IWF an Europa: zahlt um Himmels willen weiter Eure Schulden!

Auch das Riesen-Rettungspaket von EU und IWF hat die Nervosität an den Finanzmärkten nur zeitweilig beilegen können. Außer den in der Finanzpresse anhaltenden Erwartungen, Griechenland könne spätestens 2013 doch zu Umschuldung gezwungen sein, produzieren auch andere Kandidaten aus dem Kreis der “PIGS” Woche für Woche Alarmmeldungen. In der letzten Woche was das P=Portugal. Gestern und heute zweifelt die FTD in I=Irland angesichts eines Rekorddefizits von rund 20% des BIP an der Fähigkeit des Landes, an den Kapitalmärkten die heute (und in Zukunft immer wieder mal) benötigten 1,5 Mrd. € an neuen Krediten zu bezahlbaren Konditionen aufzunehmen.
Anfang September stellte sich der IWF mit einer Serie von Papieren zu den Gefahren von Zahlungseinstellungen im Euro-Raum solchen Befürchtungen entgegen. Lesenswert ist davon nur eines, nämlich das von Cottarelli, Forni, Gottschalk und Mauro, in dem Zahlungseinstellung und Umschuldung programmatisch als “unnötig, nicht wünschenswert und unwahrscheinlich” bezeichnet werden. Im Netz unter: http://www.imf.org/external/pubs/ft/spn/2010/spn1012.pdf
In dem kurzen, gut lesbaren Papier werden sechs Argumente genannt, warum die kritisch verschuldeten Länder der europäischen Peripherie besser daran täten, weiter zu zahlen, als etwa eine Umschuldung oder gar einen Teilerlass zu fordern. Darunter sind “Klassiker”, mit denen uns schon vor zwanzig Jahren der damalige Bundesfinanzminister einreden wollte, Länder schadeten sich selbst, wenn sie nicht für immer pünktlich zahlten (bevor die Gläubiger selbst dann HIPC & Co auf den Weg brachten). Oder Regierungen sollten bedenken, dass auch die ärmeren und die Mittelschichten Staatsanleihen hielten. Dass die durch die Einsparungen in den öffentlichen Budgets und die erzwungenen Gehaltseinbussen deutlich härter betroffen sind, wird vorsichtshalber nicht erwähnt.
Wirklich bedenkenswert ist in dem apologetischen Papier nur ein einziges Argument, nämlich das, die aktuelle Krise resultiere – anders als die Überschuldung Lateinamerikas in den 80er und 90ern z.B. – nicht aus unbezahlbaren Zinslasten, sondern aus einem anhaltend hohen öffentlichen Defizit infolge zu hoher laufender Ausgaben. Dieses ist naturgemäss im nächsten Jahr nur wenig geringer, wenn eine Regierung sich dazu entschliesst, den Schuldendienst zu reduzieren. Die Autoren errechnen eine Einsparung von durchschnittlich 0,5% des BSP, falls ein Land sich dazu entschließe, seinen Gläubigern einen relativ drastischen “Haircut” von 50% ihrer Forderungen zuzumuten. Da sei es doch allemal besser, durch eine rigide Strukturanpassung die öffentlichen Finanzen zu sanieren…
Mal abgesehen von der in diesem Zusammenhang spannenden Frage, wie sich in diesen beiden Fällen die Anpassungslasten tatsächlich auf Arm und Reich im Lande selbst und auf Drinnen und Draußen verteilen: das Problem an dem zunächst einleuchtenden Argument ist, dass die heutigen Daten über Irland eher ein anwachsendes Zinsenproblem erwarten lassen: Die Finanzierung des Defizits zu beständig wachsenden Zinsaufschlägen, mit denen die Anleger sich ihr Risiko versichern lassen, führt gerade dazu, dass aus der Krise des laufenden Staatshaushaltes eine strukturelle Schuldenkrise wird – selbst wenn die Zahlen von heute das noch nicht hergeben. Auch in den Schwellenländern, die vor zehn oder zwanzig Jahren umschulden mussten, wuchs ein untragbarer Schuldendienst dadurch heran, dass Strukturdefizite allzu lange durch exzessive Neukreditaufnahme gedeckt wurden.

