Papst Franziskus fordert Staateninsolvenzverfahren

„Wenn ein Unternehmen in die Insolvenz gehen kann, warum hat ein Staat diese Möglichkeit nicht?“, fragte Papst Franziskus zum Abschluss seiner Lateinamerikareise in diesem Sommer.

Papst Franziskus
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Dabei bezog er sich ausdrücklich auf die schwierige Situation Griechenlands und die Bemühungen in den Vereinten Nationen um ein Staateninsolvenzverfahren. Letztere könnten seiner Meinung nach zu einer Lösung von Staatsschuldenkrisen führen. Dazu ist jedoch wichtig, dass die am 10. September 2015 in der UN Generalsversammlung verabschiedeten Prinzipien zur Lösung von Staatsschuldenkrisen auch angewendet werden.

Als Argentinier weiß Papst Franziskus, dass die Überschuldung von Staaten zur Armut und Ungleichheit führen kann.

Fauler Griechenland-Kompromiss: Privatisierungsfonds anstatt Schuldenschnitt

Am Montag wurde der Öffentlichkeit ein “Kompromiss” für ein neues sogenanntes Rettungspaket für Griechenland vorgestellt. Neben verschiedenen Reformen und Sparmaßnahmen wurde die Idee der Einrichtung einer Art Treuhandfonds vorgestellt. In diesen Fonds sollen griechische Staatsbesitztümer überführt und privatisiert werden. Nach bisherigen Angaben soll der Fonds über ein Gesamtvolumen von 50 Milliarden verfügen. 25 Milliarden Euro sollen dazu dienen, die Mittel zur Rekapitalisierung der Banken zurückzuzahlen. 12,5 Milliarden Euro sollen für Investitionen in die griechische Wirtschaft verwendet werden und die restlichen 12,5 Milliarden Euro für die Verringerung der Schuldenquote. Das ist also die glorreiche Alternative zu einem tiefgreifenden Schuldenschnitt, den selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) erst kürzlich als einzigen Weg zurück zur SchuldentPrivatisierungragfähigkeit benannt hat (und zur Bedingung seiner weiteren Beteiligung gemacht hat).

Interessant ist, dass der IWF in der aktuellsten Schuldentragfähigkeitsanalyse für Griechenland vom 26. Juni 2015 ziemlich deutlich zeigt, dass es realitätsfern ist, zu glauben, man bekäme auch nur die 12,5 Milliarden für die Tilgung der ESM-Schulden im geplanten Zeitraum zusammen (geschweige denn 50 Milliarden Euro). Privatisierungen waren auch in den vorigen “Rettungsprogrammen” Teil des jeweiligen Maßnahmenpakets. Drei Mal mussten die Prognosen zu den Privatisierungserlösen nach unten korrigiert werden, im Juni nun ein viertes Mal. Die IWF-Mitarbeiter/innen halten mittlerweile einen Erlös von nicht mehr als jährlich 500 Millionen Euro für realistisch. Die völlig utopischen Annahmen der letzten Jahre hat der IWF in einer sehr eindrücklichen Grafik (siehe oben) dargestellt.

In jeder Zeitung können potentielle Käufer im Moment nachlesen, dass Griechenland dringend Geld braucht. Zu glauben, man bekäme in einer solchen Situation angemessene Erlöse für griechisches Staatseigentum, mit denen man sowohl die griechische Wirtschaft auf Vordermann bringen als auch die Schuldenquote verringern kann, ist schlichtweg dumm.

 

 

 

 

 

 

 

Investitionsschiedsgerichtsverfahren als lukratives Geschäftsmodell

Internationale Freihandels- und Investmentabkommen sind im Moment ein heiß diskutiertes Thema der Wirtschafts-, aber auch Entwicklungspolitik, vor allem durch die Verhandlungen im Rahmen des Transatlantic Trade and Investment Partnership – kurz TTIP – zwischen Europa und den USA. Mit Staatsschuldenkrisen hat man das alles bislang nicht unbedingt in Verbindung gebracht.

Die Studie „Von der Krise profitieren – wie Konzerne und Kanzleien in Europas Krisenländern Gewinne ergattern wollen“ von Transnational Institute (TNI) und Corporate Europe Observatory (CEO) zeigt anschaulich, wie Konzerne und Hedgefonds mit Hilfe von Anwaltskanzleien Investitionsabkommen nutzen, um Regierungen von Krisenländern vor Schiedsgerichten zu verklagen. Sie klagen gegen notwendige Maßnahmen, die die Staaten zur Bekämpfung von Schulden- und Wirtschaftskrisen eingesetzt haben, die jedoch den Profit der Konzerne geschmälert haben. So können Privatgläubiger auf perverse Art und Weise eigentlich sinnvolle Regeln im Rahmen von Investitionsabkommen für sich ausnutzen. So besagt eine der Regeln, dass Investoren ein Recht auf stabile und vorhersehbare wirtschaftliche Rahmenbedingungen in dem Land haben, in dem sie investieren. Privatgläubiger können dies laut TNI und CEO für sich so auslegen, dass eine notwendig gewordene Schuldenrestrukturierung oder Austeritätspolitik die legitimen und zuvor kalkulierten Erwartungen auf die Rendite durch Kreditvergabe zerstört haben. Eine andere Regel dient dem Schutz gegen Enteignung. Umschuldungsmaßnahmen können als indirekte Enteignung ausgelegt werden, da sie den Wert der Anlage mindern.

