IWF/Weltbank-Jahrestagung 2014: Der Kongress beim Essen Fassen

Der jährliche Auftrieb von Ministerialen, Zentralbankern, Geldadel und uns paar versprengten NROs findet in diesem Jahr wieder im Hauptquartier der beiden Institutionen in Washington statt. Unter den einigen tausend Teilnehmern gibt es alle Arten von Freund und

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Feind – beide meist gleichermaßen schwarzgewandet. Es gibt jede Menge Propaganda-Veranstaltungen der beiden Institutionen, und wir als NROs sind ein durchaus beliebtes Zielobjekt freundlicher Umarmungen: Gelobt und verpflegt wird man hier aufs vortrefflichste. Und zwischen den vielen, die für’s Loben und Füttern da sind, gibt es auch einige, die tatsächlich was zu sagen haben, und sich manchmal in Veranstaltungsräumen mit uns NROs wiederfinden.

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Heute stellte der IWF eine neue Studie zur Verschuldung von Niedrigeinkommensländern vor, die unseren Punkt einer sich in Subsahara-Afrika neu aufbauenden Schuldenkrise mit guten Zahlen unterstreicht. Verlinken kann ich sie hier noch nicht, weil sie erst morgen ins Netz gestellt wird. Dann lohnt sich aber ein Blick darauf. Interessant bei der heutigen Vorstellung der wichtigsten Inhalte war, dass die Einteilung der rund 60 Staaten mit niedrigem Einkommen vom IWF so interpretiert wurden, dass nur ein Drittel von ihnen ein hohes Überschuldungsrisiko aufweisen, während es bei zwei dritteln nur “niedrig” oder “moderat” ist. Unser Kollege Brett House vom kanadischen CIGI, kommentierte kommentierte namens der NROs die gleichen Zahlen so, dass nur ein Drittel im Moment ungefährdet ist, während zwei Drittel ein “moderates” oder “hohes” Risiko aufweisen. “Moderat” heißt übrigens, dass ein Land kein Schuldenproblem hat, wenn die Wirtschaft sich in den nächsten Jahren so entwickelt, wie der IWF das vorhergesagt hat. Gibt es auch nur eine negative Abweichung davon, wird die Lage umgehend kritisch.

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Breiten Raum nimmt hier auch die Diskussion über den Umgang mit den Geierfonds ein. Erfreulich dabei ist der starke Konsens mit den meisten Finanzministerien auch der G8-Länder sowie mit dem IWF-Stab, dass etwas geschehen muss, was so etwas wie das skandalöse New Yorker Urteil gegen Argentinien sich nicht wiederholen darf. (Wir haben an anderer Stelle in diesem Bog ja eine ganz lebendige Debatte darüber). Der IWF setzt ganz und gar auf “Collective Action Clauses” die eine solche Geier- oder Holdout-Minderheit im Konfliktfall an die Entscheidungen einer Gläubigermehrheit binden; er hat aber auch noch weiter gehende Maßnahmen wie Aggregation über mehrere Anlageklassen hinweg im Köcher. Wir unterstreichen zusammen mit den meisten Süd-Regierungen z.B. im Communiqué der G24 und der Finanzminister der LIC-Gruppe der Francophonie die Notwendigkeit eines geordneten und umfassenden Verfahrens.

Für alle, die über den Tag hinaus denken: Ein paar Meter von meinem Lieblings-Arbeitsplatz in der Großen Halle des (Finanz-)Volkes entfernt bringen stöckelbeschuhte hübsche Peruanerinnen kleine Quinoa-Snacks sowie allerlei Kunsthandwerk aus ihrer Heimat an den Mann, um schon mal Reklame für die Jahrestagung 2015 zu machen. In jedem dritten Jahr tanzt der Kongress außerhalb Washington’s, und dann wir es Lima.

Danke, ihr Geier!

Es war ein historischer Moment am Mittwoch Abend in der UNO, als eine Resolution der Entwicklungsländergruppe (“G77 und China”) mit 124:11 Stimmen bei 41 Enthaltungen angenommen wurde. Die Weltorganisation verpflichtet sich darin, noch in der laufenden Sitzungsperiode, also vor dem September 2015 einen rechtlichen verbindlichen Rahmen für eine geordnete Staateninsolvenz  zu schaffen.