Die schöne bunte Welt der Entschuldung

Wer mal so richtig schwelgen möchte in den segensreichen Wirkungen der Entschuldung, der wird von der Weltbank in einem neuen YouTube Video bedient: http://www.youtube.com/watch?v=EJYZCTXU4Dg
Glücklichen Afrikanern und Südamerikanern kann man dabei zusehen, wie sie dank Entschuldung in ihrem örtlichen Krankenhaus zuvor unerschwingliche Medikamente kostenlos verabreicht bekommen. Genauer gesagt: Dank HIPC-Entschuldung. Denn Sinn des Streifens ist natürlich zu demonstrieren, dass die weitsichtige Politik der Bank, deren Mitarbeiter reichlich zu Wort kommen, dieses schöne Ergebnis herbeigeführt hat. Zu Wort kommt übrigens auch der Autor dieses Blogbeitrags, den die PR-Abteilung am Rande einer Tagung im April vor die Kamera bekam.
Überraschenderweise nicht in den Film geschnitten wurde aus den längeren Statements der Hinweis, dass HIPC nach wie vor ein Instrument in der Hand der Gläubiger ist, und am Ende einer langen Kette von Entschuldungs-Verweigerungen steht. Dafür erfährt der Zuschauer, dass durch die Initiative die Bank gezwungen wurde, ihren vorgeblichen “bevorzugten Gläubigerstatus” endlich aufzugeben. Immerhin.

Heute diskutieren die EU-Finanzminister über ein Staateninsolvenzverfahren

Ab 14 Uhr heute nachmittag sitzt Minister Schäuble im Kreis der 27 EU-Finanzminister in Brüssel in der AG zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion. Deutschland wird dort ein zweistufiges Verfahren zur Behandlung von Staatsinsolvenzen einbringen: Bei Zahlungsschwierigkeiten soll zunächst ein noch zu gründender “Berliner Club” eine Umschuldung von fälligen Staatsanleihen auf den Weg bringen. Wie schon beim “Brady-Plan” in den neunziger Jahren soll ein Teil der Anleihe-Schulden gestrichen werden können (“Haircut”), während ein anderer Teil durch Mittel aus einem gemeinsamen EU-Fonds versichert wird. Wenn durch diese Maßnahme der betreffende Staat nicht wieder zahlungsfähig wird, soll es ein umfassendes Staateninsolvenzverfahren geben. Wie dieses genau aussehen soll, weiss man allerdings im BMF auch noch nicht so genau. Vielmehr würde, wenn die EU-Partner – und insbesondere die an diesem Punkt besonders sensiblen Franzosen – der deutschen Initiative zustimmen, die EU-Kommission mit der Erarbeitung eines eigenen Vorschlags betraut.
erlassjahr.de begrüsst, dass Deutschland mit einem Staateninsolvenzverfahren endlich darauf hinwirken will, dass nicht nur die Steuerzahler der EU, sondern auch die Investoren an den Kosten einer Staatspleite beteiligt werden. Verabschieden sollte der Finanzminister sich aber baldmöglichst von der Idee eines weiteren Gläubiger-Clubs. Neben die Clubs von Paris (Gläubigerregierungen) und London (Banken) jetzt noch einen Berliner Club für die Verhandlung über Staatsanleihen zu stellen, wird nicht zur Kohärenz von Schuldenverhandlungen beitragen. Vielmehr erhöht sich damit die Gefahr, dass jede Gläubigergruppe auf Zugeständnisse der anderen wartet. In jedem nationalen Insolvenzverfahren wird selbstverständlich über alle Forderungen an den Schuldner in einem einziger Verfahren verhandelt. Nur so lässt sich tatsächlich eine tragfähige Lösung erreichen.
Genauere Informationen zu den heutigen Verhandlungen in Brüssel finden sich in einem erlassjahr-de-Hintergrundpapier.