Argentinien wurde zum Beispiel von 60.000 Anleihegläubigern aufgrund seiner Maßnahmen im Rahmen der Staatsschulden- und Wirtschaftskrise im Jahr 2001 auf Basis eines Investitionsabkommens verklagt, obwohl das Land ohne diese Maßnahmen ins totale Chaos gestürzt wäre. Die Anklage lautet dabei auf Zwangsenteignung. Die Frage ob Anleihegläubiger ohne direkte wirtschaftliche Tätigkeit in Argentinien wirklich als Investoren gelten dürfen, bejahten zwei von drei Schiedsrichtern, so dass der Fall angenommen wurde.

Noch anschaulicher zeigt sich in Griechenland, wie Investitionsabkommen unverantwortliche und profitgierige Akteure schützen. Während oft kritisiert wurde, wie die Krisenfinanzierung dazu geführt hat, dass Privatgläubiger das Risiko ihrer Investition nicht tragen mussten und die Lasten der Krise sozialisiert wurden, gibt es noch einen anderen Weg, wie vor allem Spekulanten auf ihren Profit nicht verzichten müssen, auch wenn sich das Risiko am Ende nicht ausgezahlt hat. So gab es eine slowakische Bank, die griechische Schulden in der Krise billig aufkaufte und auf die Rückzahlung spekulierte – zu einem Zeitpunkt als die Anleihen bereits herabgestuft waren und damit bereits klar war, dass diese Transaktion eine extrem risikoreiche ist. Als es 2012 zur Umschuldung kam, weigerte sich die Bank, an dem Deal teilzunehmen und verklagte das Land vor dem Schiedsgericht des International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID), mit der Begründung, dass sie viel Geld durch die erzwungene Umschuldung verloren habe, und Griechenland seinen Pflichten im Rahmen des bilateralen Investitionsabkommens zwischen der Slowakei und Griechenland nicht nachgekommen sei. Obwohl auch hier die Bezeichnung „Investition“ äußerst fraglich ist, wird der Fall tatsächlich angehört. Dabei kommt hinzu, dass die Schuldenrestrukturierung eine Auflage des Troika-Hilfspakets gewesen ist – also nicht alleine eine „mutwillige“ Entscheidung der griechischen Regierung.

Ebenfalls in Griechenland hat eine andere skandalöse Praxis Früchte getragen: Anwaltskanzleien raten Investoren, die Androhung von Gerichtsverfahren vor Investitions-Schiedsgerichten als Verhandlungswerkzeug mit Regierungen in Schuldenrestrukturierungen zu nutzen. Der Geierfonds Dart Management and Elliot Associates wurde von Griechenland ausbezahlt aus Angst vor einem teuren und langwierigen Rechtsstreit vor einem ICSID-Schiedsgericht und der negativen öffentlichen Aufmerksamkeit.

Für die Autoren der Studie ist klar, dass investment arbitration ein lukratives Geschäftsmodell sowohl für Unternehmen als auch für Anwaltskanzleien und Schiedsrichter geworden ist. Die Schiedsrichter in derartigen Schiedsverfahren würden dabei vor allem finanziellen Interessenskonflikten unterliegen. Die oben genannten Fälle in Argentinien und Griechenland laufen noch, so dass nicht klar ist, ob im Falle einer Staatsinsolvenz solche Klagen auf Basis von Investitionsabkommen wirklich Erfolg haben. Doch die Autoren zeigen, dass bislang das Modell für Konzerne im Allgemeinen ein erfolgreiches war: So wurden 15 von 55 Klagen gegen Argentinien im Rahmen von internationalen Investitionsabkommen zugunsten des Investors entschieden, nur drei für Argentinien. Drei Viertel dieser Klagen sollen dabei von den Rettungsmaßnahmen durch die argentinische Regierung im Rahmen der Schulden- und Wirtschaftskrise herrühren. Für uns zeigt sich erneut, wie dringlich ein faires und transparentes Staateninsolvenzverfahren erforderlich ist.

