches Verfahren ist jetzt beschlossen worden.” Wir haben daraufhin bei der FDP und im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie nachgefragt, ob wir die Sektkorken knallen lassen können und unsere Forderungen nach einem fairen und transparenten Verfahren sich nun endlich durchgesetzt haben. Vom Koalitionsvertrag in die Realpolitik sozusagen.

Heute erhielten wir dazu eine Antwort: Nicht die FDP-Parteizentrale, dafür aber das Bundesministerium war so nett und hat die Sachlage für uns mehr oder weniger durchleuchtet. In dem Schreiben heißt es, dass sich die Aussagen von Herrn Minister Rösler auf das “Treffen der Staats- und Regierungschefs am 26./27. Oktober 2011” beziehe, bei dem unter anderem die “Einführung so genannter Schuldenbremsen auf Verfassungs- oder gleichwertiger Ebene in allen Eurostaaten bis zum Ende des Jahres 2012 beschlossen” wurde.

Weiterhin werden in dem Schreiben auch nochmals die Sonderrolle der derzeitigen Lösungsansätze in der griechischen Schuldenkrise betont, die im März 2011 beschlossenen kollektiven Handlungsklauseln (Collective Action Claudes, CACs) als Verfahrensregeln hervorgehoben und zuletzt der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) erwähnt, der in einem Passus vorsehe, sich bei der Beteiligung des privaten Sektors an die “bewährten Grundsätze und Verfahren des Internationalen Währungsfonds” zu halten.

Wir von erlassjahr.de möchten dazu festhalten, dass eine Schuldenbremse nicht einem fairen und transparenten Verfahren zur Regelung staatlicher Insolvenzen entspricht.

Etwas vermeiden, das bereits geschehen ist

Kann man ausschließen, dass etwas passiert indem man versucht, es zukünftig zu vermeiden? Und noch einen Schritt weiter gedacht: Welchen Sinn macht es, wenn man als Reaktion auf etwas, das bereits passiert ist, beschließt, es in Zukunft zu bremsen?

Genau diese beiden Dinge sind es, die Frau Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Nicolas Sarkozy sich auf ihrem Sondertreffen vorgenommen haben. Statt konkrete Lösungswege aus der Krise zu beschreiten, wollen die beiden die Krise lösen, indem sie ein Regime zur Vermeidung der Krise etablieren. Kann das gut gehen?

Wohl eher weniger – mal ganz abgesehen davon, dass es Regierungen sind, die stärker kontrolliert und sanktioniert, kurz reguliert, werden sollen und die Banken noch immer aus der Gleichung herausgelassen werden, ist die Vermeidung zukünftiger Schuldenkrisen doch nur eine Hälfte der Lösung, wie auch immer diese Hälfte dann in Zukunft gestaltet werden soll. Die andere Hälfte muss sich doch daneben dann auch mit der Möglichkeit befassen, wie man in Zukunft mit Krisen – übrigens auch außerhalb der Europäischen Union – umgehen könnte in denen die (Schulden-)Bremse (sofern sie denn eingebaut ist) versagt. Es also tatsächlich zu einer Staateninsolvenz kommt.

Sicher, mag man einwenden, geht es in der aktuellen Situation vor allem und vordringlich darum, das Vertrauen der Märkte wiederherzustellen, aber eigentlich muss man dann einsehen, dass genau das wieder einmal einen Schritt zu kurz gedacht ist – und eine Umsetzung eines transparenten und fairen Insolvenzverfahrens für Staaten noch immer nicht stattfindet.