Gewerkschafts-Papier: Europa braucht ein Staateninsolvenzverfahren

Der Europäische Gewerkschaftsdachverband ETUI hat ein gemeinsames Policy Papier zu den Lektionen aus der – nach Griechenland schon fast wieder vergessenen – Island-Krise veröffentlicht. Unter dem Titel “Europe needs a fair and transparent debt workout mechanism: lessons from the Icelandic case” schlagen Entschuldungsexperten aus verschiedenen europäischen Ländern (darunter erlassjahr.de) den Bogen von der Krise zu einer stabileren europäischen Finanzarchitektur in der Zukunft. Das Papier ist im Netz unter http://www.etui.org/research/Media/Files/EEEPB/2010/2-2010 zu finden.

Euro-Rettungspakete: Für eine Billion Euro ein Jahr Zeit gekauft

Am vergangenen Wochenende hat die Eurozone eine der größten Rettungsoptionen der jüngeren Wirtschaftsgeschichte durchgezogen. Rund 1000 Mrd. US-$ wurden in Form von Finanzhilfen und Garantien bereitgestellt um – z.T. über noch zu schaffende Institutionen – notleidenden Staaten des Euroraumes zur Verfügung gestellt zu werden.
Es sieht nicht so aus, als stünden Aufwand und Ertrag in einem vernünftigen Verhältnis zueinander: Nimmt man den Euro-Kurs als Indikator: dieser stürzte nach einer kurzen Erholung über das Wochenende am Mittwoch und Donnerstag wieder ab. Die Verantwortlichen haben hoch gewettet, und sie können gewinnen – aber auch verlieren, wenn das “Vertrauen der Finanzmärkte” nicht in dem Maße wieder hergestellt wird, dass der Zugang der südeuropäischen Staaten zu privatem Kapital nicht wieder normalisiert.
Für die kleine Chance, dass dies wunderbarerweise im Lauf der nächsten zwölf Monate doch geschieht, zahlen sie einen hohen Preis:
Die Europäische Zentralbank (EZB) wurde gezwungen, Anleihen der Eurostaaten zu kaufen, was mit ihrer Rolle als Zentralbank eigentlich nicht zu vereinbaren ist.
Die strikten Inflationsziele, welche die EZB eigentlich verfolgte wurden bei dem Deal stillschweigend mit geopfert.
Und vor allem: Waren bislang private Anleger in der Gefahr, bei einer möglichen Staatspleite Griechenlands hohe Verluste hinnehmen zu müssen, so verlagert das Hilfspaket einen großen Teil diese Risikos auf den öffentlichen Sektor. Sollte ein Teilerlass zum Ende dieses oder zum Beginn des nächsten Jahres unvermeidlich sein, wird der nicht nur für alle Gläubiger deutlich teurer als er heute schon gewesen wäre. Er wird auch den deutschen Staat und die anderen Regierungen der Eurozone nicht mehr nur indirekt, sondern ganz direkt treffen. Entsprechend größer wird dann der Druck sein, auch die dann eigentlich logische Insolvenz und den damit verbundenen Kapitalschnitt mit einem noch größeren Rettungspaket wiederum hinauszuzögern. Sicher wird es auch 2011 in irgendeinem Bundesland Wahlen geben, die die Regierung mit unangenehmen Wahrheiten zögern lassen werden
Wer eine solche Schuldenfalle vermeiden will, muss ein paar grundlegende Einsichten beherzigen:
1. Eine unvermeidliche Insolvenz ist umso teurer und schmerzhafter je länger sie hinausgezögert wird. Nicht umsonst ist Insolvenzverschleppung hierzulande ein Straftatbestand.
2. Wer das “Vertrauen der Märkte” zum obersten Ziel seiner Politik macht, macht sich zur Geisel der einflussreichen und finanzstarken Marktteilnehmer.
3. Eine geordnete Insolvenz zerstört keinesfalls das Vertrauen der Märkte – auch, wenn Bankenvertreter dieses Schreckgespenst immer wieder gern an die Wand malen. Im Gegenteil: Als Alternative zu der oben beschriebenen Schuldenfalle ist es der einzige Weg, dieses Vertrauen wieder herzustellen. Die Investoren von morgen interessiert nur in zweiter Linie, ob ein Land gestern einen Kapitalschnitt durchführen musste. In erster Linie interessiert se, ob der Schnitt tief genug war, um die Rückzahlung neuer Investiitonen nicht durch die Bedienung unbezahlbarer Altschulden zu gefährden.
Es wird höchste Zeit, dass das im Koalitionsvertrag angestrebte Internationale Staateninsolvenzverfahren endlich geschaffen wird, um solche Schnitte auf eine geordnete und glaubwürdige Weise umsetzen zu können. Nicht nur im Interesse der Schuldnerstaaten, sondern im eigenen Interesse Deutschlands.