Der IWF mag nicht am Katzentisch sitzen – Neuauflage des SDRM

Bald 12 Jahre ist es her, als die Direktorin des Internationalen Währungsfonds im Kontext der sich abzeichnenden Argentinienpleite einen Vorschlag für eine Art geordnetes Staateninsolvenzverfahren machte. Die Arbeit daran wurde auf Druck der US-Regierung schnell wieder eingestellt. Ein wenig schicksalsträchtig, dass die alte Idee des “Sovereign Debt Restructuring Mechanism” (SDRM) im Kontext der Diskussion um den “Jahrhundertprozess” in New York zwischen Geierfonds NML Capital und Argentinien (siehe weiter unten Beitrag im Blog) um Forderungen aus der Pleite 2001 nun wieder aus der Schublade geholt wurde.

Auch wenn damals einige Elemente des SDRM alles andere als ausgereift waren, so war es doch ein Vorschlag eines geordneten Verfahrens, welches heute eine ungeordnete Insolvenz wie im Falle Griechenlands hätte verhindern können. Eine Neubelebung der Diskussion um den SDRM, welche die internationale Debatte um die Lücke in der internationalen Finanzarchitektur hinsichtlich des Umgangs mit Staatspleiten weiter entfachen kann, scheint also gerade richtig, auch angesichts der verschleppten Krise in Europa.

Damit steht der IWF international in der Diskussion um ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren nicht allein: so startete Beginn des Jahres eine Arbeitsgruppe der UN Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) mit der inhaltlichen Arbeit zu einem “sovereign debt workout” – was übrigens auch eine Gelegenheit für die Bundesregierung ist, die inhaltliche Arbeit zu einem internationalen Insolvenzverfahren weiter zu führen, die im Kontext der europapolitischen Debatte erst einmal untergegangen ist. erlassjahr.de ist zusammen mit unserem europäischen Dachnetzwerk EURODAD und unseren US-amerikanischen Kollegen Jubilee USA auf der zivilgesellschaftlichen Seite in der Expertengruppe vertreten.

Allerdings ist es ein wenig unglücklich, dass der IWF (laut Financial Times) im Laufe dieser Woche seinen fertigen Vorschlag bereits veröffentlichen möchte und die Arbeitsgruppe der UNCTAD noch ganz am Anfang steht. Damit kommt der IWF der UNCTAD mit einer klaren öffentlichen Positionierung zum Umgang mit Staatspleiten zuvor, was die Gefahr mit sich bringt, dass der IWF mit seinem Vorschlag die internationale Debatte möglicherweise dominieren wird. Etwas, was sich die Zivilgesellschaft nicht unbedingt erhofft.

Auf www.erlassjahr.de werden wir den Vorschlag des IWF und seine möglichen Konsequenzen für die internationale Debatte um geordnete Regeln im Umgang mit Staatspleiten genauer analysieren, sobald das Papier veröffentlicht ist.

Aus der Geschichte lernen – wie Griechenland und Pakistan Deutschland die Schulden erließen

Die Überschuldung von Staaten, die lange als ein Problem von afrikanischen oder lateinamerikanischen Entwicklungsländern gesehen wurde, ist nun auch vor unserer Haustür angekommen. Der finanzielle Notstand als Folge von Überschuldung bedroht inzwischen sogar die Europäische Währungsunion.

Der politische und soziale Zusammenbruch in den krisengeschüttelten Ländern bedroht deren Sozialgefüge. Deutschland scheint die Krise nichts anhaben zu können, angesichts der starken und florierenden Wirtschaft. Allerdings war dies nicht immer so.

Nicht viele Menschen in unserem Land wissen, dass am Anfang unseres „Wirtschaftswunders“ auch ein großzügiger Schuldenerlass unserer damaligen Gläubiger stand. Im „Londoner Schuldenabkommen“, dessen Unterzeichnung sich am 27. Februar 2013 zum 60. mal jährt, wurden der jungen Bundesrepublik rund die Hälfte der damaligen Vor- und Nachkriegsschulden erlassen. Der Rest wurde so intelligent umgeschuldet, dass unser Land seither kein Schuldenproblem mehr hatte.

Im Geschichtsunterricht hören unsere Kinder im Allgemeinen nichts von dem Abkommen, und auch in den Medien ist selten davon die Rede. Dabei wäre es gut, sich daran zu erinnern, wie damals eine drohende Staatspleite zeitig und schnell durch Verhandlungen gelöst wurde.