Die bislang nicht durch effiziente und zügige Meinungsbildungsprozesse aufgefallene UNO hat sich damit eine Riesen-Aufgabe gestellt, und alle (uns selbst eingeschlossen), die mit ihr wissenschaftlich-konzeptionell oder politisch zusammenarbeiten sind nun herausgefordert, ihren Beitrag zu leisten, damit in knapp einem Jahr tatsächlich eine Zeitenwende erreicht wird.

Ob das gelingen kann und wird, darüber gehen unter Freund und Feind die Meinungen auseinander. Die Bundesregierung, die beschämenderweise und gegen das bessere Wissen mindestens dreier Ministerien auf Druck des BMF mit “nein” gestimmt hatte, äußert sich bislang überhaupt noch nicht dazu, wie sie sich in den nun anlaufenden Meinungsbildungsprozess einzubringen gedenkt. Ist vielleicht auch besser so, denn vor der Abstimmung hatte sie sich in den von den G77 initiierten Konsultationen geweigert, überhaupt eine Meinung zu äußern in der Hoffnung, der Spuk ginge dann von alleine wieder weg.

Ging er aber nicht. Und das verdanken wir nicht zuletzt den Geiern. Den großen, wie NML Capital, die drohen, Argentinien in die erneute Staatspleite zu schicken oder denen, die in den letzten Jahren aus den ärmsten Staaten der Welt auf dem Klageweg Millionen rausholten. Aber auch den kleinen, die hierzulande und auf der ganzen Welt ein latentes Gefühl der Bedrohung in den verschuldeten Ländern aufgebaut haben. Dieses unsympathische Federvieh hat hinbekommen, was Wirtschafts-Nobelpreisträgern, progressiven Gläubiger-Regeirungen wie den Norwegern, der UNO oder uns selbst nie wirklich gelungen ist: den Regierungen der verschuldeten Ländern deutlich zu machen, dass sie sich mit den informellen, ad-hoc ausgehandelten von den Gläubigern gnädig zugestandenen Umschuldungen im Pariser Club, unter der HIPC-Initiative oder eben durch Anleihetausch besser nicht zu sicher fühlen sollten. “Wenn wir wollen, greifen wir uns eure paar Kröten noch in den letzten Winkeln der Erde”. Die Message war schon sehr überzeugend als ein argentinisches Schiff in Ghana soeben noch der Pfändung entwischen konnte. Mit dem Zugriff auf die Zahlungen Argentiniens an seine legitimen Gläubiger in New York war der Beweis überzeugend angetreten.

In lobenswerter Transparenz stellt die UN die Beratungen der Vollversammlung ins Netz, und es lohnt sich, sich die Debatte vom 9.9. oder die anschließende Pressekonferenz mit dem argentinischen Außenminister um dem bolivianischen Vorsitzenden der G77 anzusehen – besonders wenn man in der Lage ist, den Beiträgen im Original-Spanisch zu folgen. Die negativen Stellungnahmen der Amerikaner (“keiner darf über so etwas wie Staateninsolvenz reden außer dem IWF”), der italienischen EU-Präsidentschaft (die den Spagat hinbekommen musste, eine Nicht-Zustimmung der EU-Mitglieder zu begründen, ohne die eigenen Chancen auf einen Sitz im Sicherheitsrat zu gefährden und entsprechend eirig ausfiel) kontrastieren dramatisch mit dem Ernst und der Sachlichkeit der Beiträge des argentinischen Außenministers Hector Timerman und des Bolivianers Sacha Llorenty Soliz. Die der Abstimmung folgenden Redebeiträge der meisten Vertreter/innen des globalen Südens standen dem nicht nach. Selbst der kubanische Beitrag, der Zitate Fidels und des Che bemühte, wirkte gar nicht so sehr aus der Zeit gefallen, wie sonst schon mal. Und das liegt daran, dass am Mittwoch tatsächlich etwas passiert ist, von dem sich der Bogen in eine Zeit vor dreissig Jahren schlagen lässt: Die kollektive Bedrohung aller Länder des Südens durch ihre Verschuldung und durch die Macht, die sich dadurch in den Händen von Regierungen und Anlegern im Norden zusammenballt, ließ eine Gemeinsamkeit entstehen, die die Operetten-Rethorik aus der Zeiten des Kalten Krieges nicht erreichte, weil der Westen es sehr geschickt verstand, mit Zuckerbrot und Peitsche wichtige Länder aus einer potenziellen gemeinsamen Front herauszubrechen.