Bild: Gerd Altmann / pixelio.de

Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgens auf und Ihnen fehlt das Verständnis

Was derzeit passiert ist echt zum Haare raufen oder aus der Haut fahren, vielleicht sogar beides: Europa, die USA, die Weltgemeinschaft insgesamt haben es versäumt aus den Ereignissen der letzten dreißig Jahre die richtigen Schlüsse zu ziehen. Man mag jetzt sagen, dass Argentinien weit weg ist, Mexiko irgendwie auch, die Länder Afrikas ohnehin und sowieso, aber selbst als die Schuldenkrise an der europäischen Haustür klopfte, machte zunächst niemand auf, dann wurden Symptome behandelt, keine Ursachen. Griechenland, wie viele andere schuldengeplagte Länder ist, auch  geschichtlich gesehen, kein Einzelfall, wurde aber als solcher behandelt. Die Möglichkeit von Staatsbankrotten ist aber keine Überraschung. Wenn erlassjahr.de von der griechischen Schuldenkrise berichtet, dann tun wir das, um zu zeigen, dass Schulden und die sozialen Konsequenzen von Schulden nicht nur ein Phänomen in Entwicklungsländern sind, das staatliche Insolvenz jedes Land treffen könnte und letztlich ganze Wirtschaftsräume destabilisiert. Die Konsequenzen sind zwar, wie eigentlich immer, für die Bevölkerungen der ärmeren Länder am bedrohlichsten, Sparprogramme werden aber immer auf dem Rücken der Einwohner eines Landes ausgetragen und fast immer sind es vor allem soziale Leistungen, die darunter leiden. Man sollte meinen, dass diese Vision und die Nähe der Schuldenkrise in Europa für Aufmerksamkeit sorgt, vielleicht sogar für Veränderung.

Die Krise kann  niemanden unvorbereitet getroffen haben. Dennoch lesen sich die Reaktionen immer so, als hätte man es mit singulären Ereignissen zu tun. Es wird meist ein Schuldiger gesucht, zur Ordnung gerufen und es werden Sonderzahlungen mobilisiert, derzeit Politiker aus dem verdienten Urlaub geholt, man spricht dabei im allgemeinen immer von einem “Kraftakt”.

Damit zurück zum mir die Haare raufen: Weshalb, ist meine Frage, wird statt des nächsten Notfallpakets oder des nächsten Sondergipfels nicht ein System geschaffen, das eine Regelung, am besten eine Instituionalisierung, solcher Fälle vorsieht, und zwar weltweit? Zu gleichen Bedingungen, einem neutralen Schiedsrichter und mit einem Mitspracherecht für die jeweils betroffenen Länder. Auch diese Idee ist keineswegs neu – und sie wird, damit kommt man dann endgültig in den Bereich des Paradoxen, sogar international unterstützt. Ein solches Verfahren bedeutet zwar nicht automatisch, dass Staaten sich nie wieder überschulden werden oder in finanzielle Schieflache geraten können, zumindest steigen aber die Chancen erheblich, dass als Ergebnis eines solchen Prozesses eine Einigung steht, die die Interessen der betroffenen Gesellschaften in stärkerem Maße berücksichtigt.

Nächster Akt in der Rettung Griechenlands: ein qualitativer Fortschritt

Der gestrige Beschluss auf dem Sondergipfel der Europäischen Union zur griechischen Finanzkrise, wenngleich kein Quantensprung, ist doch ein qualitativer Fortschritt, vor allem hinsichtlich der Beteiligung des Privatsektors an dem Vorgehen. Der vorgesehene Haircut durch eine Laufzeitverlängerung zu geringeren Zinssätzen entspricht dem Vorgehen nach dem sogenannten Brady-Plan in den 80er Jahren: effektiv werden Sicherheiten gegen Forderungsvolumen getauscht. Abhängig von der Beschaffenheit des Haircuts und den damit verbundenen Zinssätzen könnte der Prozess für die Banken ein Schnäppchen werden, die abgesicherten Bonds könnten ein gutes Geschäft werden. Es gibt allerdings zu kritisieren, dass sich das Fehlen eines Zwangsumtausches, also einem Verbindlichen Tausches der Anleihen zu einem bestimmten Zeitpunkt, als teurer herausstellen wird als nötig. Durch die Freiwilligkeit des Tausches könnte ein Anreiz für die Banken geschaffen werden die Anleihen zunächst zu behalten, durch einen späteren Verkauf   auf eine Wertsteigerung zu warten und die gut gesicherten Anleihen dann gegebenenfalls sogar bis zu ihrem Nominalwert loszuwerden.