Der Unterschied zwischen dem früheren Umgang mit Deutschland und dem aktuellen Umgang mit Griechenland könnte nicht größer sein. Deutschland hatte einen weitreichenden Schuldenerlass bekommen und als Folge wuchs die Wirtschaft schnell und nachhaltig. Griechenland im Gegensatz wird dazu gezwungen sich in eine schmerzhafte und schädliche Rezession zu „sanieren“, die die Grundfesten der Gesellschaft erschüttert. Einer der großzügigen Gläubiger im Jahr 1953 war im übrigen Griechenland – ungeachtet aller Verbrechen, die die deutschen Besatzungstruppen nur wenige Jahre zuvor in Griechenland begangen hatten.

Nur wenige Schuldenlösungen haben den Übergang von einem kritisch verschuldeten Staat zu einer Situation, wo Schulden kein Problem mehr für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung darstellen, so deutlich gemacht, wie die von 1953. Das Abkommen ist noch immer eins der besten Beispiele dafür, wie vernünftig und nachhaltig eine Schuldenlösung aussehen kann – wenn ein politischer Wille da ist.

Das Londoner Schuldenabkommen von 1953 verdient es heute als ein Beispiel und als Anregung für die aktuellen Diskussionen über Schuldenerlasse – sowohl für die Länder des globalen Südens als auch im Kontext der Staateninsolvenzkrise in der Eurozone – wieder betrachtet zu werden. Lasst uns an dieses wichtige Stück lange vergessener Geschichte neu erinnern. Und lasst uns gemeinsam für den fairen, rechtzeitigen und menschenwürdigen Umgang mit überschuldeten Staaten einstehen.

 

Kristina Rehbein und Jürgen Kaiser, erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung e.V. (Deutschland)

Isabel Castro, Iniciativa de Auditoria Cidadã à Divida Pública – IAC (Portugal)

Eric LeCompte, Jubilee USA Network (USA)

Iolanda Fresnillo, Plataforma Auditoria Ciudadana de la Deuda – PACD (Spanien)

Bodo Ellmers, European Network on Debt and Development (Belgien)

Nessa Ní Chasaide, Debt and Development Coalition and Andy Storey, Debt Justice Action’s Anglo: Not Our Debt (Irland)

Nick Dearden, Jubilee Debt Campaign (Vereintes Königreich)

Ein gelungener Start ins Jahr – internationales Strategietreffen in Berlin

Am 07.01.2013 startete erlassjahr.de das neue Jahr mit einem diskussionsreichen Tag in Berlin. Es kamen Aktive aus der ganzen Welt zusammen – aus dem erlassjahr.de-Bündnis, aus dem internationalen Netzwerk „Defuse the Debt Crisis“, Rechtsexperten und Beteiligte aus dem öffentlichen Sektor. Das bunte Gemisch diskutierte zu Strategien für einen globalen Reformprozess zu FTAP.

Der Vormittag diente als globales Strategietreffen, welches an das letzte Treffen im Juni 2012 in Johannesburg anschloss. Der Nachmittag wurde als Art informeller „Roundtable“ zum globalen Reformprozess im Hinblick auf den Umgang mit überschuldeten Staaten, mit Beteiligung aus dem Finanzministerium, der deutschen Bundesbank und der Botschaft von El Salvador veranstaltet. Konkret wurde der Tag um die Anwesenheit vom Rechtsexperten Prof. Ross Buckley organisiert, der nicht nur unserer Schwesterkampagne Jubilee Australia gut vertraut ist, sondern auch die australische Regierung im Hinblick auf die G20-Präsidentschaft in 2014 berät.

Für uns bedeutete die Anwesenheit von Ross Buckley daher wertvolle Hinweise für unsere G20-Planungen. Dazu kam, dass das ehemalige Bündnisratsmitglied Peter Lanzet in Moskau am zivilgesellschaftlichen Dialog mit der russischen G20-Präsidentschaft im Dezember teilgenommen hat. Damit erhielten wir wertvolle Einblicke aus erster Hand vom G20-Prozess in Russland.

Das Thema „sovereign debt management“ stößt in der russischen Regierung auf Interesse, bislang allerdings eher in technischer Hinsicht. In Australien wird es vor dem G20-Gipfel einen Regierungswechsel geben – mit Wahrscheinlichkeit hin zu einer konservativeren Regierung – was die Aussichten, das Thema der Notwendigkeit eines Reformprozesses auf die G20-Agenda zu bekommen, verschlechtert. Auch haben die Australier wenig Interesse an der Eurokrise – sie schauen viel eher nach Asien.

Auch konzeptionelle Dinge wurden diskutiert: so z.B., wie in einem umfassenden Verfahren mit dem dem “Preferred Creditor Status” der Internationalen Finanzinstitutionen umzugehen sei. Interessant, dass es diesen Status rechtlich gar nicht gibt. Im Rahmen eines FTAP macht es grundsätzlich mehr Sinn, neue Finanzierungen und eventuell auch neuere Financiers, die helfen, das Schuldnerland in der Krise über Wasser zu halten, mit so einem Status auszustatten, als grundsätzlich bestimmte Gläubiger zu privilegieren.