Am Mittwoch war sie dann da, diese Front: Alle (anwesenden) G77-Mitglieder einschließlich der mächtigen G20-Staaten, stimmten für die gemeinsame Resolution. Das “es reicht uns” war und ist unüberhörbar. Für diejenigen von uns, die seit vielen Jahren auf eine mutige und selbstbewusste Haltung der verschuldeten Staaten hoffen, war das ein historischer und bewegender Moment.

Er wäre nicht zu erreichen gewesen ohne die Gier der Anleger aus den Steuerparadiesen, ohne die Komplizenschaft derjenigen in den reichen Ländern, die sie gewähren lassen, ohne die Selbstgefälligkeit der Bundesregierung und ihrer G7-Kolleg/innen.

Niemand kann vorhersagen, ob es den reichen Ländern in den kommenden zwölf Monaten nicht wiederum gelingen wird, die entstandene Solidarität unter den ärmeren Ländern zu zerstören. Aber dafür, dass wir nach langen Jahren überhaupt erst mal wieder so weit gekommen sind: Dafür sei Euch herzlich gedankt, ihr Geier!

 

Argentinien: Nicht der Geier ist schuld

Der Argentinische Staat ist seit heute wieder ein säumiger Schuldner. Die Regierung weigert sich zu Recht, die Forderung des Geierfonds NML-Capital in Höhe von 1,3 Mrd. US-$ zu bedienen. Gemäß dem Urteil des US-Richters Thomas Griesa ist es ihr damit technisch unmöglich, die normalen Zahlungen an ihre legitimen Gläubiger in den USA zu leisten.

Argentinien wird damit nicht in eine neuerliche wirtschaftliche Katastrophe geraten wie 2002, denn das Land hatte in den letzten Jahren ohnehin kaum Zugang zum Kapitalmarkt. Trotzdem hat das wachstumsschwache und inflationsgeplagte Land keine leichten Jahre vor sich.

Internationale Investmentfonds, die wie NML Capital Staatsschulden auf dem Sekundärmarkt mit hohen Abschlägen kaufen, um dann auf die volle Summe zu klagen, werden zu Recht als Geierfonds bezeichnet. Trotzdem wäre es falsch, an ihre Moral oder ihr Verantwortungsbewusstsein zu appellieren, um so der Geierplage Herr zu werden. Unabhängig davon, dass die Herren über das große Geld in der Regel weder über das eine noch über das andere verfügen: Es ist auch nicht ihre Aufgabe.

So, wie von Investoren, die in eine pleite gegangene Warenhauskette investiert haben, niemand erwarten kann, dass die plötzlich ihr Herz für die jahrelang unterbezahlten Verkäuferinnen entdecken, ist auch das Schicksal der ärmeren Bevölkerungsschichten Argentiniens NML & Co herzlich schnuppe. Vielmahr wäre es die Aufgabe des (Gläubiger-)Staates, so wie er für die möglichst sozialverträgliche Abwicklung eines Insolvenzfalls im heimischen Rechtssystem zu sorgen hat, auch für internationale Insolvenzen Regeln zu schaffen, die z.B. bei einer mehrheitlich beschlossenen Umschuldung, wie im Fall Argentiniens, dafür sorgt, dass nicht einzelne aus dem Verzicht der Mehrheit ihren Gewinn ziehen. Möglich wäre das. Das Internationale Recht böte dafür eine Grundlage. Praktische Vorschläge, wie es umzusetzen wäre, liegen seit Jahren in großer Zahl auf dem Tisch.

Aber genau das hat die internationale Politik in den 13 Jahren seit dem letzten Zahlungsausfall Argentiniens versäumt. Zwei Bundesregierungen (rot/grün und schwarz/gelb) hatten die Forderung nach einer geordneten Staateninsolvenz in ihre Koalitionsverträge geschrieben. Getan haben sie nichts.

Die Konsequenzen aus dem “Fall Argentinien” werden in nächster Zeit vielerorts sichtbar sein: Die Geier werden versuchen, auch auf die erst jüngst vereinbarten Zahlungen Argentiniens an die staatlichen Gläubiger des Pariser Club’s zuzugreifen. Die internationalen Energie-Unternehmen (u.a. aus Deutschland), die gerne in das jüngst erschlossene Ölfördergebiet Vaca Muerte in der Provinz Neuquén einsteigen würden, werden Umwege für ihr Engagement finden müssen, bei denen die Geier, nicht auf ihre Mittel zugreifen können, und dadurch beispielsweise gegenüber chinesischen Investoren erheblich ins Hintertreffen geraten. Und mit dem US-Urteil im Rücken halten die Geier schon nach den nächsten Opfern Ausschau. Dazu gehören niedrig bewertete Papiere Griechenlands und Zyperns ebenso wie Uralt-Schulden einiger der ärmsten Länder in Afrika.