Weiteres zum Thema “Griechenland in der Schuldenkrise” auf der Internetseite von erlassjahr.de

Kanzlerin Merkel: für oder gegen einen Schuldenschnitt in Griechenland?

Wer die Bundeskanzlerin am Wochenende im ARD-Sommerinterview gesehen hat, hat zwar gehört, wie sie über diese Frage gesprochen hat. Was sie aber tatsächlich will – und in den EU-Gremien betreiben wird – weiss man auch hinterher nicht. Einerseits spricht sie sich in gewohnter Manier – und im Sinne ihres Finanzministers – für die Beteiligung des Privatsektors aus. Andererseits lehnt sie einen Schuldenschnitt ab. Wie Pelz Waschen und trocken Bleiben zusammen gehen sollen, konnte sie logischerweise nicht erklären.

Merkel bleibt damit nicht nur hinter praktisch allen ernstzunehmenden Ökonomen zurück, die in Deutschland wie international einen schnellen und weit reichenden Schnitt für Griechenland fordern, bevor die Krise noch teurer wird und noch mehr Schulden beim öffentlichen Sektor abgeladen werden. Sie steht auch im Widerspruch zur Kern-Klientele der Union. Sogar der Präsident des Verbandes der Familienunternehmer Lutz Goebel sagte im Interview mit der FTD am 12. Juli, auf die Frage, was er von der Politik fordere: “Den baldigen Schuldenschnitt. Alles andere verlängert die Krise nur. (…) die Rettung mit immer mehr Geld verschlimmert das Problem nur. (…) Außerdem hoffe ich, dass die europäische Politik einen Plan B so weit entwickelt hat, dass an einem Wochenende X umgeschuldet werden kann. Und der ungeordnete Konkurs nicht eintritt.”

Ach könnte doch auch die Kanzlerin sich nur ein einziges Mal so klar und eindeutig ausdrücken!

Die Medien und die Schuldenkrise

Eine kritische Auseinandersetzung der deutschen Medien mit den vorgeschlagenen Lösungen zur derzeitigen europäischen Schuldenkrise sucht man bisweilen vergeblich.

Es sind hauptsächlich die Politiker, denen in der Erklärung der aktuellen Situation das Wort überlassen wird. Die Frage ist, ob dieses Meinungsbild ausreicht, um für ausreichende Aufklärung der Öffentlichkeit zu sorgen, oder ob es dann vielleicht doch einer Pluralität an Meinungen und Expertise bedürfte, um mögliche Auswege und mit ihnen verbundene Kosten und Nutzen zu beleuchten?

Was wieder einmal völlig ausgeblendet wird, beinahe könnte man sich daran gewöhnen, ist die Stimme der Zivilgesellschaft aus ganz Europa im öffentlichen Diskurs: Leser dieser Seiten werden wissen, dass nicht nur erlassjahr.de um faire und transparente Regelungen zu staatlichen Schuldenkrisen kämpft, sondern ein ganzes europäisches Netzwerk aktiv an der Umsetzung von Entschuldungsmechanismen arbeitet.

Das Griechenland aus der “klassischen” Zielgruppe von erlassjahr.de scheinbar dadurch herausfällt, dass es ein Mitglied der Europäischen Union und nicht Entwicklungs- oder Schwellenland ist, spielt dabei weniger eine Rolle, als die Tatsache, dass jene Mechanismen ohne Zweifel auch auf die aktuelle Situation in Europa anzuwenden wären.

Auch wenn die Politik die zivilgesellschaftlichen Ideen staatlicher Insolvenzverfahren inzwischen zu einem größeren Teil aufgegriffen hat, bedarf es noch immer einer sachgerechten Analyse, die aktuelle Geschehnisse in den wissenschaftlichen und ökonomischen Kontext stellt, in den sie gehören. Nur daraus lässt sich der konkrete Handlungsbedarf ableiten und auch vorantreiben.