Durch die doch eher konzeptionelle Diskussion im zweiten Teil der Veranstaltung war es nur am Rande möglich, gemeinsame Strategien zu entwickeln. Vielmehr gab das Treffen jedoch erste Eindrücke für die Planungen vor allem hinsichtlich der Weiterarbeit zu G20.

Ein Insolvenzverfahren für Länder wie Simbabwe? So sieht's aus!

Der Begriff “ZIMulation” geisterte seit knapp einem Jahr durch die Räume von erlassjahr.de und hat sicher die ein oder andere schlaflose Nacht verursacht. Eine kleine Arbeitsgruppe hat sich letztes Jahr im Oktober aufgemacht der Welt zu zeigen, dass die vorgeschlagenen Alternativen zum existierenden gläubigerdominierten Schuldenmanagement nicht nur abstrakte Buchstaben auf dem Papier sind, sondern dass eine Alternative durchaus auch praktisch plausibel aussehen kann.

„ZIMulation“ steht für Simulation eines Schuldenschiedsverfahrens am aktuell kritischen Länderfall Zimbabwe. Einen „step-by-step-Guide“ gab es ja schon: so hatte Jürgen Kaiser im Rahmen der Studie „Resolving Sovereign Debt Crises“ konkretisiert, wie für Land X die Schritte eines Schuldenschiedsverfahrens aussehen könnten und was Finanzminister X dafür tun muss. Allerdings fehlt auch einem konkreten step-by-step-Guide das Bindemittel zwischen abstrakt und praktisch plausibel – die Geschichte. Die FTAP-AG hat das X in eine Geschichte übersetzt. Warum gerade Simbabwe?

Simbabwe ist seit knapp 12 Jahren insolvent. Im Jahr 2000 stellte das Land die Schuldendienstzahlungen an seine Gläubiger ein. Heute, im Jahr 2012 hat Simbabwe einen Schuldenstand in Höhe von 10,7 Milliarden US Dollar. Mehr als 6 Milliarden US Dollar sind davon schon lange im Rückstand. Der Schuldenstand steigt immer weiter, da auf die bereits bestehenden uneinbringlichen Schulden Zinsen fallen, die dann ebenfalls zu uneinbringlichen Schulden werden.

Simbabwe lebt damit in einer Phantomschuldenwelt, Schulden, die laut dem Ökonomen Kunibert Raffer eigentlich nicht real sind. Doch für den Schuldner haben sie ganz reale Konsequenzen: das Land ist von Neufinanzierungen abgeschnitten, Investitionen bleiben aus und selbst private Unternehmen in Simbabwe erhalten aus dem Ausland kein Geld mehr. Simbabwes Schulden sind Phantomschulden – sie entbehren jeder realen Grundlage tatsächlich je ab bezahlt zu werden, auch wenn Finanzminister Tendai Biti dies ungern zugibt, wenn er die simbabwischen Ressourcen für die Lösung verspricht.

Einzige reale Option scheint der Gang zum Pariser Club oder wahrscheinlicher noch die Aufnahme in die multilaterale HIPC-Initiative. Allerdings ist Simbabwe dafür eigentlich gar nicht zugelassen – zu Zeiten der Länderklassifizierung war Simbabwe nicht arm genug für die Initiative. Heute ist es das Land bestimmt – die Gläubiger erklären sich daher grundsätzlich bereit, Simbabwe rückwirkend zum Jahr 2004 als arm zu klassifizieren, wenn Simbabwe das Global Political Agreement (GPA) erfolgreich umsetzt. Das GPA ist eine Art Koalitionsvertrag der simbabwischen Einheitsregierung. Für den westlichen Gläubiger ist hinsichtlich der erfolgreichen Umsetzung des GPA vor allem die Durchführung demokratischer Wahlen gemeint.

Im Jahr 2013 könnte es also so weit sein: Simbabwe bekommt einen Teil seiner Schulden unter HIPC gestrichen. So einfach ist es nicht: Simbabwe muss vorher seine Zahlungsrückstände an die multilateralen Finanzinstitutionen ab bezahlen, sonst darf das Land nicht rein. Das sind etwas mehr als 1 Milliarde US Dollar; Simbabwe jährliches Budget liegt bei ca. 2,9 Milliarden US Dollar.

Müssen wohl wieder neue Schulden her, um die alten zu bezahlen, denn einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen. Gutes Geld wird also schlechtem hinterher geworfen; was das für einen bereits bankrotten Staat bedeutet sieht man jüngst in Griechenland. Brauchen tut das Land dringend mehr als 45 Milliarden Milliarden US Dollar auf die nächsten 10 Jahre gesehen, nur um wirtschaftlichen Wiederaufbau zu leisten.