Nur, wenn Schuldner die Möglichkeit haben, verlässlich, rechtsstaatlich und verbindlich alle ihre Gläubiger in eine Umschuldung einzubeziehen, wird dem Geschäftsmodell der Geier der Boden entzogen. Wann wollen die G7, die in der Vergangenheit die Regeln für die Schuldenerlasse der ärmsten Länder gesetzt haben, dieser Verantwortung nachkommen, wenn nicht jetzt?

(Noch) ein Vorschlag für eine geordnete Staateninsolvenz in der Eurozone

Clemens Fuest, Friedrich Heinemann und Christoph Schröder haben in der vergangenen Woche über die Homepage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, wo sie arbeiten, und mit einem ausführlichen Artikel in der FAZ einen eigenen Vorschlag für eine geordnete Staateninsolvenz in der Eurozone vorgelegt. Das Kind hat den lustigen Namen “VIPS”, oder seriös gesagt: “Viable Insolvency Procedue for Sovereigns”

Der Vorschlag ist explizit auf die Eurozone beschränkt, und ist insofern weniger ambitioniert als derjenige der Brookings-Institution im vergangenen Jahr, die sich ebenfalls auf ein Eurozonen-Szenario fokussierte, aber gleichzeitig so formuliert war, dass das Konzept prinzipiell auch für Staatspleiten außerhalb unseres Kontinents funktionieren könnte.

VIPS enthält einige interessante neue Ideen, aber auch Schwächen, die es hinter die meisten auf dem Tisch liegenden Vorschläge zurückfallen lassen.

Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass es zwar bei der Krisenfinanzierung und der Beaufsichtigung der Marktteilnehmer in Europa seit 2008 begrüßenswerte Fortschritte gegeben hat, dass die letztliche Krisenbewältigung noch immer einem eher chaotischen Nicht-System überlassen ist. So weit so treffend. Verbunden wird dann der Vorschlag für ein Staateninsolvenzverfahren allerdings mit einem neuen Element, nämlich einer Art Karenz-Zeit bevor das Instrument nach seiner formalen Schaffung erst als Standard-Prozedere in der Eurozone in Kraft treten soll. Dies soll geschehen, wenn die durchschnittliche Staatsverschuldung von seinen derzeit 93% des BIP einen vorgegebenen Grenzwert, z.B. 80%, wieder unterschritten hat. Der Sinn dieser Bestimmung ist, dass das Instrumentarium zwar in der Krise geschaffen werden kann, aber erst in der nächsten Krise wirksam wird. Damit kann es schon vor dieser seine präventive (leichtfertige Geldgeber abschreckende) Wirkung entfalten, ohne in der aktuellen Krise zur panischen Flucht von Anlegern aus der Eurozone führt.

So pfiffig diese Bestimmung ist, löst sie doch ein Problem, über das zwar viel diskutiert wird, und das von interessierter Seite auch gerne als Totschlagargument gegen ein reformiertes Verfahren verwendet wird, dessen Realitätsgehalt aber höchst fragwürdig ist: die Annahme nämlich, ein rechtsstaatliches und berechenbares Verfahren würde die Eurozone für Anleger weniger attraktiv machen. Da es eine umfassende Verfahrensreform bislang in diesem Sinne noch nicht gegeben hat, kann verlässlich nicht beurteilt werden, ob solche Effekte tatsächlich eintreten würden. Die Untersuchung der Auswirkungen von faktischer Schuldenreduzierung auf das (anschließende) Gläubigerverhalten untermauert aber eher die Theorie von dem “extrem kurzzeitigen Gedächtnis der Märkte”. Das heißt: Selbst da, wo Schuldnerstaaten de facto Schuldenerlasse erzwungen haben, wie in Argentinien oder Ecuador oder wo sie aufwändig von Weltbank und IWF umgesetzt werden mussten, wie in den HIPC-Staaten, ist der Zugang zum Kapitalmarkt kurz darauf kaum beeinträchtigt, in manchen Fällen – wie eben zahlreichen HIPC-Staaten – durch eine berechenbare Entschuldung überhaupt erst hergestellt worden.

