Ukraine: Optionen für das Ende des Schuldenmoratoriums 2024

Avatar photo Kristina Rehbein, erlassjahr.de
12. Dezember 2023

Im November 2023 hat die ukrainische Regierung ihren Haushalt für 2024 beschlossen. Ca. 40 Milliarden US-Dollar an externer Unterstützung werden benötigt, um Staatsfunktionen am Laufen zu halten. Die Finanzierung könnte auch durch die Wiederaufnahme des Schuldendienstes an private Vorkriegsanleger erschwert werden.

Wenn das Schuldenmoratorium 2024 endet

Kurz nach dem Angriff Russlands im Februar 2022 hatten neben öffentlichen bilateralen Gläubigern auch Halter von sogenannten Eurobonds in einem Gesamtvolumen von 20 Milliarden US-Dollar der Ukraine ein Schuldenmoratorium gewährt. Durch dieses Moratorium konnte die Ukraine für zwei Jahre seine Zahlungen an die Anleger aussetzen. Das Moratorium läuft im September 2024 aus. Damit stehen allein 2024 Schuldendienstzahlungen in Höhe von mindestens 4 Milliarden US-Dollar an; zwischen 2024 und 2027 werden knapp 15 Milliarden US-Dollar fällig. Anders als die öffentlichen bilateralen Gläubiger, die das erste Moratorium noch deutlich vor Ablauf bis 2027 verlängerten, blieben die privaten Anleger vorerst bei dem 2024-Datum. Laut Medienberichten will die ukrainische Regierung Anfang 2024 einen ersten Vorschlag für den weiteren Umgang mit den Vorkriegsanleihen vorlegen. Sie muss dies im Kontext eines laufenden IWF-Programms tun, welches sowohl an die Umschuldung mit Anlegern 2024 sowie an eine Umschuldung mit öffentlichen bilateralen Gläubigern spätestens bis 2027 gebunden ist. Öffentliche bilaterale Gläubiger wiederum erwarten, dass die Ukraine sicherstellt, dass der Privatsektor vergleichbare Zugeständnisse zu ihren eigenen (noch nicht verhandelten) Erleichterungen bereitstellt.

Erste Medienberichte zeigen, dass die Ukraine mit dem Gedanken spielt, schnellstmöglich an die internationalen Kapitalmärkte zurückzukehren, um frisches Geld zu mobilisieren. Sie tut dies auch vor dem Hintergrund möglicher politischer Veränderungen bei wichtigen Partnerländern und eines schwieriger werdenden Umfelds für finanzielle Unterstützung. In Gesprächen ukrainischer Zivilgesellschaft und ukrainischem Privatsektor zeigte sich zudem die Einstellung, dass man mit seinen Anlegern pfleglich umgehen müsse, sie nicht „zu unfreundlich“ behandeln dürfe, damit sie der Ukraine nicht den Rücken kehrten. Mit „unfreundlich“ ist gemeint, ihnen zuzumuten, Schuldenerleichterungen zu gewähren. Richtig ist, dass, angesichts marktbasierter Verfahren für Umschuldungen und damit auch fehlenden rechtlichen Schutzes für den Schuldner rasche Einigungen mit Privatgläubigern häufig dann zustande kommen, wenn die ausgehandelten Schuldenerleichterungen gering ausfallen. Je höher der notwendige Schuldenerlass bzw. je ambitionierter die Umschuldung, desto länger dauert die Aushandlung und desto höher das Risiko für Holdouts.Um die Angelegenheit also rasch über die Bühne zu bringen und in der Annahme, dem zukünftigen Marktzugang einen Schritt näher zu kommen, kann es sein, dass die Umschuldung 2024 entsprechend investorenfreundlich ausfällt.

Mangelnde Anreize für Zustimmung zu Umschuldung

Die Legacy Bondholders (also der Halter der Vorkriegsanleihen) haben erstmal Interesse daran, frühestmöglich im Krieg eine Einigung zu erzielen, bei der sie so viel wie möglich zurückerhalten. Das liegt auch daran, dass der Anteil von Forderungen, der aus einer zukünftigen Restrukturierung ausgenommen werden würde, immer höher wird. Darunter sind vor allem multilaterale Forderungen sowohl vor dem Krieg als auch aus Unterstützungsleistungen während des Krieges, die bei Schuldenrestrukturierungen grundsätzlich immer ausgenommen werden, sowie finanzielle Unterstützung von bilateralen Gebern während des Krieges . Halter von Vorkriegsanleihen müssen vor diesem Hintergrund damit rechnen, dass ihre Forderungen bevorzugt in eine Umschuldung einbezogen werden.

