(Noch) ein Vorschlag für eine geordnete Staateninsolvenz in der Eurozone

Avatar-Foto Jürgen Kaiser, erlassjahr.de
24. Juli 2014

Clemens Fuest, Friedrich Heinemann und Christoph Schröder haben in der vergangenen Woche über die Homepage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, wo sie arbeiten, und mit einem ausführlichen Artikel in der FAZ einen eigenen Vorschlag für eine geordnete Staateninsolvenz in der Eurozone vorgelegt. Das Kind hat den lustigen Namen „VIPS“, oder seriös gesagt: „Viable Insolvency Procedue for Sovereigns“

Der Vorschlag ist explizit auf die Eurozone beschränkt, und ist insofern weniger ambitioniert als derjenige der Brookings-Institution im vergangenen Jahr, die sich ebenfalls auf ein Eurozonen-Szenario fokussierte, aber gleichzeitig so formuliert war, dass das Konzept prinzipiell auch für Staatspleiten außerhalb unseres Kontinents funktionieren könnte.

VIPS enthält einige interessante neue Ideen, aber auch Schwächen, die es hinter die meisten auf dem Tisch liegenden Vorschläge zurückfallen lassen.

Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass es zwar bei der Krisenfinanzierung und der Beaufsichtigung der Marktteilnehmer in Europa seit 2008 begrüßenswerte Fortschritte gegeben hat, dass die letztliche Krisenbewältigung noch immer einem eher chaotischen Nicht-System überlassen ist. So weit so treffend. Verbunden wird dann der Vorschlag für ein Staateninsolvenzverfahren allerdings mit einem neuen Element, nämlich einer Art Karenz-Zeit bevor das Instrument nach seiner formalen Schaffung erst als Standard-Prozedere in der Eurozone in Kraft treten soll. Dies soll geschehen, wenn die durchschnittliche Staatsverschuldung von seinen derzeit 93% des BIP einen vorgegebenen Grenzwert, z.B. 80%, wieder unterschritten hat. Der Sinn dieser Bestimmung ist, dass das Instrumentarium zwar in der Krise geschaffen werden kann, aber erst in der nächsten Krise wirksam wird. Damit kann es schon vor dieser seine präventive (leichtfertige Geldgeber abschreckende) Wirkung entfalten, ohne in der aktuellen Krise zur panischen Flucht von Anlegern aus der Eurozone führt.

So pfiffig diese Bestimmung ist, löst sie doch ein Problem, über das zwar viel diskutiert wird, und das von interessierter Seite auch gerne als Totschlagargument gegen ein reformiertes Verfahren verwendet wird, dessen Realitätsgehalt aber höchst fragwürdig ist: die Annahme nämlich, ein rechtsstaatliches und berechenbares Verfahren würde die Eurozone für Anleger weniger attraktiv machen. Da es eine umfassende Verfahrensreform bislang in diesem Sinne noch nicht gegeben hat, kann verlässlich nicht beurteilt werden, ob solche Effekte tatsächlich eintreten würden. Die Untersuchung der Auswirkungen von faktischer Schuldenreduzierung auf das (anschließende) Gläubigerverhalten untermauert aber eher die Theorie von dem „extrem kurzzeitigen Gedächtnis der Märkte“. Das heißt: Selbst da, wo Schuldnerstaaten de facto Schuldenerlasse erzwungen haben, wie in Argentinien oder Ecuador oder wo sie aufwändig von Weltbank und IWF umgesetzt werden mussten, wie in den HIPC-Staaten, ist der Zugang zum Kapitalmarkt kurz darauf kaum beeinträchtigt, in manchen Fällen – wie eben zahlreichen HIPC-Staaten – durch eine berechenbare Entschuldung überhaupt erst hergestellt worden.

Das eigentliche Verfahren soll dann unter der Ägide des ESF als „Moderator“ ablaufen. Die Idee der Moderation ist natürlich gut. Den dann wichtigsten Gläubiger und Geldgeber zum „Moderator“ zu ernennen, also zu demjenigen, der die Interessengegensätze zwischen Schuldner und Gläubigern ausgleichen und nach Möglichkeit allseits akzeptable Vorschläge machen soll, ist allerdings die widersinnigste Idee, seit der IWF die Moderatorenrolle in seinem SDRM-Vorschlag 2002 mit sich selbst besetzt hatte.

Noch eine in ihrer Skurrilität schon wieder lustige Idee ist die Begrenzung eines denkbaren Schuldenschnitts ex-ante auf eine Tragfähigkeits-Zielgröße von maximal 60% Schuldenstand/BIP. Nicht nur steht diese seltsame Begrenzung im Gegensatz zu dem zuvor überzeugend dargelegten Punkt, dass mechanistisch anzuwendende Grenzwerte bei Staateninsolvenzen nicht hilfreich sind. Eine solche Festlegung ignoriert die im April 2013 vom IWF verfasste Problemanzeige, dass Schuldenerlasse in der Vergangenheit keinesfalls in der Gefahr standen, voreilig und zu großzügig gewährt zu werden, sondern dass umgekehrt „too little too late“ mit der Folge regelmäßiger Serienumschuldungen das Problem war. Auch der bisher einzige in der Eurozone vereinbarte Schuldenerlass – für Griechenland – legt die Gefahr übermäßiger Großzügigkeit nicht gerade nahe. Die Schulden sollten durch die Operation und die nachfolgende Anpassung auf 120% des BIP bis 2020 reduziert werden. Ein Ziel, das inzwischen in weite Ferne gerückt ist. Nachvollziehbar ist in gewissem Maße der Gedanke, eine solche Höchstgrenze helfe, die Kapitalmärkte für andere Schuldnerstaaten der Eurozone ruhig zu halten. Indes, wie oben angedeutet, löst das eher ein Phantom- als ein reales Problem.

Fazit:

Es ist gut, dass aus vielen unterschiedlichen Blickwinkeln erwogen wird, wie das Fehlen einer geordneten Staateninsolvenz in der Internationalen Finanzarchitektur geschlossen werden kann. Die Herleitung der Notwendigkeit eines Verfahrens aus der anhaltenden Krise der Eurozone ist überzeugend, und jede Stimme, die die notorisch schläfrige Politik aufweckt, ist sehr willkommen.

In der Sache ist VIPS indes kein Quantensprung: Der clevere Einführungszeitplan kann ängstliche Entscheidungsträger ermutigen; aber es ist zu befürchten, dass die bisher anhaltende Untätigkeit seine Ursache nicht in realistischen Befürchtungen um die Kapitalmarktfähigkeit der (ehemals) überschuldeten Staaten hat.

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