Das eigentliche Verfahren soll dann unter der Ägide des ESF als “Moderator” ablaufen. Die Idee der Moderation ist natürlich gut. Den dann wichtigsten Gläubiger und Geldgeber zum “Moderator” zu ernennen, also zu demjenigen, der die Interessengegensätze zwischen Schuldner und Gläubigern ausgleichen und nach Möglichkeit allseits akzeptable Vorschläge machen soll, ist allerdings die widersinnigste Idee, seit der IWF die Moderatorenrolle in seinem SDRM-Vorschlag 2002 mit sich selbst besetzt hatte.

Noch eine in ihrer Skurrilität schon wieder lustige Idee ist die Begrenzung eines denkbaren Schuldenschnitts ex-ante auf eine Tragfähigkeits-Zielgröße von maximal 60% Schuldenstand/BIP. Nicht nur steht diese seltsame Begrenzung im Gegensatz zu dem zuvor überzeugend dargelegten Punkt, dass mechanistisch anzuwendende Grenzwerte bei Staateninsolvenzen nicht hilfreich sind. Eine solche Festlegung ignoriert die im April 2013 vom IWF verfasste Problemanzeige, dass Schuldenerlasse in der Vergangenheit keinesfalls in der Gefahr standen, voreilig und zu großzügig gewährt zu werden, sondern dass umgekehrt “too little too late” mit der Folge regelmäßiger Serienumschuldungen das Problem war. Auch der bisher einzige in der Eurozone vereinbarte Schuldenerlass – für Griechenland – legt die Gefahr übermäßiger Großzügigkeit nicht gerade nahe. Die Schulden sollten durch die Operation und die nachfolgende Anpassung auf 120% des BIP bis 2020 reduziert werden. Ein Ziel, das inzwischen in weite Ferne gerückt ist. Nachvollziehbar ist in gewissem Maße der Gedanke, eine solche Höchstgrenze helfe, die Kapitalmärkte für andere Schuldnerstaaten der Eurozone ruhig zu halten. Indes, wie oben angedeutet, löst das eher ein Phantom- als ein reales Problem.

Fazit:

Es ist gut, dass aus vielen unterschiedlichen Blickwinkeln erwogen wird, wie das Fehlen einer geordneten Staateninsolvenz in der Internationalen Finanzarchitektur geschlossen werden kann. Die Herleitung der Notwendigkeit eines Verfahrens aus der anhaltenden Krise der Eurozone ist überzeugend, und jede Stimme, die die notorisch schläfrige Politik aufweckt, ist sehr willkommen.

In der Sache ist VIPS indes kein Quantensprung: Der clevere Einführungszeitplan kann ängstliche Entscheidungsträger ermutigen; aber es ist zu befürchten, dass die bisher anhaltende Untätigkeit seine Ursache nicht in realistischen Befürchtungen um die Kapitalmarktfähigkeit der (ehemals) überschuldeten Staaten hat.

78 Wissenschaftler/innen aus 22 Ländern fordern ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren

Die Staatsschuldenkrise im Euroraum hat zahlreiche Vorschläge für eine geordnete Staateninsolvenz hervorgebracht. Ihr Ziel ist eine raschere und effizientere Krisenbekämpfung als dies nach 2008 gelang. Mit dem jüngsten Vorschlag des ZEW in Mannheim, der auf einen Mechanismus in der Eurozone fokussiert ist, ist eine weitere Facette dazu gekommen.

Wie breit in der Wissenschaft die Forderung nach einem rechtsstaatlichen Umgang mit Staatsschuldenkrisen getragen wird, lässt sich auch an der Unterstützung für den von erlassjahr.de initiierten Wissenschcaftler-Appell für ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren ablesen. 78 Wissenschaftler/innen aus 22 Ländern auf allen Kontinenten erinnern mittlerweile daran, dass nicht nur die Eurozone betroffen ist. Von 35 gerade erst unter der Kölner Schuldeninitiative (HIPC/MDRI) entschuldeten Ländern weltweit weisen bereits 7 wieder ein hohes und weitere 16 ein mittelgroßes Risiko erneuter Überschuldung auf.