Die noch anhaltende Unterstützung von bilateraler und multilateraler Seite verbessert zudem die Rückzahlungsfähigkeit der Ukraine – auch wenn die Unterstützung eindeutig für Verteidigungs- und Wiederaufbauzwecke und nicht für die Rückzahlung von Altschulden bestimmt (und notwendig) ist. Auch wenn öffentliche bilaterale Gläubiger und der IWF kein Interesse daran haben, dass ihre Unterstützung an die Ukraine in den Schuldendienst an die Legacy Bondholders fließt, so werden sie die Ukraine auch nicht fallen lassen. Weder ist davon auszugehen, dass der IWF sein Finanzierungsprogramm aufkündigt, noch dass die G7-Staaten ihre Unterstützung auf der Basis eines nicht ausreichenden Einbezugs der Legacy Bondholders in eine Umschuldung aufkündigen. Damit haben Anleihehalter kaum einen Anreiz gibt, einer ambitionierten Restrukturierung zuzustimmen. Das zeigt sich auch daran, dass aufgrund des stetigen Zustroms von Hilfsgeldern, die die Devisenreserven der Ukraine aufstocken, die Anleihekurse seit Juni 2023 um mehr als 50 Prozent gestiegen sind, womit die ukrainischen Anleihen zu den besten Wertentwicklungen auf den globalen Märkten für festverzinsliche Wertpapiere gehören.

Selbst wenn die Legacy Bondholders theoretisch zu höheren Zugeständnissen bereit wären, fehlt Klarheit darüber, wie die Umschuldung aussehen müsste, um den Vorgaben der öffentlichen Gläubiger in Bezug auf die Comparability of Treatment zu entsprechen. Normalerweise gibt es zuerst eine Vereinbarung mit dem Pariser Club (im Fall der Ukraine mit der Group of Creditors of Ukraine), auf dessen Basis der Schuldner vergleichbare Zugeständnisse mit dem Privatsektor aushandeln muss. Im Fall der Ukraine ist es aber umgekehrt: Während die Aussetzung des Schuldendienstes an die Anleihehalter 2024 ausläuft, wird es eine Umschuldung mit der Group of Creditors erst gegen Ende des IWF-Programms, also einige Jahre später geben. Wenn nicht klar ist, wieviel andere Gläubiger bereit sind zuzugestehen, gibt es keinen Grund, selbst bereits umfassend in „Vorleistung“ zu treten. Hinzu kommt, dass in den Jahren zwischen 2024 und 2027 inmitten einer Kriegssituation viel passieren kann, was kaum in eine verlässliche Schuldentragfähigkeitsanalyse einrechenbar ist. Das reicht von der Frage, ob externe Unterstützungen – wie vom IWF in seinen Vorhersagen eingerechnet – überhaupt in ausreichendem Maße zustande kommen, bis hin zum kaum vorhersehbaren weiteren Kriegsverlauf. Damit kann es sein, dass für die Umschuldung der öffentlichen Gläubiger ganz andere Parameter gelten (müssen). Anleger haben vor allem Sorge, dass sie ein positiveres Szenario verpassen könnten, von dem die öffentlichen Gläubiger dann profitieren würden, sie aber höhere Verluste hinnehmen müssten. Schon in anderen Schuldnerländern, die sich nicht in einer Kriegssituation befinden, hatten Veränderungen im makroökonomischen Umfeld im Verlauf einer Umschuldung zu Verzögerungen und Gläubigerblockaden geführt.

Wie haltbar ist die Annahme des raschen Marktzugangs?

Sehr wahrscheinlich ist es nicht, dass der besonders vorsichtige Umgang mit den Anlegern und die Präsentation als verlässlicher, marktfreundlicher Schuldner den Marktzugang für die Ukraine noch während des Krieges wiederherstellen wird. Bereits vor dem Angriffskrieg hatten private Gläubiger begonnen, ihr Engagement in der Ukraine zurückzufahren. Auch müsste die Ukraine heute rund 15 Prozent auf neu ausgegebene Anleihen bezahlen. Schon andere Krisenländer haben zudem lernen müssen, dass Versprechen von Kapitalmarktgebern, dass, wenn Länder in der Krise sich nur wohlverhalten und ihnen, den Kapitalgebern, nicht zu viel zumuten würden, sie entsprechend mit Unterstützung rechnen könnten, nicht haltbar sind: So wurde dem hoch verschuldeten Griechenland 2011 auf Basis der sogenannten Vienna Initiative versprochen, dass deutsche Banken ihr Griechenland-Engagement nicht zurückfahren würden – unmittelbar danach wurde ihr Exposure auf rund die Hälfte reduziert. Staaten im Globalen Süden wurden davon abgehalten, ihre privaten Gläubiger in das Schuldenmoratorium DSSI der G20 einzubeziehen, um ihren wohlverdienten Marktzugang nicht zu verlieren – den sie nicht nur längst verloren hatten, sondern der in der Folge (wohlgemerkt aufgrund ihrer Schuldensituation, nicht aufgrund fehlenden Wohlverhaltens) auch nicht wieder kam.