Der HIPC-Prozess dauert allerdings mindestens drei Jahre bevor es zum vollständig vereinbarten Schuldenerlass kommt, so lange müsste Simbabwe dann wohl noch warten. Zudem geht HIPC mit IWF-konformen wirtschaftspolitischen Konditionalitäten einher, was besonders der Zivilgesellschaft in Simbabwe schlaflose Nächte bereitet, denn die ESAP-Zeiten sind nur zu gut in Erinnerung geblieben. Außerdem scheint die Vermischung eines logischerweise langwierigen Reformprozesses mit einem dringend benötigten Schuldenerlass sicher nicht als der ökonomisch sinnvollste Weg für Simbabwe aus der Schuldenkrise.

All dies macht deutlich, warum ein unparteiisches, umfassendes und zeitiges Schiedsverfahren für Simbabwe eine dringend notwendige Alternative zu Pariser Club und Co. ist. Wie ein fairer Interessenausgleich zwischen Simbabwe und seinen Gläubigern nun im Einzelnen aussehen könnte, das versucht die Simulation darzustellen; von der Insolvenzerklärung über finanzielle und politische Unterstützung durch eine „Friends Group“ bis hin zur eigentlichen Arbeit eines eingesetzten Panels. Wie könnte ein Panel überhaupt “ausgewählt” werden? Mit welchen Kosten müssten die Parteien bei so einem Verfahren rechnen und wie könnten diese finanziert werden? Wie kann Simbabwe wirklich alle Gläubiger über die bevorstehende Insolvenz benachrichtigen? Wie kann ein tragfähiges Schuldenniveau festgelegt werden?

Bei der Darstellung der einzelnen Schritte werden – wo angebracht – mögliche Szenarien für Simbabwe dargelegt, so z.B. die Einwerbung SADCs (“Southern African Development Community”) für vor allem politische Unterstützung des Schuldenschiedsprozesses, ob und wie einzelne Kredite Simbabwes als illegitim erklärt werden könnten und wie die zivilgesellschaftliche Beteiligung am Prozess speziell in Simbabwe aussehen könnte. Der Vollständigkeit halber sei dazu gesagt, dass der in der Simulation beschriebene Ablauf bloß ein Vorschlag ist. Ein zukünftiges faires und transparentes Staateninsolvenzverfahren muss natürlich nicht eins zu eins nach dem beschriebenen Schema ablaufen.

Wer also schon immer mal wissen wollte, wie ein internationales Insolvenzverfahren im beinahe kleinstem Detail aussehen könnte, der möge sich das knapp 50-seitige Dokument von unserer Länderinformationsseite hier herunterladen.

erlassjahr.de auf Basis-Tour

„Raus aus dem Euro mit Griechenland, dann ist die Krise doch gelöst!“

Die griechische Tragödie, die eigentlich eine europäische, wenn nicht globale ist, wirft seit 18 Monaten unentwegt Fragen auf, klärt diese, entdeckt doch wieder andere. Die Politik sagt mal A, tut aber doch eigentlich B und kommt dann aus bei C, wo sie wieder von vorn beginnt.

„Wenn Griechenland pleite geht, gehen dann nicht auch Spanien, Italien und Portugal pleite?“

Für ein Bündnis wie erlassjahr.de und die Menschen in Europa war das Jahr 2011 ein höchst brisantes: die in Entwicklungsländern bereits seit dreißig Jahren erlebte, bekämpfte und weiterhin drohende „Schuldenkrise“ wirbelt nun vor der eigenen Haustür in Europa. Seit April 2010, als der griechische Premierminister Papandreou öffentlich bekannt gab, dass Griechenland in Schwierigkeiten steckt, stürmen täglich wilde Spekulationen um Lösungsstrategien, unverständliche Begriffe aus der Makroökonomie und Streitereien um den Sündenbock für die Krise auf den hiesigen Zeitungsleser ein. Noch nie wurde in einer so kurzen Zeitspanne das Wort „Insolvenzverfahren“ im Kontext von Staatsverschuldung von so vielen unterschiedlichen Akteuren benutzt, wie in den letzten 19 Monaten.

„Wenn Länder in einem Insolvenzverfahren Schulden gestrichen bekommen, dann spart doch niemand mehr.“

Staatsverschuldung wurde beinahe über Nacht zum politischen, sozialen und kulturellen Schlachtfeld. Dabei sind Staatspleiten nichts Neues: nicht zuletzt Griechenland war 100 der letzten 200 Jahren zahlungsunfähig. Auch die Bekämpfung von Schuldenkrisen hat bereits eine lange Tradition, nicht zuletzt erprobt an vielen der sogenannten Entwicklungsländer, die sich seit 30 Jahren Strukturanpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds und Umschuldungen im sogenannten Pariser Club unterziehen.