Zu den Unterzeichnern gehören u.a. der ehemalige Vize-Generalsekretär der UNO, José-Antonio Ocampo, Ex-Bundesfinanzsstaatssekretär Heiner Flassbeck und der Ecuadorianische Ex-Minister und Parlamentspräsident Alberto Acosta.

 

Grenada – ein sehr zerbrechliches Paradies

Selbst Entschuldungskonferenzen bringen es mit sich, dass man ein wenig von Land und Leuten mitbekommt. “Land” war in diesem Fall nicht nur ein hübsches Strandhotel, wo man zwangsläufig landet, weil es hierzulande keine Hotels gibt, die nicht auf die Bedürfnisse von Strandtouristen
zugeschnitten wären; sondern auch ein kleiner Ausflug nach Guayave zum Fish Friday, einer Art allwöchentlichem kleines Volksfest, eben am Freitag Abend, wenn der kleine Ort am Meer voller Essensständen, Musikgruppen und Bierverkäufen ist. Nicht alles, was dort im Topf schwimmt, möchte man als empfindlicher Miteleuropäer wirklich zu sich nehmen, aber die Atmosphäre und die Menschen an den Ständen lassen einen notfalls auch den Hunger vergessen.

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Und da ist man dann schon bei den “Leuten”, die eben nicht nur die geschätzten Kirchen-, Gewerkschafts- und NRO-Aktivist/innen, mit denen wir seit zwei Jahren versuchen, dieser kleinen Insel das Schicksal des großen Nachbarn Jamaika zu ersparen. Dieser hat – wie unser Freund Anton Thompson von der Justice and Peace Commission in Kingston zu berichten wusste, zwei Umschuldungen erlebt, die dem Land praktisch nichts genützt haben, weil es keinen Schuldenschnitt gab, sondern nur eine Umschuldung der inländischen Schulden.

Grenada ist, wie nicht nur die Indikatoren, sondern auch die Gespräche mit den Menschen der Insel zeigten, wirtschaftlich unendlich verletzlich. 2009 gab es einen dramatischen wirtschaftlichen Einbruch, der  die Schulden des Landes gänzlich untragbar machte – schon bevor der Staat Anfang 2013 die Zahlungen an die meisten Gläubiger tatsächlich einstellen musste. Seine Ursachen hatten nicht das Geringste mit Grenada und eventuellen Fehlern seiner eigenen Politik zu tun. Die Krise im Immobiliensektor der USA hatte schlicht und einfach die Hauptzielgruppe der Kreuzfahrer, von denen die meisten Inseln hier abhängen, dramatisch betroffen: die obere Mittelschicht der USA hielt ihr Geld aus guten Gründen lieber zusammen.

Wir haben hier mit den Verantwortlichen ausführlich über die Chancen der Insel in den begonnenen Verhandlungen mit den Gläubigern gesprochen. Weder von den Privatgläubigern, die immerhin der mächtige IWF im Interesse Grenadas unter Druck setzt, noch von dem Gläubiger-Kartell des  Pariser Clubs kommen bislang ermutigende Zeichen.

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Was uns Mut macht, ist, dass die Regierung Grenadas entschlossen ist, einen weit reichenden Schnitt durchzusetzen, und nicht die Fassade eines tragfähigen Verschuldung durch immer neue externe Kredite und Zahlungsverlängerungen vorzutäuschen.

Und dass sie gemerkt hat, dass die eigene Zivilgesellschaft eine Hilfe und nicht ein Hindernis in diesem Prozess sein kann. Wirtschaftsminister Oliver Joseph hat sich nicht nur aus Höflichkeit
nach dem Gespräch mit uns ablichten lassen. Vielmehr sind die Erwartungen an die Jubilee-Kampagnen der Gläubigerländer – hier Tim Jones von der britischen Jubilee Debt Campaign und Eric LeCompte von JubileeUSA, ihre Regierungen zu Zugeständnissen zu bewegen, hoch. Und da Deutschland nicht nur ein mächtiges Mitglied des Pariser Clubs ist, sondern auch den einzigen Exekutivdirektor im Vorstand von Grenadas größtem Einzelgläubiger, der Karibischen Entwicklungsbank, stellt, sind auch an uns die Erwartungen hoch.

Und diese wunderbare kleine Insel und ihre Menschen sind jeden Lobbybesuch in Berlin und jede Aktionspostkarte wert.