Insolvenzverschleppung in Griechenland?

Am Wochenende haben sich die Europäische Union und der IWF für die einfachste und vielleicht teuerste der drei zuletzt diskutierten Optionen für Griechenland entschieden: Insgesamt 135 Mrd. € sollen den Griechen an neuen Krediten in den nächsten drei Jahren zur Verfügung gestellt werden. Die Bundesregierung wird den deutschen Anteil von 8,4 Mrd. € für das erste Jahr in dieser Woche ziemlich rabiat durch Bundestag und Bundesrat boxen, damit endlich so etwas wie Ruhe einkehrt.
Die Option Nr.3 – Ausschluss der Griechen aus der Eurozone – war nie wirklich eine. Option Nr. 2 – eine geregelte Insolvenz mit Kapitalschnitt und einer Umschuldung der griechischen Verbindlichkeiten – ist damit zunächst ebenfalls ad acta gelegt, ob wohl sich in Deutschland maßgeblich Politiker, darunter der Finanz- und der Wirtschaftsminister sowie der Bundespräsident dafür ausgesprochen hatten.
Die Rechnung von EU und IWF kann aufgehen – wenn die Griechen es schaffen, ihr drastisches Sparprogramm umzusetzen und die Weltwirtschaft sich wie erhofft erholt. Wenn diese Voraussetzungen so nicht eintreten, kann es deutlich teurer werden. Das ist eine bittere Lektion aus der Schuldenkrise der ärmsten Länder in den 80er und 90er Jahren: Jahrelang hatte man seinerzeit mit frischem Geld aus multilateralen Quellen den Schuldendienst an die Banken und Regierungen des Nordens künstlich aufrecht erhalten – bis die Schulden bei IWF und Co. selbst zum größten Problem geworden waren, und eine aufwändige Initiative zum Erlass dieser Schulden geschaffen werden musste. Unterm Strich war das für die Steuerzahler im Norden, die letztlich für die unvermeidlichen Forderungsverzichte bezahlen mussten, teurer als ein frühzeitiger Schnitt gewesen wäre. Es bedeutete für die betroffenen Länder wegen des andauernden Lavierens am Rande des Staatsbankrotts ein “verlorenes Jahrzehnt” ohne nennenswerte Entwicklungsfortschritte.
In Griechenland ist die Notwendigkeit der Anpassung von öffentlichen Leistungen, Löhnen und (oft übersehen) Kapitaleinkünften an die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft des Staates unbestreitbar. Dass die Anpassungskosten nun ganz und gar dort abgeladen werden, und diejenigen, die die stets hochverzinsten griechischen Papiere gerne gekauft haben, nun mit öffentlichen Geldern ihre Forderungen garantiert bekommen, ist nicht nur sozial unausgewogen. Es macht den später vielleicht unvermeidbaren Schnitt auch deutlich teurer.

Jetzt auch der Wirtschaftsminister: Insolvenzverfahren für Staaten dringend benötigt

Die Griechenlandkrise macht der Politik Beine. Nachdem fast alle relevanten Mitglieder der Bundesregierung sowie der Bundespräsident sich für die Schaffung eines Internationalen Insolvenzverfahrens ausgesprochen haben, verlangt es nun auch der Wirtschaftsminister. Siehe: http://www.tagesschau.de/wirtschaft/staatspleite102.html Das ist erst mal sehr positiv, denn in der Vergangenheit haben wir auch gegenüber dem BMWi/BMWA oft über die Notwendigkeit eines umfassenden und rechtsstaatlichen Verfahrens gesprochen. Haarscharf daneben liegt der Minister allerdings mit seinem Bezug auf Kapitel 11 des US-Insolvenzrechts. Statt dieses Kapitels, das Unternehmensinsolvenzen regelt, ist der viel geeignetere Bezug das Kapitel 9. Dort geht es um die Zahlungsunfähigkeit von Gebietskörperschaften, und es ist geregelt, inwieweit in die souveräne Sphäre des Schuldner eingegriffen werden darf – und wieweit ausdrücklich nicht. Geradezu tragisch auch seine Ergänzung, dass wir ein Insolvenzverfahren sozusagen für die Griechenlands dieser Welt benötigen – aber nicht für Griechenland. Das erinnert fatal an die Diskussion um den SDRM, den Insolvenzvorschlag des IWF 2001. Der Fonds lancierte ihn mitten in der Argentinienkrise und versuchte danach eine globale Reformdebatte unter der Massgabe zu führen, dass Argentinien als der damals brennendste Fall von Staatspleite keinesfalls darunter fallen werde. Erreicht wurde im Ergebnis gar nichts. Hoffentlich vermasseln sie es jetzt nicht auch wieder – und wir erinnern uns in fünf Jahren daran, dass wir in der Griechenlandkrise damals besser ein Insolvenzverfahren für Staaten geschaffen hätten….

Finanzminister Schäuble fordert Staateninsolvenzverfahren

Nach den deutlichen Worten des Bundespräsidenten, und dem Hinweis des Entwicklungsministeriums, die Kanzlerin sei eine starke Fürsprecherin einer Internationalen Insolvenzordnung, hat sich nun auch der Bundesfinanzminister eindeutig und positiv positioniert. Im Spiegel-Interview von dieser Woche sagt er:

„SPIEGEL: Währungskommissar Olli Rehn hat vorgeschlagen, für weitere drohende Staatspleiten einen Fonds einzurichten. Was Halten Sie davon?

Schäuble: Wenn wir ein Verfahren für ähnliche Fälle wie Griechenland brauchen, müssen wir auch über die Frage reden, wie wir die Gläubiger an den Kosten beteiligen können. Bei jeder Insolvenz eines Unternehmens müssen die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten, so sollte es auch bei einem Insolvenzverfahren für Staaten sein. Das zu lösen ist das A und O, dann lohnen sich Spekulationen nicht mehr. Dazu aber brauchen Sie keinen Fonds – sondern klare Regeln.“

Der Mann hat recht!

(K)eine ganz normale Weltbank-Konferenz

© erlassjahr.de

So ungefähr sehen Weltbank-Konferenzen eigentlich immer aus: Ein künstlich beleuchteter und belüfteter Raum in einem teuren Hotel. Menschen aus vielen verschiedenen Ländern aufgereiht auf unbequemen Stühlen, mehr oder weniger aufmerksam zuhörend oder auch heimlich ihre Blackberrys checkend – und vorne ein Panel mit schlipstragenden weissen Männern. Wohldosierte Alibi-Frauen und -Afrikaner dazwischen. Und gesprochen wird über Finanzströme zwischen Nord und Süd. Alles irgendwie interessant für einen Entschuldungscampaigner, aber so sehr auch wieder nicht, dass er nicht auch lieber zwischendurch mal, die Mails durchsehen würde…
So auch hier bei der Debt Management Konferenz der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank in einem hübschen Touristen-Hotel nördlich von Tunis.
Anders war, dass die Bank erlassjahr.de nicht nur freundlich das Zuhören gestattete (dafür wäre ich eher nicht gekommen), sondern überdies ein hübsches Streitgespräch zwischen einer Mitarbeiterin des holländischen Finanzministeriums und mir organisierte über die Frage, ob neue (gar: “radikale”) Entschuldungs-Verfahren gebraucht werden oder nicht. Und damit die Sache ein bisschen interessanter würde, kopierte sie eine Idee unseren Köln+10-Workshop vom letzten Juni: Die Tagungsteilnehmer sollten abstimmen: einmal vor dem Streitgespräch und dann nachher.
Da erlassjahr.de beim Heimspiel in Köln einen Erdrutschsieg errungen hatte, vermutete ich, dass sie nun auf eine Revanche scharf waren, und es nicht viele Lorbeeren zu gewinnen geben würde. Allerdings nahm die niederländische Kollegin das Match ziemlich auf die leichte Schulter (oder war in Gedanken schon beim anschließenden Vier-Augen-Gespräch mit dem Chefunterhändler der isländischen Regierung, mit dem die Niederländer derzeit einiges zu verhandeln haben). Jedenfalls war schon vor Beginn eine kleine Mehrheit für ein radikales neues Denken (“radical re-thinking of debt management”), und als wir beide gesprochen und jeweils eine Runde Fragen beantwortet hatten, war der Vorsprung – unter immerhin Finanzbeamten und -Zentralbankern, UNO-Leuten und WB/IWF-Mitarbeitern – noch gewachsen. Auch wenn man diese Art von Übungen mit der kleinen Prise Humor nehmen muss, mit der Moderator sie auch einführte, zeigt sich doch, dass es ein spürbares Unbehagen unter Fachleuten gegenüber einer Politik des schlichten “weiter so” gibt.
Jedenfalls folgten auf das Streitgespräch eine ganze Reihe interessanter Gespräche, mit Leuten, die über FTAP mehr wissen und hier oder dort auch mit uns zusammen arbeiten möchten. erlassjahr.de dankt der Weltbank für die freundliche Einladung.