Nun kann es bei dem besonders freundlichen Umgang mit Investoren 2024 auch darum gehen, mit einem Vertrauensvorschuss sicherzustellen, dass die Ukraine nach Kriegsende mit der Wiederherstellung eines günstigen Marktzugangs rechnen kann. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass es potentielle Anleger nach dem Krieg nur wenig interessiert, ob Legacy Bondholders besonders mit Samthandschuhen angefasst wurden. Sondern dass für den Marktzugang a) ausreichend Renditechancen durch den Aufschwung im Rahmen des Wiederaufbaus ausschlaggebend sein werden, sowie dass b) die neuen Anleger nicht mit den Altgläubigern um knappe Devisen konkurrieren müssen, also damit rechnen müssen, dass der Wert ihrer Investition durch einen hohen Altschuldendienst geschmälert wird.

Was bedeutet dies für eine Umschuldungsstrategie?

Die Ukraine könnte auf eine Verlängerung des Schuldenmoratoriums der privaten Gläubiger bis 2027 und auf Verhandlungen mit beiden Gläubigergruppen zum gleichen Zeitpunkt drängen, auch um die Comparability of Treatment sicherzustellen. Allerdings zeigen Anleihehalter schon jetzt wenig Bereitschaft, in der Kriegssituation einer Umschuldung zuzustimmen, ohne öffentliche Garantien auf die umgeschuldeten Forderungen etwa von Seiten der G7-Partner zugesichert zu bekommen. Die ukrainische Regierung könnte stattdessen folgende strategische Optionen auf den Tisch legen:

  1. die Altschulden so weit in die Zukunft strecken, dass sie mit potenziellen neuen (Anleihe-)Gläubigern in der Nachkriegszeit nicht um den Schuldendienst konkurrieren können und somit den erhofften Marktzugang nach Kriegsende erleichtern,
  2. Angesichts der hohen Unsicherheiten, die mit der Kriegssituation einhergehen, ein Schuldenmoratorium auf sämtliche Forderungen bis zum Ende des Krieges und dann Umschuldung nach dem Krieg in einem umfassenden Verfahren.

Insbesondere b) wird auch von einigen Anlegern selbst ins Gespräch gebracht, um mit der besonderen Kriegssituation umzugehen (siehe hier).

Ukrainische Privatsektorexpert*innen befürchten jedoch, dass bei einer Verlängerung des Moratoriums die betroffenen Anleger ihre Forderungen an Geierfonds verkaufen könnten, die dann ggf. den Klageweg bestreiten. Es solle also besser direkt (und vorsichtig) umgeschuldet werden. Verklagt werden kann die Ukraine auch bei einer möglichen Umschuldung 2024, bei der einzelne Anleger – je nachdem wie ambitioniert die Umschuldung ist – sich nicht beteiligen wollen. In beiden Fällen könnten die USA und Großbritannien gesetzlich tätig werden, um die Ukraine und gutwillige Gläubiger vor Klagen von Geierfonds oder unkooperativen Gläubigern zu schützen.

Anleihehalter sollten ihr Risiko selbst tragen müssen

Während einige gutwillige Anleger weitreichende Vorschläge für den Umgang mit den Legacy Bonds vorlegen, sind andere Argumente weniger unterstützenswert. So gibt es etwa die Idee, dass die Mobilisierung eingefrorenen russischen Vermögens mit in die Schuldentragfähigkeitsanalyse einbezogen werden müsse, da dies die zukünftigen Finanzierungsaussichten der Ukraine verbessern (und die Verluste der Gläubiger verringern) würde. Das Argument wird auf der Basis hervorgebracht, dass der arme westliche Rentner, der in gutem Glauben in der Ukraine seine Rente angelegt hat, nicht für russische Verbrechen zur Kasse gebeten werden dürfe. Wenngleich die Möglichkeiten der G7-Staaten zur Mobilisierung russischer Oligarchengelder für die Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine tatsächlich Teil einer wichtigen Debatte sind, muss diese von der Umschuldung der Vorkriegsschulden jedoch zwingend getrennt werden. Bei den Legacy Bonds handelt es sich um hochverzinsliche Anleihen. Ihre Halter haben sich bewusst für eine spekulative Anlage entschieden, deren Kupon für dieses Risiko entschädigt. Eine Umschuldung würde bedeuten, dieses Risiko nun auch – zurecht – tragen zu müssen. Nicht wegen der durch Russland angerichteten Zerstörungen müssen Legacy Bondholder umschulden, sondern aufgrund der finanziellen und makroökonomischen Lage des Landes, die durch den Krieg verursacht wurde.

Und abgesehen davon, dass aktuell nicht sicher gesagt werden kann, wieviel an eingefrorenem Vermögen überhaupt mobilisiert werden kann – und damit die Aufnahme in eine Schuldentragfähigkeitsanalyse genauso spekulativ wäre wie bei anderen Faktoren – sollten die Mittel für den Wiederaufbau des Landes genutzt werden, nicht für die Entschädigung von Vorkriegsforderungen. Sind die Anleger mit ihrem Argument erfolgreich, sind es vielmehr die ukrainischen Bürger*innen, die dafür zahlen müssen, dass Entschuldungsverfahren im Falle untragbarer Schuldensituationen das Recht des Stärkeren stärken.

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