Grenada-Tagbuch: Easy, easy… auch die Revolution hat in der Karibik ein bisschen mehr Zeit als anderswo

Am zweiten Tag der Gründungsversammlung des Karibischen Schuldennetzwerks CDN wurde das Netzwerk eher beiläufig gegründet. Viel Zeit wurde eher auf Feedback, ausführliche Interaktion in der Kaffeepause, assoziatives Denken bei zahlreichen Wortmeldungen sowie die Wiederholung und Unterstützung von bereits Gesagtem gelegt. Nicht immer ein leichtes Leben für den preussisch-protestantischen Campaigner mit der klar gegliederten Agenda.

Bemerkenswert gleichwohl: Lebhafte Diskussionen über die Frage, ob die Überschuldung der Region auf unverantwortliche Kreditnehmer oder Kreditgebern zurückzuführen ist. Interessanterweise insistierten die Grenadiner auf die Unverantwortlichkeit ihrer Regierungen, während wir aus den Gläubigerstaaten keinesfalls die notorisch schuldlosen Gläubiger vom Haken lassen wollten.

Am Ende gab es durchaus einen Konsens, dass eine geteilte Verantwortung gebe. Jetzt muss das gerade entstehende Caribbean Debt Network sich darüber Gedanken machen, was das für den Umgang mit der akuten Überschuldung Grenadas und seiner Nachbarinseln bedeutet.

Bewegend ein um’s andere Mal die ehrliche Hochachtung der Regierung von Grenada für das starke Engagement der Zivilgesellschaft: Auf der kleinen Muskat-Insel existiert das einzige Jubilee-Committee weltweit, dem der örtliche Wirtschaftsminister vorsteht. Unsere Freunde vom Grenadinischen Kirchenrat haben sich ein fast schon beängstigendes Standing erarbeitet.

Diskutiert haben wir heute über eine regionale Entschuldungsinitiative für die Karibischen Staaten (Heavily Indebted Caribbean Countries Initiative oder kurz: HICC). Mal sehen, ob die Regierung der Insel, die ihr von uns zugedachte Rolle als Champion für eine solche Initiative, die der ganzen Region zugute kommen soll, auch annimmt.

Grenada-Tagebuch: Dienstag, 22.4.

Montag der 22.4.2014 ist der erste Tag der Gründungsversammlung des Caribbean Debt Network. Der verwegene Termin direkt nach Ostern und einige Krankheitsfälle reduzierten die Zahl der Inseln, die vertreten sind leider auf vier: Grenada, Dominica, Jamaica und St.Vincent.

Für den formalen Prozess der Gründung einer NGO, die dann die dringend benötigten hauptamtlichen Kapazitäten für die Arbeit zur Entschuldung der hochverschuldeten Inseln schaffen kann, reicht das allemal.

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Viel spannender waren die inhaltlichen Diskussionen, speziell die Präsentation des Staatssekretärs Timothy Antoine vom grenadinischen Finanzministerium. Grenada hat sich unwiderruflich auf einen stückweisen Verhandlungsprozess mit den privaten und den öffentlichen Gläubigern eingelassen. Dass man auch Zugeständnisse von den multilateralen Gläubigern – vor allem dem IWF und der Karibischen Entwicklungsbank – erwirken könnte, wagen sie nicht zu hoffen.

Auf der positiven Seite gibt es ein starkes Commitment, die eigenen Erfahrungen zum Ausgangspunkt einer Initiative für eine geordnete Staateninsolvenz zu machen. Da spiegelt sich ein bisschen, was wir schon bei den Argentiniern erlebt haben, die den Pariser Club mit seinen unverschämten Zinseszinsforderungen wohl kleinlaut ausbezahlen werden, aber gerne eine Initiative stützen, dass sich so was nicht wiederholt.

Also werden wir morgen am zweiten Tag darüber reden, ob es nicht eine Entschuldungsinitiative für kleine hochverschuldete Karibikstaaten geben müsste; so wie seinerzeit eine für die weltweit hochverschuldeten armen Länder geschaffen worden ist.

Vorsichtige Reform der IWF-Politik gegen Überschuldung

Anfang des Jahres setzte der IWF einen Prozess zur Reform seiner Debt Limits Policy in Gang, d.h. zur Begrenzung der Kreditaufnahme von Ländern mit fragwürdiger Schuldentragfähigkeit. Das ist ein begrüßenswerter Prozess, hinter dem die auch für den IWF schmerzhafte Erfahrung steht, dass die Kreditvergaben des Fonds in der Vergangenheit mitunter zur Verschärfung von Überschuldung statt zu ihrer Überwindung beigetragen hat.