„Reicht es nicht, wenn die Griechen ein paar Ihrer Inseln verkaufen, oder ihre Währungsreserven auflösen?“

erlassjahr.de hat im Jahr 2011 auf unterschiedliche Weise versucht, das emotional beladene Thema „Griechenlandbankrott“ zu entwirren: so durch Online-Materialien wie das ständig aktualisierte Fachinfo zur europäischen Schuldenkrise, tägliche Facebook-Beiträge, ein „Krisen-FAQ“, eine Presseschau, Radiointerviews, und öffentlichkeitswirksame Aktionen.

Lesen bildet bekanntlich, zuhören aber auch: so haben viele Mitträger erfreulicherweise darüber hinaus die Gelegenheit ergriffen, die Geschäftsstelle von erlassjahr.de anzuzapfen und sie das Thema Staatsschuldenkrise erklären zu lassen.

So trägt die Einbindung von erlassjahr.de z.B. in themenverwandte Veranstaltungen wie bei Studientagen zu verantwortlicher Kreditvergabe der Komplexität des Problems wie auch seiner Lösung Rechnung.

© Walter Freitag

Doch das Thema ist kein exklusives für akademische Studientage: auch zwischen   Fairem Kaffee und Bücherflohmarkt während des Sommerfestes in der St. Marien Gemeinde oder in der Garage beim Missionsfest im MSC-Mutterhaus in Münster fühlt sich das Thema heimisch. Ein Vortrag zur Griechenlandkrise vor dem Hintergrund der Schuldenkrise der Dritten Welt seit den 1980ern versüßte den monatlichen Gemeindenachmittag in Ohlsdorf-Fuhlsbüttel. Ein Infostand auf dem Eine-Welt-Konzert in Düsseldorf trifft auf diskutierfreudige Düsseldorfer.

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Auch die junge Generation von heute setzt sich immer kritischer mit Globalisierung, Schulden und Kapitalismus auseinander: so wurde erlassjahr.de und das Thema Schuldenkrise bei der Gestaltung des Politikunterrichts in Düsseldorfer Schulen oder bei Rückkehrer-Seminaren von wissbegierigen weltwärts-Freiwilligen eingebunden. Beim OpenOhr-Festival im sommerlichen Mainz schloss sich erlassjahr.de dem Festivalthema Geld (“Rien ne va plus – nichts geht mehr”) durch Flashmobs, Infostand und Podiumsdiskussionen an. Das Goldene Kalb, welches von einer Mainzer Schülergruppe “erschaffen” wurde, überlieferte dabei goldig, aber konsequent die Schieflage im momentanen Finanzsystem.

So bunt wie die Palette der Teilnehmer waren auch die Fragen, Diskussionen und Anliegen. Das Düsseldorfer Büro freut sich daher sehr, dass es im Rahmen von so unterschiedlichen Events einen Teil zur Aufklärung beitragen konnte.

Auch das eigentliche Anliegen erlassjahr.de’s – die Schuldenkrisen von Burundi & Co. trotz Griechenlandkrise nicht aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden zu lassen – kam bei den Veranstaltungen nicht zu kurz. Denn bei über einem Viertel der bereits entschuldeten Länder aus dem Süden liegt wieder ein hohes Überschuldungsrisiko vor. Einige Länder haben sogar ihren Risiko-Status trotz Entschuldung nicht mal zu einer besseren Kategorisierung hin verlassen können. Dabei sind die HIPC-Länder nur ein Bruchteil des „bigger picture“: hoch gefährdete kleine Inselstaaten beispielsweise haben keinen Zugang zur Entschuldungsinitiative, sind jedoch zum Teil bankrott oder auf dem besten Weg dorthin.

„In der Bundesregierung sitzen hochgebildete Politiker und Ökonomen. Wie kann es sein, dass sie bis heute offensichtlich keine Lösung gefunden haben?“

Wenn auch Sie eine Veranstaltung planen, fachlichen Input zum Thema benötigen, ein Thema für einen Gemeindenachmittag suchen o.ä. und Interesse an Referenten aus der Geschäftsstelle oder den erlassjahr-Gremien haben, melden Sie sich gerne unter buero@erlassjahr.de .

Erweiterung des Infoprogramms für Ländergruppen: Guinea-Bissau

Soeben haben wir unser Informationsprogramm für Länderinitiativen um eine informative Analyse zu Guinea-Bissau anlässlich der Entschuldung des Landes unter der HIPC-Initiative erweitert. Guinea-Bissau, gerade mal so groß wie Baden-Württemberg und ehemalig das höchst verschuldete Land überhaupt, erreichte im Dezember 2010 den „Completion Point“ und damit den endgültigen und dringend benötigten Schuldenerlass. Dabei hatte das kleine Land bereits im Jahr 2000 den „Decision Point“ und damit den Eintritt in die HIPC-Initiative erreicht.

Die 10-jährige, fatale Verzögerung des Schuldenerlasses lag dabei vor allem daran, dass das Land nicht in der Lage war, die nötigen Strukturreformen des IWF umzusetzen. Auch ist die seit Jahren instabile politische Lage im Land dafür verantwortlich.

Zwischen dem „Decision Point“ im Jahr 2000 und dem „Completion Point“ 2010 war das Land praktisch durchgängig zahlungsunfähig und von externer Finanzierung weitestgehend abgeschnitten. Investitionen in wirtschaftliche oder soziale Entwicklung blieben damit fast vollständig aus.

Trotz Schuldenerlass unter HIPC und MDRI und sogar einer gewährten Erhöhung des Schuldenerlasses ist die Verschuldungssituation von Guinea-Bissau aber auch in Zukunft kaum tragfähig und es besteht große Gefahr, dass Guinea-Bissau erneut in eine Überschuldungssituation und Zahlungsunfähigkeit rutscht.

Am Beispiel der “Entschuldungsgeschichte” Guinea-Bissaus wird im Weiteren der Vorteil eines zeitigen, umfassenden und fairen Schiedsverfahren deutlich.

Der gesamte Artikel steht auf der Internetseite von erlassjahr.de zum Download bereit.

Erklärbar auf Griechisch: Debtocracy zur Schuldenkrise in Griechenland

„Debtocracy“, eine Reportage zweier griechischer Journalisten von und für die griechische Öffentlichkeit, beschäftigt sich mit den Ursachen der griechischen Schuldenkrise und möglichen Lösungsansätzen, die die bisherige Politik nicht geliefert hat. Die Reportage, die unabhängig von Medieninstitutionen oder Politik gedreht und nur über das Internet verbreitet wurde, macht von Beginn bis zum Ende den wütenden „Standpunkt der Öffentlichkeit“ deutlich: Schuld an der Schuldenkrise sind Politik, gierige Wirtschaftsbosse und der Kapitalismus; das Modell der europäischen Union wird hinterfragt und der Staat soll zum Wohle seiner Bevölkerung Schulden zurückweisen können – so wie Ecuador oder Argentinien.

Die Parallelen zu der Schuldenkrise Argentiniens und dem Schuldenaudit Ecuadors sind dominant, wobei Argentinien für die Ungerechtigkeiten im aktuellen Griechenland („Versklavung“ durch den IWF) herhalten muss und die Parallele zu Ecuador eher aufzeigen soll, welchen Weg sich die Filmemacher wünschen. So nimmt die Glorifikation Correas (Präsident von Ecuador), der nicht nur die Verschuldung Ecuadors auf seine Legitimität hat prüfen lassen, sondern sich auch gegen seine Gläubiger gestellt und Schuldendienstzahlungen eingestellt hat, einen beachtlichen Teil des Films ein. Auch wird das Prinzip der Illegitimen Schulden und der Schuldenaudit in Ecuador in größtmöglicher Ausführlichkeit abgehandelt, um Schuldenaudits und damit verbunden Nichtbezahlen von Schulden als fehlenden Lösungsmechanismus der griechischen Schuldenkrise darzustellen.

Auch wenn der Film erfreulicherweise gleich zu Beginn deutlich macht, dass ein Staat bei Zahlungsunfähigkeit ein Recht haben muss, Schuldendienstzahlungen einzustellen oder Schulden zurück zu weisen, so bewegt sich der Fokus im Laufe des Films bedauerlicherweise recht einseitig hin zu der Ansicht, Schulden seien im allgemeinen illegitim und müssten vollständig zurückgewiesen werden, entstehen sie doch unter dem Paradigma des Neoliberalismus.

Audits zur Überprüfung der Legitimität von Schulden sind definitiv ein richtiger und wichtiger Schritt hin zur fairen Lösung einer Schuldenkrise und zur Einforderung von höherer Transparenz und Rechtsstaatlichkeit; das stellt der Film richtig dar. Jedoch sind Audits und die Zurückweisung jeglicher Schulden unter dem Mantel der Illegitimäts-Doktrin nicht DER fehlende Mechanismus um Schuldenkrisen fair für alle Beteiligten zu lösen. Es ist allenfalls ein (wichtiger) Teil eines geordneten, unabhängigen Verfahrens, welches eine Lösung herbeiführt, die für beide Seiten – Gläubiger- wie auch Schuldnerseite – tragbar ist.

Zu sehen ist der Film (mit deutschen Untertiteln) u.a. bei YouTube und auf http://www.debtocracy.gr/