Europäischer Währungsfonds? Die Staatspleite auch als solche behandeln

Ein wenig verdeckt von der Frage, wer denn um alles in der Welt noch einen Währungsfonds – diesmal neben dem “Internationalen”  in Washington den “Europäischen” – bezahlen soll, ist durch die Debatte um den EWF auch die nach einer Staateninsolvenz erfreulich dynamisch geworden. In allen Vorschlägen, von dem Papier des Think Tanks CEPS im Februar bis zum jüngsten Vorstoß des Bundesfinanzministers Schäuble wurde stets die Option einer geordneten Staateninsolvenz neben der einer europäischen Refinanzierung von Pleitestaaten und der eines Austritts aus der Währungsunion mitgedacht.
Diese Option ist der interessanteste Teil der ganzen Debatte.
Sicher wird es den Anleihegläubigern in vielen Fällen gelingen, auch künftig europäische Steuerzahler direkt oder indirekt in Haftung zu nehmen, und Rettungs- und Garantiepakete zu erzwingen. Aber durch die Option einer geordneten Insolvenz würde das Risiko einer Staatspleite endlich dort abgeladen, wo es hingehört: nämlich bei denjenigen, die 6,5% Verzinsung in Griechenland für ein interessantes Angebot halten, und um solcher Rendite willen ein Risiko eingehen.
Denn was würde passieren, wenn ein insolventer Staat tatsächlich Insolvenz anmelden könnte: Es würde – etwa nach dem Vorschlag eines Fairen und Transparenten Schiedsverfahrens von erlassjahr.de – von einer neutralen Instanz darüber befunden, welche Zahlungen ein insolventer Staat tatsächlich zu leisten imstande ist. Und alles was darüber hinaus an Forderungen besteht, würde pro rata gestrichen, genau wie es bei einer Unternehmensinsolvenz jeden Tag passiert. Die USA haben mit einem entsprechenden Insolvenzverfahren für überschuldete Gebietskörperschaften (dem Kapitel 9) auch im Bereich der öffentlichen Schuldner sehr gute Erfahrungen gemacht. Das Kapitel 9 dient dazu, eine Insolvenz abzuwickeln, ohne in die verfassungsmäßigen Rechte einer demokratisch gewählten Verwaltung einzugreifen. Eine Balance, die auch im Rahmen europäischer Staatsinsolvenzen erst noch gefunden werden muss – wie die wilde Debatte über die (un)zureichenden Sparanstrengungen der Griechen deutlich zeigt.
Es wäre nämlich reichlich blauäugig anzunehmen, dass wir es allein mit einem griechischen Problem zu tun haben. Geht man von der kritischen Verschuldungsgrenze des Maastricht-Vertrags von 60% des BIP aus, dann liegen weltweit 23 Länder allein mit ihren Auslandsschulden z.T. deutlich darüber, davon 8 in Europa. Und jede Datenaktualisierung hat in den letzten zwei Jahren die Zahl der Pleitekandidaten erhöht.