In einem lesenswerten Papier vom letzten Dezember wurden eine Reihe von Veränderungen in der bisherigen Praxis angekündigt, die auf eine vorsichtigere Vergabe zielen. Dazu gehören einige Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, wie z.B. dass nur mit einer einzigen Definition von Tragfähigkeit gearbeitet wird, und man nicht länger mit der Absurdität getrennter Konzepte für konzessionäre und nicht-konzessionäre Schulden arbeitet. Auch die Transparenz bei der Beurteilung soll verbessert werden und die besondere Berücksichtigung von “versteckten Zahlungsverpflichtungen” (Contigent Liabilities) z.B. durch Public Private Partnerships soll mehr Aufmerksamkeit finden.

Inwiefern es sich dabei um echte Fortschritte handelt, und wo noch dringender Verbesserungsbedarf besteht, haben weltweite Entschuldungsnetzwerke kommentiert.

Staateninsolvenzdiskussion im IWF: "Können hätten wir schon gewollt…."

Die Financial Times brachte am 26. Januar einen kurzen aber sehr lesenswerten Hintergrundartikel zu den Schwierigkeiten, denen sich der IWF bei seiner Arbeit an einem Konzept für eine geordnete Staateninsolvenz gegenübersieht. Der unterschwellige Eindruck ist, dass die im April 2013 begonnenen Pläne schon wieder vor dem Prellbock einer mehrheitlichen Zurückweisung durch die Mehrheit der wichtigen Mitglieder des Fonds stehen.

Das ist zunächst mal nicht sonderlich überraschend. Wie schon 2001 beim SDRM gibt es selbstverständlich auch heute einflussreiche Akteure, die aus ehrenwerten oder (meist) weniger ehrenwerten Gründen dagegen sind, dass überhaupt am Verhältnis zwischen Schuldnern und Gläubigern irgendwas reformiert wird. Das Bestürzende ist vielmehr, wie die Argumente von heute denen von vor zehn Jahren gleichen. Als habe es die Erfahrung nach der Entscheidung von 2003 – “keine Reform notwendig, weil alle Schuldenkrisen sind jetzt ohnehin gelöst”, bis zur Systemkrise 2008 bis heute – nie gegeben.

Wunderbar auf den Punkt bringt das “Können hätten wir schon gewollt aber dürfen haben wir uns getraut”-Syndrom der EU-Währungskommissar Olli Rehn mit seinen Zitaten am Ende des Artikels auf den Punkt:

Langfristig sind klar geregelte Verfahren für die Restrukturierung von Banken und für Staatsschulden eine gute Sache.

Gute Sachen gibt es natürlich viele, aber Realpolitik sieht für europäische Entscheidungsträger so aus:

Solange die Eurokrise anhält, ist es wichtig jede Erschütterung der Finanzstabilität durch übermäßig innovative Ideen zu vermeiden; die Eurozone hat immer erklärt, dass Griechenland ein Einzelfall war. Und daran halten wir uns.

Soll man über den letzten Teil seiner Aussage lachen oder weinen? oder soll man sich einfach an Ronald Pofalla erinnert fühlen, der bekanntlich die NSA-Affäre offiziell für beendet erklärte, wenige Tage bevor herauskam, dass die großen Ohren in Washington bis in das Handy seiner Chefin reichten? Einzelfall, und basta! Bis zum nächsten Einzelfall!

Das ganze Elend einer Politik, die vom großen Kapital nicht mal mehr eingeschüchtert zu werden braucht, weil ihr Ausgangspunkt schon die Annahme ist, “die Märkte” (wer immer das ist) dürfte nicht beunruhigt werden.

Eine in dem FT-Artikel nicht näher benannte “mit dem Denken des IWF vertraute” Person, bezeichnete den Reformprozess nicht zu Unrecht als ein “Minenfeld” und bringt die eigentliche Herausforderung für die Politik auf den Punkt:

Banker mögen ihn nicht. Und Regierungen fürchten, er versaut ihnen die Kreditwürdigkeit. Unglücklicherweise scheinen dabei alle gleich kurzsichtig zu sein und unfähig, wahrzunehmen, welche Probleme das bestehende System ihnen beschert.

Sich in einem Minenfeld zu bewegen, ist zweifellos riskant. Aber einfach stehen zu bleiben, ist so sinnvoll wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod.